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Marco Baldi: Der starke Mann bei Alba Berlin

Alba-Berlin-Manager Marco Baldi hat den Verein groß gemacht – und Basketball in Deutschland gleich mit. Wie es dazu kam? Porträt eines Besessenen.

Er düst seiner 22. Saison entgegen, eine Boeing 737-800 soll ihn nach Izmir bringen, Flug XQ 947 ab Tegel. Marco Baldi sitzt auf einem Gangplatz, 22 C, er trägt Turnschuhe, Jeans, ein graugrünes Polohemd. Gedeckte Farben, die sich selten weit vom Grau entfernen, die mag er. In der Türkei erwarten den Geschäftsführer von Alba Berlin: ein neuer Trainer, zwei neue Ko-Trainer, vier neue Spieler und ein Turnier gegen Teams aus Istanbul, Podgorica und Izmir. Die Phase der Vorbereitung geht ihrem Ende entgegen.

Baldi kaut ein Käsebrötchen. „Das Set-up steht“, sagt er. Er spricht von „Stellgrößen“, er meint wichtige Spieler, medizinische Betreuer – all das, was ein Basketballteam ausmacht. Den ganzen Sommer über hat er dafür telefoniert, gefaxt, Verträge ausbaldowert. Fürs Sportliche kann er nun nichts mehr tun. Er weiß nur, es werden in den nächsten Monaten Krisen kommen, Siegesserien, Verletzungen, blöde Niederlagen, vielleicht wird ein Spieler durchdrehen, wer kann das schon sagen?

Im Sport ist Erfolg nicht wirklich planbar, und die Klugen lehrt das Demut, trotz aller Erwartungen, vieler Hoffnungen. Noch nie, sagt Baldi, habe er eine Saison ohne große Überraschungen erlebt.

Er hätte jetzt in Berlin bleiben können. Er war schon zwei Wochen mit der Mannschaft in China, aber Baldi will die Witterung zu diesem Team nicht verlieren, will die Atmosphäre spüren, will schauen, wie verhalten die sich zueinander, hauen sich alle richtig rein? „Es geht beim Basketball viel um Gefühl.“ Bei Sätzen wie diesem schlägt er sich mit der rechten Hand gegen das Herz.

Marco Baldi ist 49 Jahre alt. Gern wird er mit Uli Hoeneß verglichen. An Äußerlichkeiten kann es nicht liegen. Hoeneß ist von barocker Gestalt, Baldi gut in Form. Hoeneß poltert fortissimo furioso, Baldi redet moderato vivace. Doch ja, beide haben einen Verein zum Branchenprimus des Landes gemacht, Bayern und Alba. Baldis Bilanz in 21 Jahren: 14 Mal im Finale gestanden, acht Meisterschaften, sechs Pokalsiege, einen renommierten Europapokal gewonnen, den Korac-Cup.

Die Stewardess bringt die bestellte Flasche Wasser, Baldi trinkt einen Schluck. Er hat die Zahlen von der Genesis seines Klubs alle im Kopf. 1990 waren es 300 Zuschauer im Durchschnitt, vergangene Saison 10 360 – und Spitze in Europa. Damals werkelte er alleine, inzwischen arbeiten auf der Geschäftsstelle 19 Festangestellte. Damals kaufte er Papierrollen mit Eintrittskarten und riss sie eigenhändig ab, heute hat die Abteilung „Ticketing“ fünf Mitarbeiter. Dauerkarten von null auf 3 000; von einem Trainer auf acht hauptamtliche Trainer und 55 Jugendtrainer; 1 000 Mitglieder hat der Verein heute, als sie anfingen, waren sie zu siebt. Und das Wichtigste, sagt Baldi, „1 500 Mädchen und Jungen spielen unter unserem Dach, im Klub und in Schulen“.

Die Worte des Alba-Chefs sind vom Süddeutschen eingefärbt. Nicht weit von Stuttgart ist er groß geworden. Am Telefon meldet er sich mit „Baldiii“. Wie auf einer Theaterbühne betont er die Schlusskonsonanten: talentiertt! Er klingt etwas wie Harald Schmidt, auch ein Schwabe.

In Izmir wartet am Flughafen Mithat Demirel, Albas Sportdirektor. Zügig kurvt er mit einem Mietwagen durch die Stadt und steuert das Hotel Konak an. Das Meer liegt im Dunkeln, die Palmen der Uferpromenade sind laubfroschgrün angestrahlt. Beim Einchecken fällt der Blick in den Speisesaal, wo sich lange Männer mit Spaghetti, Hühnchen und Fisch stärken, an den Füßen Adiletten und auf der Brust das Alba-Emblem.

Nach einem Salat zieht es Baldi und Demirel aufs Zimmer 501, im Fernsehen läuft die Basketball-EM. Ein Kellner bringt Efes-Bier und eine Schale Nüsse. Die beiden sitzen auf der Bettkante, schauen, quatschen.

– X hat einen Vertrag von 2,1 Millionen in drei Jahren.

– Die Serben sind weich geworden.

– Y ist in seiner Entwicklung stehen geblieben. Z könnte man für 250 000 Euro ausleihen.

Basketball ist ein Spiel. Basketball ist ein Markt. Emotionen und Geld, das ist die Mixtur, die Baldi fasziniert.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: 183 Zentimeter reichen nur zum Aufbauspieler. Aber Baldi kämpfte.

Er hat sich als Kind auch auf anderen Feldern versucht. Fotos aus dem Album seiner Mutter zeigen den Knirps beim Fußball und im Trikot einer Handballmannschaft. Ein Bild dokumentiert erste Gehversuche des Einjährigen mit Ball und Papa am Strand bei Livorno. Mit 17 spielt er Basketball in Ludwigsburg, Bundesliga. „Ich habe trainiert wie ein Idiot und alles gegeben“, sagt Baldi jetzt, neun Jahre lang war er als Profi aktiv. Auf alten Zeitungsseiten sieht man ihn mit kräftigen Schenkeln und Waden. Erkennungszeichen auf allen Fotos ist das tiefe Grübchen am Kinn und ein ernster Blick.

Eine Körpergröße von 183 Zentimetern reicht in dieser Sportart nur zum Aufbauspieler; diese lenken das Spiel, sind die Dirigenten auf dem Feld, sie müssen fixer sein auf den Beinen und fixer im Kopf, sonst haben sie gegen die übergroßen Kontrahenten keine Chance. Und Marco Baldi war ein Kämpfer.

Am nächsten Morgen sitzt Baldi am Frühstückstisch mit dem Trainer, türkischer Tee und Obst, ein paar freundliche Sätze, dann geht es raus zum Bus, der alle zur Halle bringt. Vorneweg braust ein Polizist auf einer BMW, Blaulicht und Sirene räumen den Weg frei. Die Fahrt geht einmal rund um die Bucht von Izmir, 30 Grad im Schatten, die Sonne zieht Dunst aus dem Meer und legt ihn wie einen Grauschleier über die Stadt.

Leichtes Training. Turnschuhe quietschen auf Parkett. Systeme werden durchgespielt, Würfe geübt. Nichts anstrengendes, abends ist ein Spiel. Zurück zum Hotel, Essen, Ausruhen, Essen, wieder mit dem Bus zur Halle. Das Leben eines professionellen Basketballers ist ein Murmeltierleben: Heute ist wie gestern ist wie morgen. Warten, vor allem das, im Bus, auf dem Flughafen, im Hotel.

Baldi hat diesen Rhythmus längst verinnerlicht. Er telefoniert, checkt Mails, verschickt SMS. Ein Stadtspaziergang? Zu heiß, und außerdem: „Ich war 50 Mal in Ulm, ich war 45 Mal in Barcelona, ich war 30 Mal in Istanbul – da schau ich mir keine Kirchen oder Museen mehr an.“

Lieber setzt er sich neben der Karsiyaka-Sporthalle in ein schattiges Café, bestellt einen Cappuccino und steckt sich eine Zigarette an. Wenn er nun über seinen Job redet, dann redet er von Zentralvermarktung und Imagefaktor, von Reichweiten und Sponsorstruktur, es fallen Begriffe wie Benchmarks, Content und Revenue-Share-Modell, wie Hospitality, Merchandising oder Approach.

Es ist die unromantische Seite des Basketballs, es ist knallhartes Geschäft.

Darauf war Marco Baldi ganz gut vorbereitet. Er hat in Berlin Betriebswirtschaft studiert und mit Diplom abgeschlossen. Er hat ab 1982 für zwei Jahre bei Charlottenburg gespielt, dem Verein, der später zu Alba werden sollte, da habe die Stadt ihn gepackt. Er ging dann doch wieder zurück ins Schwäbische. Die Firma IBH lockte, ein Start-up-Unternehmen der Computerbranche, Top-Salär, Bereichsleiter Marketing. Doch Berlin lockte zurück, der Basketball lockte, immer wieder rief „der Doc“ an, Mannschaftsarzt der Charlottenburger, komm doch, komm endlich, bis Baldi nachgab: Ich mach’s.

Dienstantritt 1. Mai 1990, Titel: Manager. Vertraglich zugesichert: Gehalt, Wohnung, Auto. Im Rückblick verdichtet sich oft das Schlimmste zu einer lustigen Anekdote. Baldi muss beim Gedanken an diesen Start richtig lachen. Geschlafen hat er bei einem Kumpel, Geld gab es ein Jahr lang keines, die Buchhaltung steckte in einer Schuhschachtel. Als er die alten Rechnungen gezählt hatte, kam er auf ein Minus von 100 000 Mark.

Ein vernünftiger Mensch hätte schleunigst die Flucht ergriffen. „Ich habe trotzdem daran geglaubt“, sagt Baldi.

Ein Blick in Baldis Büro am Jahn-Sportpark, Prenzlauer Berg: Die Einrichtung der 30 Quadratmeter ist spartanisch, Aktenmöbel und ein langer Schreibtisch mit PC und Drucker, durchs offene Fenster hört man das Plop-plop von Tennisbällen. Nur drei gerahmte Fotos hängen an der Wand, sie zeigen prall gefüllte Sporthallen und die gigantische Entwicklung, die der Klub genommen hat: Sömmering in Charlottenburg, Max-Schmeling in Prenzlauer Berg, O2-Arena in Friedrichshain. In Zahlen: 2500, 8861, 14 500 Sitzplätze. Die Jahre: 1993, 1999 und 2008, das Jahr des letzten Meistertitels.

Neben der Zimmertür steht ein hässlicher, silberglänzender Pokal, ein stilisierter Basketball mit der Aufschrift: „Best Executive“. 2009 wurde Baldi zu Europas Manager des Jahres gekürt. In der Laudatio der Euroleague hieß es, er habe nicht nur Alba Berlin, „sondern den Basketball in Deutschland weit nach vorne gebracht“. Die Standards, die Baldi mit Berlin stets vorgelegt hat, haben das Niveau insgesamt deutlich angehoben.

Zwei Stunden später ist ein unwichtiges Spiel gewonnen. Die Stimmung ist entspannt, nur sportlich, meint Baldi, „ist es noch ein langer Weg“. Der Bus fährt, Polizeiblaulicht blinkt, und Mithat Demirel sagt: „Wir fahren mit der Fähre zurück.“ Er bittet, am Hafen zu halten, Baldi und er springen auf den Gehweg. Lauer Wind weht, Abendrot steht zart im Westen, es riecht nach Salz und Diesel, der Dampfer tuckert, 15 Minuten dauert es quer über den Golf von Izmir.

Auf der nächsten Seite: "Alba ist doch mein Kind" - warum ein Wechsel für Baldi ausgeschlossen ist.

Man stört Baldis momentanen Frieden nur, wenn man ihn erinnert, dass Alba in den letzten acht Jahren nur einmal Meister war – und trotzdem wie immer zum Titelfavoriten gemacht wird.

– Das nervt Sie doch, nicht wahr?

– Nein, nein. Doch, ja.

Weil er das saublöd findet, alle Jahre wieder, er würde es nur nie so unflätig sagen. Weil, so schätzt er, die Konkurrenz aus Bamberg 50 Prozent mehr für Spieler ausgibt als Alba – und sich deshalb mehr teure Stars halten könne. Weil Vereine wie München, Oldenburg oder Quakenbrück längst den Gehaltsetat von Alba haben – oder nicht viel weniger.

Alba habe in Strukturen investiert, in Substanz. „Nachhaltigkeit“, sagt Baldi. Zwei eigene Trainingshallen für Profis und Jugend, welcher Klub hat das schon? Die Halle in der Schützenstraße in Mitte mag außen ein wenig abgeschabt aussehen, Rauputz und bunte Basketball-Graffiti, aber innen: alles nagelneu, exklusiver Kraftraum, Konferenzzimmer, großzügige Physiotherapie. So etwas ist hierzulande einmalig und in Europa selten.

Im kommenden Jahr wird Baldi 50, eine Zäsur, an der sich einer schon mal fragt: Kommt da noch was Neues? „Alba ist doch mein Kind“, lautet die Antwort, wie könne er da zu einem anderen Verein wechseln und gegen sein Kind spielen? Es habe Angebote gegeben, sicher, auch zum Funktionär des europäischen Verbandes hätten sie ihn gerne gemacht; Baldis Rat ist geschätzt, er ist eine Größe in seinem Metier. „Dann säße ich am Schreibtisch, in VIP-Logen – weg vom Spiel.“ Grässliche Vorstellung.

Es ist Sonntag gegen Mitternacht und Flug XQ 922 hebt mit Ziel Schönefeld in Izmir ab. Marco Baldi hat wieder einen Gangplatz, 19 C. Er kritzelt mit kleiner Schrift Notizen auf ein Blatt Papier. In einigen Tagen wird es ernst, es beginnt wieder eines dieser Basketballjahre, in denen er gut 130 Nächte lang in Hotelbetten verbringen wird.

Und er wird auch diesen Sonntag, wie immer bei Heimspielen, an Bande auf einem Stuhl sitzen, rechts hinterm Korb, dezenter Anzug ohne Krawatte. Vor ihm hat der Teambetreuer eine Flasche Wasser auf dem Boden deponiert und deren Schraubverschluss per Filzstift mit „MB“ markiert. Baldi ist nun allein mit sich, die Mannschaft und das Spielfeld im Auge. Er wird äußerlich stoisch wirken und innen aufgewühlt sein. Nur gelegentlich entfährt ihm ein Stöhnen oder ein Fluch. All sein Leiden, die Freude und den Ärger werden Kaugummis erdulden müssen, auf denen seine Zähne heftig mahlen. Kaugummis sind seine Blitzableiter.

Für diese Momente macht er alles. Er ist dann seiner Passion leibhaftig nah, er sieht Schweiß spritzen und Körper aufeinanderprallen. Nur hier unten, erzählt Baldi, spüre er die Intensität des Spiels, die Leidenschaft, die Härte. Am Schönsten sei das durch die Fußsohlen zu fühlen, über die Vibrationen des Parketts.

Man kann diesen Menschen ein wenig absonderlich finden, aber vielleicht gibt es ja eine Erklärung. Der Ort am Rande des Remstals, in dem Baldi seine Kindheit und Jugend verbrachte, heißt: Korb.

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