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Bundestrainer Joachim Löw muss sich erneut Gedanken um die optimale Position von Philipp Lahm und die Besetzung im defensiven Mittelfeld machen.

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WM 2014 - Deutschland nach dem Algerien-Spiel: Mustafi-Verletzung zeigt das Dilemma von Joachim Löw

Schweinsteiger und Khedira funktionieren nur im Job-Sharing – deshalb ist die Verletzung Mustafis für den Bundestrainer eher Bürde, weil er Philipp Lahm nun im Grunde zweimal bräuchte.

Es waren ungefähr so viele Minuten gespielt, wie Bastian Schweinsteiger Länderspiele hat. Da rettete sich der angegraute Veteran der deutschen Fußballnationalmannschaft mit zwei, drei qualvollen Körperrollen ins Seitenaus. Von muskulären Krämpfen geschüttelt, musste sich der 29-Jährige behandeln lassen. Er schleppte sich dann noch einmal halbwegs stehenden Fußes zurück ins Gefecht, ehe fünf Minuten später Joachim Löw ein Einsehen hatte und seinen Vizekapitän mitten in der Verlängerung vom Feld nahm, um ihn vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren.

Man kann in diese Szene sehr viel hineininterpretieren. Etwa, dass die deutsche Mannschaft bis an ihre äußerste körperliche Leistungsgrenze gehen musste, um die aufsässigen Algerier in der halbstündigen Zugabe des Achtelfinales zu bezwingen. Denn als Schweinsteiger in seinem 105. Länderspiel das Feld verließ, tat er das nicht mehr ganz erhobenen Hauptes, sondern eher wie eine Marionettenpuppe, die nur noch an einem Faden hing und mächtig in Schieflage geraten war.

Aber natürlich ließ die Szene auch eine andere Deutung zu. Nämlich die, wonach diese so technisch begabte deutsche Mannschaft in einem ziemlichen Dilemma steckt. Was wiederum ziemlich viel mit Schweinsteiger zu tun hat. Nach einer langen Verletzungspause ist der Münchner ebenso wenig im Vollbesitz seiner Schaffenskraft wie Sami Khedira, bei dem es nach einem Kreuzbandriss ja fast schon an ein Wunder grenzt, dass er überhaupt bei der WM dabei ist. Bei diesen beiden Spielern handelt es sich um zwei zentrale Führungsfiguren, die in entscheidenden Spielen irgendwie das große Ganze zu tragen haben. Genau das aber können sie nur teilweise, weswegen der Bundestrainer im Anlauf zu diesem Turnier ganz wesentlich ins Grundgefüge seiner Mannschaft eingriff.

Durch Mustafi-Verletzung zum Glück gezwungen?

Da Schweinsteiger und Khedira maximal im Job-Sharing funktionieren, schob Löw Mannschaftskapitän Philipp Lahm ins zentrale Mittelfeld, was inzwischen unbestreitbar eine Unwucht im Gebilde hinterließ. Denn hat nicht gerade dieses mit Ach und Krach gewonnene Achtelfinale von Porto Alegre den letzten Beweis dafür erbracht, dass Lahm auf seiner angestammten Position hinten rechts in der Abwehr viel wertvoller für die deutsche Mannschaft ist?

Irgendwie war es ja sinnbildlich, dass sich erst Lahms Ersatzvertreter auf der rechten Abwehrseite, der 22 Jahre alte Shkodran Mustafi, verletzen musste, bis sich Löw Mitte der zweiten Halbzeit zu einer Korrektur genötigt sah. Dass Mustafi bei einem Befreiungsschlag der Muskel riss, wirkte, wenn auch anders als gedacht, wie eine Befreiungsschlag für die deutsche Mannschaft, die sich bis dahin hatte förmlich zerreiben lassen von der Vehemenz der tollkühnen Nordafrikaner.

Für Mustafi kam Khedira ins Spiel, der ins zentrale Mittelfeld rückte. Lahm wiederum wurde so frei für die rechte Abwehrseite. Für das wackelige deutsche Gebilde kam diese Umstellung einer Wohltat gleich. Lahm verlieh der Abwehr mehr Stabilität und Khedira brachte endlich körperliche Präsenz in die Spielzentrale. Von nun an bekam das deutsche Team langsam Zugriff aufs Geschehen und gewann an Oberhand. Oder anders ausgedrückt: Erst als sich Löw gezwungen sah, sich selbst zu korrigieren, begann die Bezwingung Algeriens.

Hinterher sprach Joachim Löw nicht von Zwängen, sondern vielmehr von einem „Sieg des Willens“. Und auch das stimmte ja irgendwie, nur vielleicht anders als gemeint. Gewollt hatte schon jeder, nur fehlte dem deutschen Team lange Zeit das Gerüst dafür. Dass die Algerier um ihr Leben kämpfen würden, lag auf der Hand. Dass aber ihr Trainer Vahid Halilhodzic, äußerlich eine Mischung aus Bert van Marwijk und Fernsehkoch Christian Rach, eine raffinierte Taktik angerührt hatte, auf die die Deutschen lange keine Antwort wussten, nicht. „Algerien hat unser Pressing umgangen“, sagte Löw hinterher lapidar.

Wi löst Lahm das Schweinsteiger-Khedira-Lahm-Problem?

Er sprach das aus in dem Wissen, dass es noch einmal gut gegangen war, dass Deutschland eine Runde weitergekommen ist. Und darauf komme es schließlich an. Denn man kann es ja auch so sehen wie Per Mertesacker, dem es „völlig wurscht“ war, wie es die Mannschaft ins Viertelfinale gebracht hatte. Mertesacker dampfte noch nach diesen schlauchenden 120 Minuten, als er kritische Fragen des Mannes vom deutschen Fernsehen mit dem Verweis ins Abseits laufen ließ, ob er denn glaube, dass unter den letzten 16 Mannschaften einer WM ein Karnevalsverein sei.

„Wat woll’n Sie jetzt von mir?“, schnaufte der lange Innenverteidiger: „Wollen Sie eine erfolgreiche WM oder sollen wir wieder ausscheiden?“ Per Mertesacker wartete eine Antwort auf seine Gegenfrage nicht mehr ab, sondern verzog sich rasch mit dem Hinweis, sich „drei Tage in die Eistonne“ legen zu wollen.

Und vielleicht steigt ja auch der Bundestrainer dazu. Er wird sich fragen, wie er die Kalamität um Schweinsteiger und Khedira, respektive Lahm, wird umschiffen können. Solange sich weder Schweinsteiger noch Khedira als vollbelastbar erklären lassen, wird Löw weiter mit Lahm in der Zentrale planen müssen. Vom Ansatz her vernünftig, nur sieht es auf dem Platz schon noch nach ziemlich qualvollen Körperrollen aus.

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