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Do it yourself: Das Burgtheater

Sie wollten eine neue Garage – und haben eine Touristenattraktion geschaffen. Wie eine verwegene Idee seit 40 Jahren das Leben der Familie Schönewolf bestimmt.

Von Andreas Austilat

Neulich hatte Heinz Schönewolf Besuch. Das allein ist noch nichts Ungewöhnliches, bei Schönewolf klingelt es ständig. Sogar das Fernsehen war schon da. Aber dieses Mal kam der Besuch von weiter weg. Aus Italien nämlich. Sie wollten den 76-Jährigen zum Mitmachen bewegen bei ihrem Wettbewerb. Es geht um den mit 26 000 Euro dotierten Lifelong-Passion-Award. Und vieles spricht dafür, dass Schönewolf gute Chancen auf den Hauptgewinn hätte. Denn die Italiener suchen jemanden mit besonderer Leidenschaft.

Mitmachen müsste er allerdings. Bis Oktober bleibt ihm noch Zeit, sich zu entscheiden. Aber Schönewolf hat keine Lust. „Wozu?“, sagt er, winkt ab, packt das Bier mit einer seiner kräftigen Maurerhände. Mittags zwischen zwölf und 15 Uhr macht er immer Pause. Und dann erklärt er, wie er darüber denkt: „Wenn du Geld hast, kannst du alles machen. Aber was du kaufen kannst, zählt nicht, es zählt nur, was du selber machst.“ Warum also sollte er Geld gewinnen wollen? Dazu nickt seine Frau, Hildegard Schönewolf, und fragt, ob noch jemand Suppe möchte. Denn bei ihnen zu Hause soll keiner hungrig rausgehen.

„Es zählt nur, was du selber machst.“ Das ist wohl so etwas wie seine Lebensmaxime. Und so hat Heinz Schönewolf losgelegt, damals vor 37 Jahren, als er das Haus hier in Saarbrückens Ortsteil Dudweiler erwarb. Stein auf Stein fing er hinter diesem Haus an zu mauern, immer höher, immer breiter, bis sie – ja, nicht wirklich fertig, aber doch 15 Meter hoch und ebenso breit war: seine Burg. Und Hildegard, die schleppte Steine und rührte Mörtel, vor allem aber kochte sie Suppe und buk Kuchen, denn die Neugierigen kamen bald und staunten. Manche feierten hier Silberhochzeit oder Taufe oder was auch immer. Heinz und Hildegard Schönewolf hatten eine der größten Sehenswürdigkeiten von Dudweiler geschaffen.

Und bevor jetzt irgendein Ahnungsloser spöttelt, was mag Dudweiler schon zu bieten haben: Es gibt hier den brennenden Berg, ein Kohleflöz, das seit 400 Jahren unterirdisch vor sich hinkokelt und sogar den staunenden Goethe schon zu einem Umweg verleitet haben soll. Einen 1000 Jahre alten Kirchturm haben sie auch. Danach kommt aber schon die Burg der Schönewolfs. Prompt klingelt es, ein älteres Ehepaar steht vor der Tür. Sie haben ihren Enkel bei sich, vielleicht fünf Jahre alt, der Junge trägt Helm, eine Plastikrüstung sowie ein Schwert. Ob er mal in die Burg darf? Er darf.

Wer ins Gästebuch blickt, findet Einträge wie den von Besuchern aus Malaysia, „Surprise castle“ haben sie geschrieben. „Surprise“ trifft es, denn eine Überraschung ist der Bau auf jeden Fall. Von der Straße aus sieht man erst mal nur ein vergleichsweise unscheinbares Reihenhaus. Einziger Hinweis auf das, was kommt, ist das Tor zur Einfahrt, aus Granit zum Spitzbogen hochgemauert. Die Burg liegt hinter diesem Tor, in den angrenzenden Berghang hineingesetzt.

Schon der erste Eindruck ist überwältigend, weil man gar nicht weiß, wo man hingucken soll. Auf Absätzen und Vorsprüngen, in Nischen und Erkern stehen tönerne Figuren, vom Männeken Piss bis zu Tutanchamun, ein atemberaubender Stilmix. Schönewolf fertigt sie übrigens selbst. Zwischen nahezu jeder Zinne und auf den Fensterbrettern blühen Geranien, das Mauerwerk ist mit weißer Farbe überzogen, „Acryl“ sagt Schönewolf, die Fugen sind aufgemalt, das alles hat aus der Entfernung die Anmutung von Pappmaché. So als ob es sich eigentlich um eine Filmkulisse handele.

Und während man noch rätselt, was das für ein Film sein könnte – Schneewittchen vielleicht –, erkennt man aus der Nähe, es handelt sich um solides Mauerwerk. „Granit“, sagt Schönewolf, „und oben Basalt“. Schon wegen des Gewichts. Er und seine Frau hätten ja jeden Stein, der hier verbaut ist, einmal in der Hand gehabt, ihn hoch tragen müssen, über die engen, verwinkelten Treppen, durch die schmalen Gänge, über sich den runden Bogen des Tonnengewölbes, wenn es sein musste, bis hoch in die vierte Etage, wo man vom Rapunzelturm aus eine prima Sicht über Dudweiler hat. Und die Hildegard habe ihm geholfen, den Mörtel anzurühren, obwohl sie doch eh schon so viel am Hals hatte. Neun Jahre habe sie die Mutter gepflegt, drüben im Haus. Nie seien sie in den Urlaub gefahren, das ganze Leben nicht, sagt Hildegard und lächelt ihr mildes Lächeln, eine Frau mit kurzem braunem Schopf und hellblauen Augen.

Er wisse schon, dass mancher Nachbar ihn wohl für verrückt gehalten habe. So wie man ja auch den König Ludwig für verrückt hielt, den, der in Bayern all die Schlösser bauen ließ. Ob er sich dem Bayern-Ludwig irgendwie seelenverwandt fühle? Heinz Schönewolf lacht.

Gut möglich, dass er einen gerade auf den Arm nehmen will. Es gab nämlich auch ganz praktische Gründe für den Burgenbau. Alles fing damit an, dass er eine Garage bauen wollte und dafür den Hang abbaggern ließ. Doch das Bauamt stoppte ihn, weil der Hang ins Rutschen kommen könnte. Vor allem hier, im Saarland, wo der Bergbau das Land untertunnelt hat und öfters mal was ins Rutschen kommt. Die Leute vom Amt schrieben ihm eine Stützmauer vor.

Schönewolf hat Maurer gelernt. Mit 19 kam er aus der Kasseler Gegend ins Saarland. Obwohl das damals gewissermaßen noch Ausland war, französisch besetzt. Man bezahlte mit dem Franc, aber es gab Arbeit, jede Menge, in den Kohlegruben und in den Stahlwerken. Für die Hochöfen brauchten sie Maurer, „Beton taugt doch da nichts, der hält keine Hitze aus“. 15 Jahre, dann war Schluss, dann hat er bei der Stadt angefangen, in der Bücherei, doch das hat ihn körperlich nicht ausgelastet. „Andere rennen durch den Wald, ich fing an zu mauern.“ Möglichst jeden Tag, vom Feierabend bis Einbruch der Dunkelheit. Und seit er in Rente ist, arbeitet er von der Früh bis mittags. Und nach der Pause geht es um 15 Uhr weiter.

Wie hätte das denn ausgesehen, eine nackte Stützwand? Also hat er eine Nische gemauert, und noch eine, damit das Ganze ein bisschen aufgelockert wirkt. Und dann hat er sich hingesetzt und eine Burg entworfen. Das war 1975, die Zeichnung hat schon viel von jenem Bauwerk, das nun hinter seinem Haus steht. Ob er sich an einem historischen Vorbild orientierte? Eigentlich nicht, Schönewolf ist zwar im hessischen Felsberg unterhalb einer echten Burg groß geworden. „Und wir haben dort täglich gespielt.“ Allerdings Cowboy und Indianer. Wobei Schönewolf meistens Indianer war.

Natürlich hat der Bau viel Geld verschlungen, 50 000 Euro schätzt er. Geht eigentlich für eine Burg, in der er zwar nie wohnen wird, aber könnte: Eine Stube mit Ofen gibt es, Strom, Antennenanschluss und Telefon auch. Derzeit baut er noch ein Klo ein. Den Sand für die 5500 Sack Zement, die er bisher gebraucht hat, den fördert Schönewolf selbst, tief drinnen in seiner Burg. Und wie zum Beweis führt er die Besucher in ein höhlenartiges Gewölbe, packt den Bohrhammer und gräbt sich Schicht um Schicht in den Berg. Im Schein der Glühbirne sieht er wie ein Bergmann aus, in Jeans und kariertem Hemd, er trägt selten etwas anderes. Mit dem dröhnenden Bohrer stemmt er sich ins Erdreich. Der kleine Junge in seiner Plastikrüstung fürchtet sich ein bisschen, will lieber wieder ans Tageslicht.

Die Steine, die hat er tonnenweise geschenkt bekommen. Es hätten noch mehr sein können, Granitpflaster wurde in den 60er Jahren aus Saarbrückens Straßen gerissen und in den alten Hafen gekippt. Fast wäre Schönewolf zu spät gekommen, ein Rest war noch da, den konnte er haben. Und vielleicht hat ihm auch geholfen, dass sie ihn hier gut kennen. Seit Jahrzehnten hat er mit seiner Kapelle auf den Volksfesten der Umgebung Musik gemacht, erst Rock ’n’ Roll, dann Twist, aber am liebsten Blasmusik – und er war die Posaune.

Darf man eigentlich einfach so eine Burg bauen? Alles genehmigt, sagt Schönewolf, er wisse doch noch, wie es geht, er hat das gelernt. Vor 14 Tagen erst sei das Bauamt hier gewesen, diesmal hätten sie sich für sein Aquarium im Keller interessiert, auch das hat er gemauert. Die kennen doch nur Stahl und Beton, von echtem Mauerwerk hätten die keine Ahnung mehr. „Ich mache das, weil ich das kann!“ Noch so ein Lebensmotto.

Wird seine Burg jemals fertig werden? Sicher, sagt Schönewolf. In drei Jahren. Im Moment mauert er eine Zisterne, damit er da oben Wasser hat und nicht mehr Eimer um Eimer für den Mörtel hochschleppen muss. Dann kommt noch ein Turm drüber. Und dann ist sie fertig. Richtig fertig? Na ja, der Innenausbau werde wohl noch ein bisschen länger dauern.

Schließlich fällt sein Blick noch einmal auf den Prospekt vom Passion-Preis. „Beim letzten Mal soll da jemand gewonnen haben, der hat ein Schlachtschiff nachgebaut.“ Ein echtes? „Nein, vielleicht so groß wie ein kleiner Lastwagen.“ Ist ja lächerlich.

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