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„Willst du was gelten, mach dich selten“, riet man einst jungen Frauen. Dieser Philosophie folgen Firmen wie Apple. Bahlsen hat die Strategie nun auf die Spitze getrieben.

© dapd

Kekshersteller Bahlsen: Das Märchen vom Weihnachtsgebäck

Im Sommer hieß es, Bahlsen werde in diesem Jahr zum letzten Mal Weihnachtsgebäck herstellen. Kurz vor Weihnachten dann der Rückzug: Eine "Flut an Verbraucherreaktionen" habe den Konzern umgestimmt. Jetzt leuchten Bahlsens (Zimt-)Sterne heller als alle anderen.

Von Maris Hubschmid

Eine Weihnachtsgeschichte: Lange bevor die ersten Adventssüßigkeiten in den Supermarktregalen auftauchen, teilt der hannoversche Kekshersteller Bahlsen mit: er werde in diesem Jahr zum letzten Mal Weihnachtsgebäck ausliefern. Lebkuchen, Spekulatius, Dominosteine – sie alle rentierten sich nicht mehr. Der Absatz sei rückläufig, die Konkurrenz durch Billiganbieter zu groß.

Diese vermeintliche Nachricht provoziert regelrechte Nachrufe auf das Unternehmen. Bei den Zeitungen kramt man in den Archiven, erinnert sich: Im Bäcker-Land Deutschland produziert die Firma Bahlsen seit 1889 Weihnachtsgebäck, sogar der Begriff „Keks“ soll vom Firmengründer geprägt worden sein. Einige Medien thematisieren den Preisverfall durch Handelsmarken. Eine große Boulevardzeitung titelt sogar: „Nie wieder Weihnachts-Gebäck in Deutschland“ – obwohl die Aachener Unternehmensgruppe Lambertz seit Jahren Marktführer ist.

Eine Woche vor Ende des Weihnachtsgeschäfts kommt die überraschende Wende: Man wolle doch weitermachen, erklärt Bahlsen. Eine „Flut an Verbraucherreaktionen“ habe den Chef umgestimmt. An der wirtschaftlichen Situation hat sich nichts verändert. Bahlsen macht seinen Kunden – offenbar gerührt vom Geist der Weihnacht – ein Geschenk.

Marketingexperten vermuten dahinter eher einen PR-Gag. „Für mich ist die Geschichte äußerst unrund“, sagt Larissa Pohl, Strategiechefin bei der Frankfurter Werbeagentur Ogilvy & Mather. „Wütende Verbraucherproteste“ sollen den Gebäckfabrikanten unter anderem via Facebook erreicht haben? „Davon kann ich nichts entdecken. Nur dass Bahlsen reichlich Presse gekriegt hat.“ Schon die angebliche Ausgangssituation wirft Fragen auf: „Der Markt für Herbst- und Weihnachtsartikel ist in Deutschland sehr stabil“, sagt Hermann Bühlbecker, Chef und Inhaber des Konkurrenten Lambertz. Geringere Absätze, bestätigt der Bundesverband der Süßwarenindustrie, hätten im vergangenen Jahr alle Hersteller nur deshalb hinnehmen müssen, weil das Wetter so milde war. Da habe niemand Lust auf Lebkuchen verspürt.

„Willst du was gelten, mach dich selten“: Früher war das ein gut gemeinter Rat an bindungswillige junge Frauen. Im dritten Jahrtausend, sagt Werbefrau Pohl, machen mehr und mehr Unternehmen die Weisheit zur Marketinggrundlage. Erfolgreichstes Beispiel ist das Unternehmen Apple, das in dem Ruf steht, jeden Bedarf, jede Sehnsucht vorherzusehen, ehe der Kunde sie empfindet. Beim Verkaufsstart neuer I-Phone-Modelle aber verschätzt sich der Konzern regelmäßig? Kaum ist ein Gerät auf dem Markt, gibt es angeblich Lieferschwierigkeiten. „Absichtlich ausgelöster Konsumstress“ nennen Fachleute das. Die Schlangen vor den Kaufhäusern sind programmiert. Der Kunde registriert: Das Teil ist begehrt.

Waren nur über einen limitierten Zeitraum anzubieten, das Konzept funktioniert lange schon zum Beispiel bei der Einzelhandelskette Tchibo sehr gut. Shoppingportale wie Groupon leben davon. „Der Kamerahersteller Leica bringt regelmäßig Editionen in besonderer Farbe oder Ausstattung auf den Markt“, sagt Robert Nabenhauer, Chef der Unternehmensberatung Nabenhauer Consulting. „Sammler kaufen sie in dem Bewusstsein, etwas Exklusives zu erwerben.“ Auch Personen nutzen die Taktik, um gefragt zu sein. „Werner Bahlsen ist einer der Unternehmer, die diese Strategie verfolgen. Er meidet bewusst die Öffentlichkeit.“ Es dränge sich der Eindruck auf, er habe die Menschen glauben machen wollen, Bahlsens Plätzchen seien nur noch begrenzt verfügbar. „Mit anderen Worten schreit er: Jetzt noch mal zugreifen!“ Die These der erdrückenden Konkurrenz hält Nabenhauer für „einen Witz: Bahlsen hat doch das ganze Jahr über eine Konkurrenzsituation für sämtliche Produkte“.

Wer Waren mithilfe künstlicher Verknappung begehrt machen möchte, muss darauf achten, dass er glaubwürdig bleibt, sagt der Strategieberater. „Nicht schlecht war die Idee von Ferrero, Süßigkeiten in die Sommerpause zu schicken. Inzwischen wird sich aber auch mancher Verbraucher gefragt haben, weshalb ausschließlich die Schokolade von Ferrero dermaßen hitzeempfindlich ist.“ Bahlsen konnte sich darüber freuen, dass eine viel gelesene Zeitung auf das vermeintliche Aus hin mutmaßte, die Märchenmotivdose 2012 könnte als letzte ihrer Art einst Höchstwerte erzielen. „Den Absatz geschmälert hat das sicher nicht.“

Selbst, wenn der Begriff künstliche Verknappung bei Bahlsen nie gefallen ist: „Das war ein Spiel“, sagt Expertin Larissa Pohl. Immer weniger Verbraucher hätten im Supermarkt nach Bahlsen gegriffen, ließ die Firma wissen: Lebkuchen, Spekulatius und Zimtsterne seien aufwendig herzustellen – für sie müssten teure Gewürze gekauft werden. Dazu gab es stets den Hinweis: „In diesem Jahr ist unser Sortiment noch einmal im Handel erhältlich.“ „Das Unternehmen versucht es auf der emotionalen Schiene“, sagt Pohl. Wenn du meine Bemühungen anerkennst, kauf mich. Emotionale Erpressung also, eine Mitleidsnummer? Aus Markensympathie heraus dürfte mancher noch mal zugegriffen haben, sagt Pohl. „Dieses Jahr alles von Bahlsen, ist doch klar“, schrieb eine Nutzerin unter einen Internet-Artikel. „Die hat schon meine Oma gekauft.“ So leuchten Bahlsens Zimtsterne heller als alle anderen.

Vielleicht ging es aber auch von vornherein um das Comeback. „Dass man den Verbrauchern in einer großen Geste ein vermeintlich geliebtes Produkt wiedergibt“, sagt Pohl. Das habe etwa Ritter Sport mit der Sorte Olympia erfolgreich exerziert. Im Sommer 2009 warb das baden-württembergische Unternehmen auf Plakaten mit der Aufschrift „Ihr wollt sie zurück. Ihr bekommt sie zurück!“. „Auch McDonalds hat den Hamburger Royal TS mit Tomate und Salat angeblich auf vielfachen Kundenwunsch wieder ins Programm genommen“, sagt Pohl. Andere Konsumenten schlussfolgern: Das Produkt muss etwas ganz Besonderes sein.

„Wir haben die emotionale Bedeutung für unsere Kunden unterschätzt“, betonte im gleichen Tenor Firmeninhaber Werner Michael Bahlsen jetzt. Die Firma weist weit von sich, dass der Ausstieg vom Ausstieg geplant war.

Mag sein, dass Balsen tatsächlich erst spät erkannt hat, „dass es sich lohnen kann, ein Produkt im Segment zu halten, obwohl es nicht die erwünschten Umsätze bringt“, sagt Alfred Kuss, Professor am Marketingdepartment der FU Berlin. „Wenn es keine Bahlsen-Kekse mehr gibt, greifen treue Kunden notgedrungen zu Konkurrenzprodukten. Dann stellen sie vielleicht fest: Die schmecken viel besser – und wandern ganz ab.“ Hinzu komme: Wenn die Marke für eine Kunden mit Lebkuchenherzen verbunden ist – ob sie sie kaufen oder nicht –, könnte sie ohne langfristig Schaden nehmen. „Auch der Handel, der an einem breiten Angebot interessiert ist, hat womöglich Druck ausgeübt“, vermutet Kuss. Wahre Bahlsen-Freunde können jedenfalls beruhigt sein: Die Marke wird sich noch lange nicht aus dem Geschäft verkrümeln.

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