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Amanda Knox bei ihrer Rückkehr in die USA.

© dpa

Freispruch für Amanda Knox: Tödliche Indizien

Die italienischen Ermittler haben über 40 methodische Fehler gemacht. Warum Amanda Knox vom Mordvorwurf an Meredith Kercher freigesprochen werden musste.

Seit vergangenem Montag ist die Kriminalgeschichte um einen Mordfall reicher, der wohl niemals aufgeklärt wird. Das Berufungsgericht in Perugia sprach die 24-jährige Amanda Knox und den 27-jährigen Raffaele Sollecito frei, nachdem sie in erster Instanz zu 26 und 25 Jahren Haft verurteilt worden waren. Das Schwurgericht hatte es vor zwei Jahren noch als erwiesen angesehen, dass die amerikanische Sprachstudentin und ihr damaliger Freund aus Apulien eine britische Kommilitonin brutal misshandelt und ermordet hätten.

Genau dasselbe Beweismittel, das damals die Schuld belegen sollte, begründete nun den Freispruch – eine DNA-Spur an der angeblichen Tatwaffe.

Eigentlich hätte der Fall so schnell gelöst sein können, dass er nicht einmal einen Taschenbuchkrimi gefüllt hätte. Am Morgen des 2. November 2007 wurde die 21-jährige Britin Meredith Kercher tot in ihrem Zimmer in Perugia aufgefunden, halb nackt und mit durchgeschnittener Kehle. Kurz darauf verhaftete die Polizei den Ivorer Rudy Guede, der noch in der Tatnacht nach Deutschland geflohen war. Der dunkelhäutige Drogendealer hatte massenweise Fingerabdrücke hinterlassen. Sein Samen fand sich in der Toten, seine Fußabdrücke in ihrem Blut. Guede war der perfekte Täter – und dazu geständig.

Doch da gab es auch noch die Mitbewohnerin der Ermordeten, die hübsche Amerikanerin Amanda Knox, die mit Guede befreundet war. Bereits bei ihrer ersten Vernehmung hatte sie sich, wie die Polizei meinte, höchst verdächtig benommen. Auf der Wache kicherte sie ständig, machte Gymnastikübungen und knutschte mit ihrem Freund Sollecito. Zunächst behauptete sie, die Schreie ihrer Mitbewohnerin im Nebenzimmer gehört und einen kongolesischen Barbesitzer am Tatort gesehen zu haben. Als sich jedoch herausstellte, dass der Barbesitzer ein Alibi hatte, änderten Knox und Sollecito ihre Aussagen. Nun seien sie die ganze Nacht in seiner Wohnung gewesen und erst morgens zum Tatort gekommen. Dort habe Knox erst einmal geduscht, bevor sie die Polizei rief – mit der von über 40 Messerstichen blutüberströmten Leiche im Nebenzimmer. Als Guede davon erfuhr, nahm er sein Geständnis zurück und beschuldigte die beiden Studenten. Von denen gab es am Tatort jedoch keinen einzigen verdächtigen Fingerabdruck.

Doch dann fanden die Ermittler auf einem Messer aus Sollecitos Küche eine scheinbar eindeutige Spur: Die DNA von Knox war am Griff, die des Opfers an der Klinge. Später tauchte auch noch ein abgerissener BH-Verschluss der Ermordeten auf, der angeblich DNA-Spuren von Sollecito trug. Das reichte dem Schwurgericht, den „Engel mit den Eisaugen“ und ihren damaligen Freund zu einem Vierteljahrhundert Zuchthaus zu verurteilen.

Doch die angeblichen DNA-Spuren waren als Beweise untauglich, wie ausländische Fachleute von Anfang an kritisierten. Knox’ Spur am Messer beweist nichts, weil sie damit in der Wohnung ihres Freundes Brot geschnitten hatte. Die DNA des Opfers könnte indirekt auf das Messer übertragen worden sein, etwa durch Staub an der Kleidung. Weil der DNA-Nachweis bereits auf einzelne Moleküle anspricht, muss eine indirekte Verschleppung immer ausgeschlossen werden. Dazu bestimmen Gerichtsmediziner die Menge der DNA-Spur und suchen nach Blut oder Hautschuppen, um ihre Herkunft eindeutig zu belegen. Die italienischen Fahnder hatten jedoch die DNA-Mengen nicht dokumentiert. Es fanden sich auch keine Spuren von Haut oder Blut des Opfers; das erstinstanzliche Gericht erklärte dies damit, dass das Messer gründlich gespült worden sei.

Für das Berufungsverfahren nahmen sich zwei Gutachter der römischen Universität Sapienza die DNA-Indizien noch einmal vor. Ihr Urteil ist vernichtend: Die Ermittler haben über 40 methodische Fehler gemacht. An der Messerklinge war zu wenig DNA, um sie eindeutig dem Opfer zuzuordnen. Der BH-Verschluss wurde erst 46 Tage nach der Tat gefunden. Man hatte ihn zunächst nicht bemerkt, Sollecitos DNA ließ sich darauf nicht mehr nachweisen. Auf der angeblichen Tatwaffe fanden sich Stärkekörner, vermutlich vom Brotschneiden. Das Messer war also nicht gründlich gewaschen worden. Damit kam es als Tatwaffe nicht mehr infrage.

Amerikanische Medien und Politiker fragen nun zu Recht, wie den italienischen Ermittlern so viel Schlamperei unterlaufen konnte. Staatsanwältin Manuela Comodi lieferte prompt die passende Replik: Wenn das Gleiche in den USA passiert wäre, hätte man Knox vielleicht schon hingerichtet. Die Justiz macht Fehler, nicht nur in Italien.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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