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Papst Benedikt XVI.: Abschied in großer Runde

Plötzlich ist Frühling in Rom. Und Benedikt XVI. wirkt fast heiter bei seinem letzten öffentlichen Auftritt. Sein Herz sei voller Freude und Dankbarkeit, sagt der Papst. Aber dann wird er nochmal deutlich. Zur Rettung der eigenen Ehre.

Sie renovieren die Kolonnaden in Rom. Sie kratzen den Dreck aus den Ritzen und die Verkrustungen von den Heiligen. Seit Langem schon. Berninis Säulenhallen sollen sauber sein, dieses gewaltige Oval, diese weit geöffneten Arme, von denen sich Pilger und Touristen vor dem Petersdom aufgenommen sehen. Fast strahlen die Kolonnaden schon in blendendem Weiß.

Säubern wollte Benedikt XVI. auch seine Kirche. Nun geht der Papst. Und jeder sieht: An den Säulen des Vatikans ist die Arbeit erst zur Hälfte getan.

Es ist Mittwoch, der erste wirkliche Frühlingstag des Jahres in Rom, Zeit für Benedikts letzten öffentlichen Auftritt. Um diese Jahreszeit kommen normalerweise etwa 10 000 Menschen zur wöchentlichen Generalaudienz des Papstes. Diesmal aber sind 150 000 da. Der Petersplatz ist voll, genauso wie zuletzt am Abend des 19. April 2005, als der weiße Rauch aufstieg aus dem Giebel der Sixtinischen Kapelle und Joseph Ratzinger auf dem Balkon des Doms die Arme hochriss: „Liebe Brüder und Schwestern, nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und demütigen Arbeiter im Weinberg des Herrn...“

Er habe nicht mehr genug Kraft für sein Amt, so hatte Benedikt XVI. vor wenigen Wochen seine für alle Welt überraschende Entscheidung begründet. Und eben weil sie so überraschend war, gediehen allerlei Spekulationen über Intrigen und Machtspiele im Vatikan. Die „Vatileaks“-Affäre um gestohlene päpstliche Dokumente und die mit ihr verbundene Aufregung 2012 liefert den besten Nährboden für Gerüchte. Die endgültige Klärung dieser Affäre sowie diverser Skandale sind nur zwei Aufgaben, die Benedikt XVI. seinem Nachfolger hinterlässt.

Er selbst hatte sein Amt stets zwiespältig betrachtet: Zum einen sah er es als verdiente Krönung eines theologisch-kirchenamtlichen Lebenswegs, zum anderen als „Guillotine“. Wie sein Vorbild, der Heilige Augustinus, entschied sich Ratzinger schließlich dafür, sich als „Reittier Gottes“ zu fühlen. Ein Reittier aber geht nicht voran, entwickelt keine eigene Initiative. Benedikt sah sich nicht berufen, neue Wege zu suchen; er sprach von einer „Hermeneutik der Reform“, ohne zu sagen, was die „Reform“ sei.

Am Mittwoch aber stehen im Publikum keine Kritiker, sondern lauter Benedikt-Fans. „Benedetto, wir lieben dich! Einen wie dich finden wir nie mehr!“ singen ein paar Italiener mit Inbrunst. Das bayerische Pilgerbüro hat eine Papst-Abschiedsreise organisiert, ein paar Tausend sind eigens für die Generalaudienz nach Rom gekommen. „Das musste einfach sein“, sagt ein junger Goldschmied aus Erding: „Dieser Papst hat mich dermaßen bewegt in meinem Leben.“ Eine Thüringerin, „als Atheistin aufgewachsen“, hat sich als Erwachsene eigens wegen Benedikt taufen lassen. Jetzt hat sie ihren neuen Namen – Eva Benedicta – auf ihr T-Shirt gedruckt, trägt ein Bild des Papstes als Goldmedaillon um den Hals und hält eine Wolke von Luftballons in den Vatikanfarben weiß und gelb über sich.

Als Benedikt XVI. endlich auf dem Petersplatz eintrifft – zum Abschied sogar in einem neuen Papamobil – hat die Sonne die Gesichter der Wartenden schon deutlich gerötet. Zum letzten Mal fährt er durch eine jubelnde Menge. Fast 86 Jahre ist er jetzt alt, aber einen schwächeren Eindruck als bisher macht er nicht. Doch wenn er keine liturgischen Gewänder mit vielen Falten und Spitzen und Rüschen trägt, sondern einen so engen, weißen Mantel wie an diesem Tag, sieht jeder, wie krumm sein Rücken geworden ist. Und wenn er mal nach links segnet und mal nach rechts, dann sehen seine Bewegungen ruckartig aus und mechanisch.

Um ihn herum werden Fahnen geschwenkt – bayerische, polnische, brasilianische, spanische und US-amerikanische. Oben auf dem Dach der Kolonnaden und auf den Gebäuden ringsum sollen aus Sicherheitsgründen Scharfschützen liegen. Das jedenfalls schreiben italienische Zeitungen. Zu sehen aber sind nur die mächtigen Stahlträger-Bühnen, die Scheinwerferbatterien und die Zeltdächer der Fernsehanstalten aus aller Welt, die nahezu jede Dachterrasse in Sichtweite des Petersplatzes besetzt haben. Was ihre Kameras einfangen, sind ausnahmslos fröhliche, friedliche Szenen.

Freude und Dankbarkeit - aber auch schärfster Tadel

Eigentlich sollte es ja auch an diesem Mittwoch eine ganz normale Generalaudienz werden, so bescheiden habe Benedikt XVI. sich das vorgestellt, hieß es im Vatikan. Aber davon kann natürlich keine Rede sein. Die weiße Bühne vor der monumentalen Fassade des Petersdoms bleibt zwar kahl wie üblich, ohne jeden Blumenschmuck. Aber links sitzt in großer Aufmachung das diplomatische Korps und rechts leuchten zahlreich die roten und die violetten Kappen hoher kirchlicher Würdenträger. Zwanzig, dreißig Kardinäle natürlich in den ersten Reihen – und auffallend häufig fährt die Kamera des Vatikanischen Fernsehens ganz nahe an ihnen vorbei: Welches Gesicht soll man sich einprägen? Wer von diesen älteren Herren wird in zwei oder drei Wochen auf der Loggia des Petersdoms die Arme hochreißen?

Benedikt XVI. kümmert sich darum nicht. Gesammelt wie eh und je, mit heiserer, aber fester Stimme, liest er seine letzte „Katechese“ vom Blatt. War bei seinen ersten Messen als Papst noch aufgefallen, wie trotz absolut ruhiger Körperhaltung seine Augen umherblicken, um alles, noch die kleinsten Vorgänge ringsherum wahrzunehmen, so scheint auch diese letzte Unruhe abgeklungen.

Und noch einen Unterschied gibt es. Die letzten Äußerungen des Kardinals Joseph Ratzinger, die kurz vor dem Konklave 2005, nach allgemeiner Interpretation schon als eine Art programmatischer Regierungserklärung fürs Papstamt gedacht waren, sind wegen ihrer Düsternis in Erinnerung geblieben. Da beklagte Ratzinger den „Schmutz in der Kirche“, auch den unter Klerikern, da geißelte er die „Diktatur des Relativismus“ und – auch in der Kirche – die Wankelmütigkeit des Denkens, „diese wechselnden Winde der Lehre, die das Schifflein des Denkens vieler Christen von einem Extrem zum anderen umhergeworfen haben.“

Nach acht Jahren Pontifikat ist von dieser Schwärze nichts mehr zu sehen. Ratzinger verabschiedet sich als geradezu heiterer, auf jeden Fall gelöster Papst. „Mein Herz ist voll von Freude und Dankbarkeit“, sagt Benedikt XVI.: „Die Kirche lebt, das zeigt ihr mir alle, die ihr heute so zahlreich gekommen seid. Das zeigen mir die Briefe, in der mir Brüder und Schwestern aus aller Welt, wie echte Familienmitglieder, ihre Nähe bekunden und die mir zu Herzen gehen.“ Im Amt habe er sich von Gott „wirklich geleitet“ gefühlt: „Jeden Tag habe ich seine Nähe gespürt. Nie war ich allein.“ Und wenn’s für das „Schiff der Kirche heftigen Seegang und Gegenwind“ gab, „dann habe ich immer gewusst, es ist nicht mein, nicht unser Schiff; es ist sein Schiff, der Herr lässt es nicht untergehen.“ Mehrfach unterbricht ihn Applaus, und als er auf seinen Rücktritt zu sprechen kommt, da zücken manche auf dem Platz ihr Taschentuch. „Das Wohl der Kirche und die Liebe zu ihr“, liest Benedikt von seinem Manuskript ab, „verlangt auch schwierige und schmerzhafte Entscheidungen.“

Es folgt, in unverändertem Tonfall, schärfster Tadel. Kardinal Stanislaw Dziwisz, der als Sekretär Johannes Pauls II. dessen ganze Leidensjahre mit durchlebt hat, hatte Benedikt für seinen Rücktritt von Krakau aus kritisiert. „Man steigt nicht herab vom Kreuz!“ hat Dziwisz gerufen, und Benedikt XVI. gibt nun zurück: „Ich steige nicht herab vom Kreuz. Ich bleibe in neuer Weise, im Dienst des Gebets, beim gekreuzigten Herrn.“

Zwei Monate will Benedikt XVI. nun in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo verbringen, bevor er sich ins Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan zurückziehen wird. Die Fensterläden im päpstlichen „Appartamento“ waren schon am Abend vor der letzten Generalaudienz halb geschlossen. „Der Papst packt seine Sachen“, hieß es. Der Rest ist Aufbruch.

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