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In Fahrt. Daniel Craig alis 007 schwächelt zwar, aber wenn es sein muss, kämpft er auch auf dem Dach fahrender Züge.

© Sony Pictures

Der neue Bond-Film: Männerdämmerung: Wohin treibt Bond in "Skyfall"?

Erst war da der coole Charme des Sean Connery. Nun regiert zum dritten Mal der kalte Uncharme Daniel Craigs. Geht in "Skyfall" der scheinbar unkaputtbare James-Bond-Mythos seinem Ende entgegen?

Und wenn die MGM-Pleite vor zwei Jahren, die James Bond fast das Lebenslichtlein ausgeblasen hätte, nur ein gigantischer PR-Trick war? Wenn das monatelange Koma des Uralt-Studios, das bis zur rettenden Sanierungsmeldung Anfang 2011 alle Welt um den analogsten, also irgendwie verletzlichsten Superman dieses Planeten bibbern ließ, nur eine fiese Finte war, um den Milliarden von Bond-Fans die Wartezeit bis zu Abenteuer Nummer 23 unterhaltsam zu verkürzen? Nein, so viel Verschwörungstheorie kann nur durch Köpfe geistern, die sich vor lauter Genrefilmkonsum bloß von Finsterlingen umgeben sehen. So böse darf unsere gute, alte Wirklichkeit nicht sein.

Kein Zufall ist es dagegen, dass „Skyfall“, in dem James Bond zwar nicht vom Himmel, wohl aber vom Dach eines Zuges in die Tiefe stürzt, knapp nach seinem großen Jubiläum ins Kino kommt. Kaum drei Wochen liegen zwischen dem global gefeierten 50. Geburtstag der 1962 mit „James Bond jagt Dr. No“ erfundenen Filmfigur und dem über zwei Wochen sich erstreckenden weltweiten „Skyfall“-Kinostart – beste Gelegenheit, den angejahrten Helden pünktlich zum nächsten Mega-Job medial aufs Schönste abzustauben. Was allerdings auffiel: Launige „Auf die nächsten fünfzig!“-Toasts, sonst zum Pflichtprogramm solcher Jahrestage gehörend, blieben eher aus.

Nicht nur die ersten 50 waren eine lange Zeit, vom heißkalten Krieg der Kuba-Krise bis zum Zeitalter von Terrorismus und Wikileaks, vom coolen Charme Sean Connerys bis zum kalten Uncharme des Daniel Craig, Agent 007 Nr. sechs. Auch die Abstände zwischen den jeweils neuen Bond-Abenteuern erinnern längst eher an den Rhythmus Olympischer Spiele als an die jahrzehntelang üblichen vorweihnachtlichen Biennalen des angenehm aufregenden Familienfilms. Mit sechs Jahren war die Lücke Anfang der Neunziger am größten, bevor der hübsch aalglatte Pierce Brosnan mit „Goldeneye“ den Weltenretterauftrag vom zweimal glücklosen Timothy Dalton übernahm. Und nach Brosnans Ende gönnte sich das Bond-Imperium exakt jene Vierjahrespause, die nun zwischen „Ein Quantum Trost“ und „Skyfall“ erneut verstrichen ist.

Braucht die Welt Bond noch, im Zeitalter der allseits durch Räume und Zeiten schwirrenden Superhelden? Die Frage mag angesichts des Jubiläums- und Neustartgetöses verwegen klingen. Und erst recht: Glauben die britischen Bond-Produzenten, die amerikanischen Finanziers und die japanischen Weltkonzern-Vermarkter selber noch an diese immer wieder neu erschaffene Figur, mal abgesehen vom ökonomischen Reiz, aus 200 Millionen Dollar Budget mal eben 600 Millionen Umsatz zu machen, wie bei den letzten beiden Bond-Filmen? Der Zweifel steckt tief, und – kurioserweise – am tiefsten in den Bond-Filmen selbst.

Dieses neue, melancholische Bond-Gefühl ist eng mit der Neukonzeption der Figur 2006 und mit deren Inkarnation durch den zwar extrem virilen, aber zunehmend zerknitterten Daniel Craig verknüpft. Bereits in „Casino Royale“, mit dem die Bond-Macher auch dramaturgisch insofern alles auf Anfang stellten, als sie auf den ersten Roman Ian Flemings von 1953 zurückgriffen, verliebt sich Bond in seine dienstliche Partnerin Vesper Lynd (Eva Green). Und da sie leider, leider zu Tode kommen muss, ist Bond im einzigen Sequel der Serie, „Ein Quantum Trost“, abgesehen von seinen üblichen Aufräum-Obliegenheiten, überwiegend mit Trauerarbeit beschäftigt. Ein Sakrileg, wenn man so will: Der unverwundbare britische Geheimdienstgott wurde zum Halbgott, mit Achillesferse oder Siegfried-Lindenblatt. Ein Draufgänger wie immer, aber ein seelisch irgendwie Draufgegangener.

„Skyfall“ geht diesen Weg, in dem das Lied vom Tod immer nachdrücklicher gespielt wird, konsequent weiter, und das bereits in der atemberaubend gefilmten zwölfminütigen Eröffnungssequenz. Am Ende der klassischen Verfolgungsjagd – erst in Istanbul per Auto und Motorrad, dann im rasanten Nahkampf auf einem Zugdach in Tunnels und auf Brücken – schaltet er nicht etwa seinen Gegenspieler aus, sondern wird selbst von einer Kugel getroffen, abgefeuert zu allem Überfluss von seiner Außendienstpartnerin Eve (Naomie Harris). Und stürzt elegant übergangslos in die Titelsequenz, zu der die britische Sängerin Adele den soundsatten, sachte auch die klassische John-Barry-Erkennungsmelodie zitierenden Song beisteuert. Er beginnt mit „This is the end“, und anders als sonst unterbrechen die Bilder keineswegs die Dramaturgie, sondern lassen sich mühelos als Nahtodfantasie lesen.

Gewiss, mit seiner Sterblichkeit hat Bond auch früher gelegentlich gespielt, aber eben: gespielt, etwa um Gegner zu narren. Diesmal aber muss er sich nach einer in Suffwettspielen hingebrachten längeren Auszeit geradezu zum Jagen tragen lassen. Zwar wird die von M (wie seit „Goldeneye“ Judi Dench, inzwischen 77) formulierte Todesanzeige denn doch nicht veröffentlicht. Und der einsame, familienlose Wolf darf, nachdem sein Mobiliar bereits irgendwo eingemottet worden war, wieder eine Bude beziehen. Aber er ist außer Form. Nach ein paar Klimmzügen klappt er zusammen, und bei Schießübungen auf Pappkameraden trifft er regelmäßig daneben.

Bonds Lebensmüdigkeit in „Skyfall“ mag vordergründig radioaktiven Munitionsrestbeständen in einer mäßig verheilten Wunde am Schlüsselbein geschuldet sein. Tatsächlich aber laboriert er laut Drehbuch an einem nicht näher bezeichneten Kindheitstrauma und steht, wenn die selber vom nicht gerade freiwilligen Renten-Abschied bedrohte Ersatzmutter und Vorgesetzte M ihn nicht schützen würde, fraglos vor der Ausmusterung. Und auch Daniel Craig strahlt den ganzen Film über vor allem Zweifel und Zerknirschung aus – als müsse er sich in diese vielleicht letzte Mission seines Alter Ego geradezu hineinquälen.

Es ist dann Javier Bardem, der als Bonds Widersacher Silva mit schmierig blondgefärbter Tolle ein gewisses schauspielerisches Funkeln in diesen nach der Titelsequenz überwiegend dauerdüsteren Bond bringt. Allerdings gestattet ihm Regisseur Sam Mendes, der vor seinen eleganten Kino-Psychodramen (von „American Beauty“ bis „Revolutionary Road“) vor allem am Theater reüssierte, auch reichlich deklamatorisch geratene Soli, die den Film zudem actionarm in die Länge ziehen. Auch scheint Bardem in dem Maß, wie Craig mit seiner einsamkeitszerfressenen Figur geradezu verwächst, mit seiner Rolle bloß zu spielen – bis hin in die Gefilde des puren Camp. Ein emotionales Ungleichgewicht, das immer empfindlicher stört.

Oft weisen Sterndeuter des Bond-Universums darauf hin, wie eng die Filme am Zeitgeist orientiert seien. In der Figur des Ex-MI6-Agenten Silva, der seine eigene Rechnung mit M offen hat und folglich im Besitz einer Festplatte mit Agenten-Klarnamen den gesamten Auslandsgeheimdienst Großbritanniens lahmzulegen droht, ist immerhin der Cyberterrorismus verkörpert. Craig dagegen und bald die gesamte „Skyfall“-Dramaturgie drängen massiv ins Retro-Fach. Der überlange Showdown rund um ein abgelegenes Herrenhaus im schottischen Hochland sieht, mit ausgemottetem Aston Martin DB5, Dynamitkisten und abgesägten Schrotflinten sogar ausgesprochen billig aus. Auch hier fehlt es an Balance: Was als zeitgemäßes Actionspektakel beginnt, wird hemmungslos nostalgisch. Nur dass der Humor dem Genre nun auch weitgehend abhanden kommt.

Wohin also treibt Bond? Von seiner mit „Casino Royale“ begonnenen irdischen Mannwerdung bis zur Männerdämmerung ist es nicht weit. Und von der dramaturgisch breit ausgereizten Sterblichkeit einer Heldenfigur bis zu deren definitivem Verschwinden ebenso wenig – ein Topos, mit dem auch Comic-Helden von Batman bis Spiderman zunehmend kokettieren. „Skyfall“ lässt zwar in Sachen Bond selbst alles so offen, wie er sich in anderweitigen Personalien verblüffend festlegt – mehr soll, dem immerhin hier um Geheimhaltung bemühten Verleih folgend, nicht verraten sein. Bonds Ende aber rückt unweigerlich näher, da mag Daniel Craig noch so sehr für Nummer 24 und 25 unterschrieben haben und sogar der nächste Start – 14. November 2014 – bereits feststehen. Macht sie platt, diese Selbstzweifler mit ihren Sozialwaisen-Traumata, ihr Catwomen und Lisbeth Salanders dieser Welt!

"Skyfall" läuft ab Donnerstag im Kino.

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