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Berlin: Visite mit Taktgefühl

Eine Klinik? Eine Ruine! Da begründeten zwei Flugbegleiterinnen und eine Disko das „Sage Hospital“.

Eine Rückblende: Das Gebäude sieht aus wie eine Ruine, aber es ist ein Kinderkrankenhaus. Eine junge Frau betritt das Behandlungszimmer der Klinik in Warang, ein Dorf zwei Autostunden südlich von Senegals Hauptstadt Dakar entfernt. In ihren Armen hält sie ihre drei Tage alten Zwillinge. Die Babys kamen zu früh auf die Welt, sie sind schwach. Doch die medizinische Ausstattung ist schlecht, es gibt keine Brutkästen. Es überlebt nur Hassan, das stärkere Kind.

Mittlerweile ist Hassan elf Jahre alt. Und das Kinderkrankenhaus ist dank Cynthia Clottey und Katharina von Ballestrem längst keine Ruine mehr. Letztere war damals dabei, als die junge Senegalesin mit ihren Babys das Krankenhaus betrat. Durch Zufall, als die Flugbegleiterin während eines Zwischenstopps durchs Land reiste. Das Erlebnis war für sie so prägend, dass sie und ihre Freundin das Hospital wieder aufbauen wollten.

Die beiden starteten eine erste Spendenaktion im bekannten Berliner Sage Club, weil sie mit den Betreibern Nikolaus Hesslenberg und Jan Schröder befreundet sind. Als diese merkten, dass ihre Gäste neben dem Feiern auch einen Sinn für soziale Projekte haben, stiegen sie mit ein und übernahmen die Patenschaft für das Kinderkrankenhaus. Seitdem heißt es „Sage Hospital“. Die Mitglieder des gleichnamigen Vereins sind alle Freunde der Clubchefs – einer war früher „Booker“, ein anderer kümmerte sich um den Webauftritt und wieder jemand anders hat Fotos für den Club gemacht. Jetzt feiern sie zehn Jahre Engagement.

„Die Kinder, die in unserem Hospital geboren werden, kommen fast alle durch“, sagt Ken Schluchtmann. Er ist eines der Mitglieder des neunköpfigen Vereins. Jährlich gibt es um die 80 Geburten, pro Monat kommen 800 Patienten aus einem Umkreis von 50 Kilometern ins Sage Hospital. 80 Cent kostet eine Behandlung, wer das Geld nicht aufbringen kann, wird gebührenfrei versorgt. Neben der Arbeit in der gut ausgebauten Hebammenstation mit Generatoren gehören vor allem Schnitte, Verbrennungen und Ausschläge für die fünf ausgebildeten senegalesischen Pfleger und Schwestern zum Alltag. Eine Kinderärztin leitet die Klinik.

„Im Vergleich zu deutschen Krankenpflegern haben alle ein viel größeres Aufgabengebiet. Sie würden auch operieren“, sagt Schluchtmann. Die Kräfte arbeiten mit Radiograf und Ultraschall in der Pediatrie und Geburtshilfe. Chirurgische Notfälle werden in das nächste größere Regionalkrankenhaus oder nach Dakar gebracht, weil es keinen sterilen Saal gibt. Monatlich fallen für Betriebs- und Personalkosten 1200 Euro an. Jedem Mitarbeiter wird ein fester landestypischer Gehaltssatz überwiesen – denn wer mehr verdient als üblich, ruft Neider hervor. Eine Kasse vor Ort ermöglicht es den Verantwortlichen, Reparaturen oder dringende Anschaffungen zu erledigen. „Das sind alles feste Beträge, wir wissen genau, wo unser Geld hinfließt“, sagt Schluchtmann.

„Es hat ungefähr fünf Jahre gedauert, bis alles selbstständig funktioniert hat“, sagt Initiatorin Cynthia Clottey. Die Einheimischen wollten keine Hoffnungen aufbauen, die nachher wieder zerstört werden. „Aber wir waren regelmäßig dort und sie haben immer sofort alles realisiert, was wir ihnen vorgeschlagen haben“, sagt Clottey. In der Anfangszeit waren sie und Katharina von Ballestrem mehrmals im Jahr dort, weil sie als Flugbegleiterinnen damals öfter den Senegal anflogen. Mittlerweile fliegt das Team ein- bis zweimal pro Jahr auf eigene Kosten in der Freizeit in das 3000-Seelen-Dorf, um größere Projekte voranzutreiben. Ende Oktober wollen sie das Dach, die Elektrik und die Sanitäranlagen erneuern. „Wir werden immer mit Schildern vom Flughafen abgeholt. Jeder von uns hat Freunde unter den Einheimischen gefunden“, sagt Initiatorin Cynthia Clottey. In kürzester Zeit müssen all die Ziele des Teams dann umgesetzt werden.

Die Schwierigkeiten fangen meist schon beim Verschicken des alljährlichen 30-Kubikmeter-Containers an: Wochenlanges Warten auf Einfuhrgenehmigungen vom Zoll ist normal. Sie behelfen sich manchmal auch mit einem Trick: Ganz vorn in den Container legen sie Kuscheltiere, alte Fernseher oder alte Kinderfahrräder. Denn es könne schon mal vorkommen, dass der ein oder andere Offizielle ein Geschenk erwarte, und dann ist der Verlust dieser Sachen gut zu verkraften.

Wenn man nicht wie Cynthia Clottey perfekt Französisch spreche, gebe es generell viel Spielraum für Interpretationen. Bei der Arbeit vor Ort mit lokalen Kräften geben die Berliner freundlich Hinweise, überprüfen alles. „Aber es freuen sich alle auf die gemeinsame Arbeit. Jeder weiß, dass wir etwas verbessern.“ Es gibt keinen Vandalismus, nichts werde gestohlen.

Die Zusammenarbeit funktioniert so gut, dass andere Hilfsorganisationen sich das Modell angucken kommen. „Aber viele verstehen auch nicht, wieso es bei uns so gut funktioniert, obwohl wir im Gegensatz zu ihnen kaum vor Ort sind“, sagt Cynthia Clottey. Sie erklärt sich das auch mit dem Spirit des persönlichen Projektes: „Wir freuen uns auf die Arbeit, wir wollen einfach raus und anpacken. Und daneben feiern und essen wir auch immer zusammen.“

Auch wenn es dank einer Spende von „Ein Herz für Kinder“ jetzt im Sage Hospital Sauerstoffgeräte, ein Ultraschallgerät und zwei Brutkästen gibt, fehlt es an wichtigen Medikamenten und Verbandsmaterial. Versuche, von Pharmakonzernen Medikamente zu bekommen, die zum Beispiel wegen Dellen in der Packung aussortiert wurden, aber sonst eine einwandfreie Qualität aufweisen, sind bisher fehlgeschlagen. „Es wäre toll, wenn wir auch an verschreibungspflichtige Medikamente herankommen würden“, sagt Cynthia Clottey. Dazu gehören Infusionslösungen, Malaria-Prophylaxe oder einfach Antibiotika. „Die Arbeit dort holt einen auch auf den Boden der Tatsachen zurück“, sagt Vereinsmitglied Branko May.

Kontakt: Sage Hospital e.V., Telefon 0173 528 05 11, www.sagehospital.de, E-Mail an: mail.info@sagehospital.de

Kristina Wollseifen

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