zum Hauptinhalt
Flughafen bei Nacht. Enteisungsmannschaften arbeiten ohne Unterbrechung auf dem Rollfeld.

© REUTERS

Update

Wetterchaos in Deutschland: Das große Bangen vor Weihnachten

Der Winter hat Deutschland weiter fest im Griff: Flugausfälle, volle Züge, neue Schneefälle, Staus auf den Autobahnen – die Fahrt zum Weihnachtsfest ist nur mit Demut zu bewältigen.

Nicht jeder nahm das Winterchaos auf dem Frankfurter Flughafen so gelassen wie die beiden US-Soldaten David Samuel und Tyler Mason. Sie haben sich in der Nacht zum Montag mit ein paar Dosen Bier und einigen Magazinen auf den Feldbetten im Terminal 2 eingerichtet. „Wir schlafen immer so, wenn wir im Einsatz im Irak sind“, sagt Samuel. Die beiden Soldaten gehören zu den rund 500 Passagieren, die die Nacht auf Deutschlands größtem Airport verbringen mussten. Andere Passagiere, die zum Teil die dritte Nacht dort verbrachten, waren weniger entspannt, fügten sich aber demütig in ihr Schicksal. Das ist wohl die einzige Haltung, mit der man sich vor den Weihnachtsfest auf die Reise machen kann. Auch wenn auf den europäischen Flughäfen von leichter Erholung die Rede ist und es am Montag auch bei der Bahn graduell wohl etwas besser aussah als am Wochenende – wer zum Fest zu seiner Familie will, muss sich auf Behinderungen einstellen.

Volle Züge

Viele Fluggäste haben nach dem Flugchaos am Wochenende von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihr Ticket gegen eine Bahnfahrkarte einzutauschen. Das berichtet Lufthansa-Sprecher Wolfgang Weber. Doch auch die Bahn hatte Probleme, obwohl der große Ansturm am Montag etwas nachließ. Im Fern- und Regionalverkehr fielen weiterhin Züge aus und es gab teils erhebliche Verspätungen. Auf den Strecken Berlin-Brandenburg, Berlin-Königswusterhausen wurden Verbindungen gestrichen, auf der Strecke nach Cottbus wurden einige Züge durch Busse ersetzt. Im Fernverkehr kam es zu Verspätungen, weil die ICEs derzeit höchstens 200 km/h fahren dürfen. Ihre Warnung vom Wochenende, nur solche Reisen anzutreten, die unbedingt nötig sind, wollte die Bahn am Montag aber nicht wiederholen: „Wir bedienen alle Linien und alle Richtungen“, sagte ein Sprecher. Offenbar hat der einmalige Aufruf, auf die Bahn zu verzichten, Wirkung gezeigt. Die Lage entspannte sich etwas.

Angst vor Reisewelle am Donnerstag

Die Zeit bis Heiligabend könnte für viele Autofahrer in Deutschland schwierig werden. Schließlich startet die Reisewelle vor den Festtagen bei denkbar ungünstigen Straßenverhältnissen. Der ADAC prophezeit schon jetzt lange Staus. In ganz Deutschland ist es damit mehr als fraglich, wann die nach dem Ende der Schule am Donnerstagnachmittag startenden Autokarawanen ihr Bestimmungsziel erreichen. „Betroffen sind nicht nur die Fernstraßen, sondern auch die Wege in die Innenstädte“, sagte eine Sprecherin des Automobilclubs. Viele Menschen würden ihre Weihnachtsgeschenke eben doch auf den letzten Drücker besorgen wollen und würden sich dann auf verstopften Straßen wiederfinden.

Hunderte Unfälle im Berliner Umland

Auch gestern kam es wieder zu chaotischen Zuständen, die in ganz Deutschland zu Hunderten Unfällen führten. Stark betroffen war auch das Berliner Umland. Laut Innenministerium wurden von Mitternacht bis zum Nachmittag 203 Unfälle registriert. Auf dem gesamten Berliner Ring gab es Behinderungen. Am Montag waren fast alle Staus auf den märkischen Autobahnen durch querstehende Lastkraftwagen ausgelöst worden: Mehr als 35 Kilometer lang stauten sich die Autos auf der A 13 zwischen Freiwalde und Mittenwalde in Richtung Berlin, gleich zweimal musste die Autobahn voll gesperrt werden. Auch auf der A 2, der A 9 und der A 24 waren querstehende Lkw die Ursache für Staus – ebenso wie auf der A 10, die bei Königs Wusterhausen voll gesperrt werden musste. „Wir denken auch angesichts der knappen Salzvorräte darüber nach, ob ein zeitweiliges Fahrverbot für Lkw auf Autobahnen ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen Sinn macht“, sagte der Vorstandsvorsitzende des brandenburgischen Landesbetriebs Straßenwesen, Hans-Reinhard Reuter, dem Tagesspiegel: „Allerdings sind die Lastkraftwagen ja nicht zum Spaß unterwegs, auch die Versorgung der Bevölkerung ist wichtig. Das muss gut abgewogen werden.“

Räumdienste im Großeinsatz

In ganz Deutschland stehen die Räumdienste vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Wohin mit den weißen Massen? Rund um Dresden, Görlitz oder Chemnitz in Sachsen sind die Berge rechts und links der Fahrbahnen inzwischen so breit, dass zwei Fahrzeuge nicht mehr problemlos aneinander vorbeifahren können. „Daher stellen wir die Tanklastzüge zu den Tankstellen im Erzgebirge nach wie vor zu Kolonnen zusammen, für die wir die Straßen vorher sperren“, erklärte ein Polizeisprecher in Chemnitz die Strategie. „Sonst würden sie sich einfach festfahren oder bei einem Ausweichmanöver womöglich in den Graben rutschen.“

Sprit wird örtlich knapp

Einigen Tankstellen in Deutschland ist wegen des anhaltenden Wetterchaos erneut der Sprit ausgegangen. Der Verband der Mineralölwirtschaft sprach am Montag von vereinzelten Versorgungsengpässen bei Benzin und Diesel – vor allem in Nordrhein-Westfalen, wo zeitweise ein generelles Fahrverbot für Gefahrguttransporte galt. Tanklastzüge dürften auf den glatten Straßen aus Sicherheitsgründen nicht fahren. „Für die Mineralölunternehmen hat Sicherheit oberste Priorität“, betonte Verbandsgeschäftsführer Klaus Picard.

Bereits am vergangenen Freitag war Treibstoff an einigen Tankstellen zur Mangelware geworden, vor allem im Erzgebirge, im Thüringer Wald und im Harz. Nach Verbandsangaben konnten einige Lieferrückstände durch die Lockerung des Sonntagsfahrverbotes in Sachsen und Bayern aufgeholt werden. Im Osten Deutschlands gab es zu Wochenbeginn keine Probleme, hieß es. Deutschland verfüge mit fast 15 000 Tankstellen über ein sehr enges Versorgungsnetz, sodass Verbraucher selbst beim Ausfall einzelner Stationen auf andere Tankstellen ausweichen könnten. Die derzeitigen Versorgungsengpässe seien nur „regional begrenzte und temporäre Ereignisse“.

Streusalz nur noch für die rechte Spur

Die Menge des Schnees hat offenbar auch alle Pläne für die Streusalzlager zur Makulatur gemacht. Fast überall sind die Vorräte aufgebraucht. Das überrascht umso mehr, weil es das gleiche Problem schon Anfang des Jahres gegeben hatte. Aber an eine Wiederholung des heftigen Wintereinbruchs hatte offenbar in den zuständigen Behörden der Städte und Länder niemand gedacht. „Wir können uns nur noch auf Autobahnen, wichtige Bundes- und Landstraßen sowie besondere Gefahrstellen konzentrieren“, räumte der Chef des Landesbetriebes Straßenwesen, Reuter, ein. „Bundesweit gehen die Salzvorräte zur Neige. Wir hoffen zwar auf baldigen Nachschub, aber mit einer Entspannung der Lage ist derzeit nicht zu rechnen.“ Schon seit Sonntag seien einige Salzlager leer. Die beauftragte Firma aus Sachsen-Anhalt könne nicht liefern. Die Folgen dieser Sparmaßnahmen konnten gestern auf dem gesamten Berliner Autobahnring beobachtet werden.

Da das kostbare Salz hauptsächlich auf der rechten Fahrspur gestreut wurde, waren die Überholspuren spiegelglatt. Zahlreiche Autofahrer mussten diese Erkenntnis ziemlich bitter erfahren, indem sie ins Schleudern gerieten, gegen die Leitplanke oder mit anderen Autos kollidierten. Der oberste Herr über die rund 1000 Beschäftigten in den Straßenmeistereien, die mit 400 Fahrzeugen das Brandenburger Netz instand halten sollen, hat daher für die Autofahrer diese Ratschläge parat: „Beachtung der Winterreifenpflicht, genügend großer Zeitpuffer bei der Reiseplanung, eine Decke, eine Schaufel und ein kleiner Sandvorrat im Kofferraum.“ Inzwischen mehren sich die Forderungen, für Lastwagen das Aufziehen von Schneeketten zu verlangen. Experten warnen aber, dass dadurch die Fahrbahnen beschädigt würden.

Schneerekord zum Weihnachtsfest

Bis zum Fest soll es trotz zwischenzeitlicher Plusgrade erneut schneien. „Für Berlin erwarten wir zu Weihnachten einen Schneerekord“, sagte Ulrich Cubasch, Professor für Meteorologie an der FU, dem Tagesspiegel. „Wir schätzen, dass trotz Tauens noch etwa 25 Zentimeter Schnee liegen bleiben.“ Der bisherige Höchststand zu Weihnachten seit 1900 betrug 17 Zentimeter im Jahr 1981. Auch 2001 war das Fest schneereich mit 16 Zentimeter. „Aber all das ist deutlich weniger als wir jetzt erwarten.“ mit dapd/dpa

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false