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Wohin hat Papst Benedikt die Katholische Kirche geführt?

© dpa

Papst Benedikt und Europas Katholiken: Geschichte einer Entfremdung

„Wir sind Papst“ titelte die Bildzeitung stolz nach der Wahl von Papst Benedikt XVI. Doch nach der Jubelschlagzeile kam die Enttäuschung zwischen Europas Katholiken und Benedikt.

Berlin - Das Verhältnis der Deutschen und besonders der deutschen Katholiken zu Joseph Ratzinger war nie einfach. Spätestens seitdem Ratzinger Chef der römischen Glaubenskongregation geworden war, hagelte es regelmäßig Kritik aus Rom: zu kritisch, zu aufmüpfig, zu protestantisch waren ihm die Deutschen. Als aus Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI. wurde, titelte die Bildzeitung zwar stolz „Wir sind Papst“. Doch die Euphorie verflüchtigte sich schnell.

Eigentlich hätte kaum ein anderer Bischof auf dem Heiligen Stuhl die Deutschen so gut verstehen können wie der deutsche Papst Benedikt. Auch sein großes Ziel, das er sein Leben lang verfolgt hat, Glauben und Vernunft zu versöhnen, ist ein europäisches und deutsches Anliegen. Doch im Laufe der vergangenen Jahre verkörperte der zarte, vergeistigte Benedikt für viele gerade die Distanz, die sich aufgetan hat zwischen der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in Europa und der kirchlichen Lehre.

Schon bald nach Beginn seines Pontifikats zeichnete sich ab, dass es mit Benedikt keine Reformen in der Kirche geben würde, keine Antworten auf die drängenden Fragen, die gerade auch die deutschen Katholiken seit Jahren umtreiben: Weder würde er den Zölibat abschaffen noch Frauen Zugang zu geistlichen Ämtern öffnen; den wiederverheirateten Geschiedenen machte er keine Hoffnung, dass sie am Altar des Herrn einen Platz finden würden. Auch in Fragen der Sexualmoral ließ Benedikt wenig Reformwillen erkennen. Als er schließlich 2009 auf die reaktionäre Piusbruderschaft zuging und auf deren Wunsch hin wieder die alte Messe zuließ, obendrein mit einem Karfreitagsgebet für die Bekehrung der Juden, schmolz bei vielen vollends die Hoffnung auf einen Aufbruch dahin wie das Eis in der Frühlingssonne.

Dreimal hat Papst Benedikt Deutschland besucht: 2005 kam er zum Weltjugendtag nach Köln, 2006 bereiste er seine bayerische Heimat, 2011 führte ihn sein Staatsbesuch nach Berlin, Erfurt und Freiburg. In Berlin kehrte die Hoffnung noch einmal zurück, dass dieser Mann doch etwas bewegen, die Herzen der Menschen berühren könnte. Die Berliner reservierten für ihn das Olympiastadion, die größte Arena, die es in der Hauptstadt gibt. Hunderttausende Menschen jubelten ihm zu. Die Ansprache, die er vor Abgeordneten im Bundestag hielt, beeindruckte viele. Es ging um sein Lebensthema, um sein Vermächtnis an die Deutschen. Es ging um die individualisierte, freiheitliche Gesellschaft und die Gefahr, die ihr nach Meinung Benedikts droht, weil den Menschen die klaren Werte, die Religion, die Wahrheit aus dem Blick zu geraten scheinen. Die westlichen Gesellschaften begeben sich auf eine gefährliche, schiefe Bahn, warnte der Papst. Das Thema hatte er bereits 2005 in Köln intoniert, ebenso 2006 in München, damals auf eine wenig freundliche Art. Im Berliner Reichstag wählte er die sanfte, werbende Variante: ein hoffnungsvoller Auftakt für die Reise.

Am nächsten Tag traf er sich in Erfurt mit Vertretern der evangelischen Kirche. Auf Benedikts Wunsch hin fand das Treffen im Augustinerkloster statt, an jenem Ort also, wo Martin Luther, der in katholischen Kreisen bis heute als Kirchenspalter gilt, Mönch war. Eine Sensation! Die Tatsache, dass ein Papst diesen Ort betreten hat und warme Worte für Luther fand, wird in die Geschichtsbücher eingehen. Doch was er den heute lebenden Protestanten sagte und in welch schroffer Art und Weise er das tat, werteten Vertreter der evangelischen Kirche als „Ohrfeige“. Sie würden sich ihren Glauben zurechtbasteln, warf er ihnen vor. Ihre Hoffnungen auf schnelle ökumenische Fortschritte seien eine Zumutung. Beobachter werteten den Tag als Tiefpunkt in den offiziellen Beziehungen der Kirchen zueinander.

Einen Tag später traf Benedikts Verbitterung bei schönstem Septemberwetter die eigenen Bischöfe und Gläubigen. Der Tenor seiner Reden in Freiburg: Die Deutschen hätten zwar viel Geld und spendeten viel, aber mit dem Glauben an Gott sei es nicht weit her. Agnostiker, die von der Frage nach Gott umgetrieben würden, seien näher am Reich Gottes „als kirchliche Routiniers, die in ihr nur noch den Apparat sehen, ohne dass ihr Herz vom Glauben berührt wäre“. Selbst diejenigen, die es stets gut mit Benedikt meinten, fühlten sich brüskiert. Kurz vor dem Abflug erklärte er, dass sich nicht die Kirche ändern müsse, sondern die Katholiken frommer werden müssten. Die Krise der Kirche in der westlichen Welt sei eine Glaubenskrise. Strukturen zu verändern, nutze nichts.

Besuchern aus seiner Heimat erzählte Papst Benedikt in den vergangenen Monaten, wie enttäuscht er sei, dass die katholische Kirche mit ihren Appellen kaum noch durchdringe, und wie wenig er sich verstanden fühle.

Doch seine kulturpessimistischen Diagnosen halfen weder seinen Bischöfen und Priestern weiter, noch fühlten sich die Gläubigen ernst genommen. Die tiefe Glaubwürdigkeitskrise der Kirche spätestens seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle lässt sich so nicht lösen. Vor zwei Wochen ergab eine Studie, dass selbst unter den treuesten Anhängern der Kirche nur noch eine Minderheit an ihre Lehrsätze glaubt. Die Individualisierung in Glaubensdingen nimmt auch unter den katholischen Kirchendächern rasant zu. Benedikt sah sich als Hüter der Tradition. Visionen für die Zukunft zu entwickeln, gehörte nicht zu seinen Stärken. Auch deshalb legt sich mehr und mehr eine Traurigkeit, eine Melancholie über die katholische Kirche in Deutschland.

Trotz aller Entfremdung könnte es sein, dass die Deutschen Papst Benedikt bald vermissen werden. Ein Nachfolger aus einem anderen Kontinent dürfte noch weniger zu jenen Reformen bereit sein, die sich viele Katholiken hierzulande wünschen. Die Zukunft, nach der sich viele sehnen, könnte schon vorbei sein.

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