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Die "Atomkraft? Nein danke!"-Buttons haben den weiten Weg nach Japan gefunden.

© Ulrike Scheffer

Japan-Tagebuch: Die Japaner können auch anders

Mitten in Tokio hat sich eine alternative Szene etabliert. Dazu gehört auch eine Gruppe, die sich „Aufstand der Amateure“ nennt und gegen Konsumterror und Atomkraft protestiert.

Die Japaner können auch anders. Die können sogar Berlin. Der Tokioter Stadtteil Koenji ist so etwas wie das Kreuzberg oder Friedrichshain der japanischen Hauptstadt. Kleine Bars und Restaurants gibt es hier, mit fröhlichen, entspannten Gästen. In Koenji leben Künstler, Studenten und jede Menge Aussteiger. Das sind vor allem junge Japaner, die ihr Leben nicht als schwarz gekleidete Salarymen, Büroangestellte, fristen wollen. Denn dann müssten sie dem Job alles andere unterordnen.

Einer, der sich dem von Anfang an verweigert hat, ist Hajime Matsumoto. Er betreibt in Koenji gleich mehrere Secondhand-Läden, in denen er Möbel und Elektrogeräte verkauft. Und er ist Mitbegründer von „Shiroto No Ran“, dem „Aufstand der Amateure“. Der Name war ursprünglich eher ironisch gemeint, doch seit der Erdbebenkatastrophe vom vergangenen Jahr hat sich aus der Truppe alternativer Konsumverweigerer tatsächlich eine Protestbewegung entwickelt. Als im März 2011 das Atomkraftwerk von Fukushima außer Kontrolle geriet und sich radioaktive Strahlung bis nach Tokio ausbreitete, beschlossen Matsumoto und einige seiner Freunde, einen Marsch gegen Atomkraft zu organisieren. Über Internet und Telefon informierten sie ihre Bekannten und meldeten schließlich eine Demonstration mit 500 Teilnehmern an. Doch es kamen 15.000. Fünf weitere Demos folgten, an denen teilweise bis zu 20.000 Menschen teilnahmen. „Für Japan war das eine unglaublich große Zahl“, erklärt Matsumoto, der weiß, dass der Anti-Atomprotest in Deutschland ganz andere Dimensionen hatte. Doch Japaner neigen nicht dazu, sich offen gegen etwas aufzulehnen.

Heute kümmert sich Matsumoto wieder hauptsächlich um seine drei kleinen Läden. Allerdings sind die ebenfalls eine Art von Protest. Ein Aufstand gegen Konsumterror und Leistungsdruck. „Daran gehen wir hier in Japan langsam aber sicher kaputt“, sagt er. Die Leute von „Shiroto No Ran“, Ladenbesitzer wie Matsumoto zumeist und Künstler, wollen zeigen, dass es auch anders geht. Und sie haben Ideen. „Shiroto No Ran“ betreibt beispielsweise eine Bar, die Arbeitslose jeweils für einen Abend als Chef übernehmen können, um etwas Geld zu verdienen.

Ulrike Scheffer
Ulrike Scheffer

© Tsp

Aus der Gegenkultur ist inzwischen eine Art Sozialunternehmen geworden. Die Anti-Atomproteste dagegen ebben allmählich ab. Zur letzten Demo im Februar kamen nur noch 500 Teilnehmer. Ob es eine weitere geben wird? „Wahrscheinlich nicht“, sagt Matsumoto. „Die Leute geben einfach zu schnell auf.“ Er selbst verkauft in seinem Laden aber weiter deutsche Anti-Atomkraftanstecker. „Dinge ändern sich hier nicht so schnell, aber irgendwann werden auch wir unsere Atomkraftwerke abschalten.“

Japans Regierung will die Ereignisse des vergangenen Jahres aufarbeiten und hat Journalisten aus aller Welt zu einer Rundreise eingeladen. Für den Tagesspiegel ist Ulrike Scheffer exklusiv dabei. Lesen Sie hier ihre anderen Berichte.

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