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Philippinen: Die Hilfe nach dem Sturm

Taifune kennen sie auf den Philippinen, aber dieser hat ihre schlimmsten Vorstellungen übertroffen. Im Norden der Insel Cebu sind fast alle Häuser zerstört, der Sturm traf die Gegend heftig. Die Menschen dort erreicht nun Hilfe aus dem Ausland. Für viele sieht sie aber anders aus als erhofft.

Je höher es in den Norden geht, desto mehr Kinderhände recken sich gen Straße. Mädchen und Jungen, manche von ihnen stolpern mehr, als dass sie laufen, halten Pappschilder in die Höhe: „Wir brauchen Essen und Wasser“, steht darauf auf Englisch. Manche springen auf die Straße und landen fast auf dem Kühler. Taifune sind sie hier gewöhnt, aber dieser, den sie auf den Philippinen Yolanda nennen, hat alles Dagewesene auf grausame Weise überboten. Auch der Norden der Insel Cebu, durch den jetzt der Wagen rollt, lag in der Schneise des Monstertaifuns, der vor gut einer Woche mit zerstörerischer Wucht an Land ging. Das Technische Hilfswerk hat sich am Freitag mit zwei Wasseranlagen auf den Weg nach San Remegio gemacht, 19 Mann wollen von dort aus rund 40 000 Menschen mit Trinkwasser versorgen. „Hier sind 90 Prozent der Gebäude zerstört“, sagt Teamleiter Peter Görge. Das Ausmaß der Schäden sei mit denen nach dem Erdbeben auf Haiti 2010 zu vergleichen. Caesar Montellin sagen solche Vergleiche nichts. Der 62-Jährige steht verstört vor den Überresten seines einst geräumigen Hauses. Eine zehnköpfige Familie hat hier gewohnt, wo jetzt Holzbalken und Möbel wild durcheinanderliegen. Das Dach hat es ein paar Meter weiter ins Feld getragen. Der Taifun hat sogar die Betonverankerungen der tragenden Balken aus dem Boden gerissen. 1982 hat Montellin sein Haus in San Remegio gebaut. Bei früheren Stürmen hatten sich die Nachbarn zu ihm geflüchtet, jetzt ist sein Haus praktisch weg.

Um 9.45 Uhr kam der Sturm herangefegt, Montellin wollte gerade das Haus verlassen. Jetzt zeigt der Mann mit Basecap, T-Shirt und Machete am Hosenbund mit ausladenden Handbewegungen auf seinen einstigen Schweinestall. Notdürftig haben sie nach dem Sturm Schuhe und Schulsachen wieder zusammengesucht. Über einer schmalen Bank hat Montellin eine leuchtend blaue Plane gespannt, dort schläft er seither, passt auf das Verbliebene auf und kümmert sich um die zwei Schweine, sieben Ziegen und die Hühner. Der Rest der Familie wohnt in der Schule. „Aber die wollen sie jetzt wieder aufmachen“, klagt seine Tochter Judyzar. Die 39-Jährige will nicht in das zerstörte Heim ziehen. Ihr Vater hat noch nicht mit dem Aufbau begonnen. „Wenn wieder Geld da ist“, sagt er. Vielleicht steht er noch unter Schock. Anderswo hämmern und sägen sie schon kräftig.

Sie waren vorbereitet, doch das half nicht

In Tagaytay ein paar Kilometer weiter sind lokale Helfer der Organisation Ananda Marga Universal Relief (Amurt) schon vor ein paar Tagen mit Essensrationen vorbeigekommen. Heute sind sie wieder da. Sie werden begrüßt von 80 Kindern, die jetzt beim Aufräumen helfen müssen. Alle Sachen seien nass und dreckig, klagen sie, und ihre Schule sei verwüstet. Sie schauen die Männer mit fragenden Augen an. Doch die Helfer können nicht mit anpacken, sie sind auf einer Erkundungstour, um sich einen Überblick über die Schäden zu verschaffen und müssen weiter. Kurt Behringer, ein Mittsechziger, der vor 30 Jahren Nürnberg verlassen hat und seither auf der ganzen Welt im Katastropheneinsatz ist, gibt es unumwunden zu: Es gehe den Menschen im Dorf noch zu gut. „Ihr seid in einer schwierigen Situation, aber andere haben alles verloren“, sagt er den enttäuschten Kindern.

Oben auf dem Hügel hat der Taifun auch das Dach der Kapelle weggerissen. Nebenan streift ein Mann durch seine verstreuten Habseligkeiten. Der hagere Alte mit dem gegen die Sonne um den Kopf gewundenen Handtuch ist Schreiner, den Hammer und seinen Nagelbecher hat er über dem blauen Unterhemd um den Leib gebunden, hinter einem Ohr steckt ein Stift. Der schweigsame Mann strahlt eine tiefe Traurigkeit aus, als er auf sein Grundstück geht. Am Boden liegen T-Shirts und Hosen, ein Ventilator und die Wanduhr. Sie ist um zehn vor zehn stehen geblieben. Hier brach Yolanda am Tag herein. Wie ein zynischer Gruß aus der Vergangenheit klingt der Spruch auf der Uhr: „Make your dreams come travel.“ Sie waren auf den Taifun vorbereitet, sagt die Nichte. „Wir hatten die Sachen gepackt und sind zu Nachbarn“, aber ihr Gepäck sei davongeflogen in dem Wahnsinnswind. Und auch ihr Unterschlupf hielt dieses Mal nicht lange stand. „Wir sind von einem Haus zum anderen gelaufen.“

Mit jedem weiteren Kilometer nordwärts werden die Schäden größer. Von vielen Bäumen stechen nur noch Stämme in den aufreizend blauen Novemberhimmel. Kaum eine Bananenstaude steht noch, Kokospalmen lassen die Wedel hängen, Dächer auch von großen Betongebäuden sind abgedeckt, manchen Häusern hat es ins obere Stockwerk ein großes Loch gerissen. Wer es sich leisten kann, nagelt neues Blech aufs Haus, andere klopfen alle verbogenen Nägel halbwegs gerade und verwenden auch das Blech nach notdürftiger Reparatur wieder.

Die Hilfskonvois werden aus Angst vor Plünderern begleitet

Auf dem Platz vor dem Rathaus der Gemeinde Daan Bantayan an der Nordspitze der Insel hängen noch Teile von Wellblechdächern in den Baumstämmen, die Laternen hat es fast alle umgehauen. Viele Menschen suchen vor der Kirche und der Schule ein schattiges Plätzchen in der Mittagshitze. Am anderen Ende des verlassenen Platzes ist gerade ein riesiger Truck mit Zelten aus Frankreich angekommen. Die nimmt der Mitarbeiter der Provinzregierung in Empfang und trägt alles in ein A5-Schulheft ein. „Das ist schon die zweite Welle der Hilfe“, sagt Dann Marr und streicht stolz über sein Heft. Neben seinem Tisch im Eingang des Stadthauses stapeln sich Reissäcke, vor ihm liegen dicke Zeltplanen. „Wir müssen erst noch feststellen, wer wirklich bedürftig ist“, sagt der 24-Jährige, derzeit Herr über die Hilfe für die 86 000-Einwohner-Stadt. 20 000 Haushalte haben die offiziellen Helfer als bedürftig ausgemacht, mit je drei bis fünf Personen. Die Feststellung, dass er damit fast alle Bürger erfasst habe, macht ihn erst einmal ein wenig verlegen. Das sei ja auch der Grund, weshalb man die Verteilung der Hilfsgüter eingestellt habe. Er schickt gleich mal einen Mann mit Megaphon vor die Tür, der wirkt etwas hilflos, als er über den fast menschenleeren Platz brüllt, dass man erst noch einen Plan aufstelle, wann die Zeltplanen verteilt werden. Dann Marr ist zufrieden, wie es läuft. 800 Sack Reis hätten sie schon ausgegeben, nur zwei der 18 zur Kommune gehörenden Ortschaften habe man noch nicht erreicht. Er hat sich gerade eine neue Simcard besorgt, hier oben funktioniert bisher nur eins der Handynetze wieder. Das Haus, in dem er sitzt, sei quasi das einzige, das man in dieser Notlage nutzen könne, darum arbeitet auch die Verwaltung seit dem Supersturm nicht mehr. Sie hätten alles gut im Griff, auch wenn längst noch nicht genug Hilfe angekommen sei.

Während sie in Daan Bantayan in aller Ruhe die Hilfe organisieren, trauen viele dem Frieden nicht. Die Hilfskonvois werden aus Angst vor Plünderern alle von Wachleuten auf Mopeds, der Polizei oder sogar Militär begleitet. Auf Cebu hat Yolanda keine meterhohe Flutwelle ins Land geschoben wie in der Bucht von Tacloban. Insgesamt 69 Tote wurden von hier gemeldet, 102 Verletzte und fünf Vermisste zählt die Statistik. In vielen Teilen der Insel ist die Stromversorgung ausgefallen, Leute trocknen auf den tief hängenden Leitungen ihre Wäsche, an einigen Orten liegen sie quer über der Straße – und mancherorts schaukeln Kinder auf umgefallenen Masten. In anderen Regionen, vor allem Leyte und Samar, wo auch Tacloban liegt, wurden bereits mehr als 2100 Leichen gezählt, rund 3500 Menschen verletzt. Auch hier wollen die Amurt-Leute helfen. Sie haben für 5000 Dollar zusammen mit einer gut vernetzten Freiwilligengruppe einen Lastwagen mit Hilfsgütern losgeschickt. Zwölf Lkws sollten ins Krisengebiet fahren, mit je drei bis vier Soldaten, sagt ihr lokaler Chef John Fields. Doch dies gestaltete sich im Hinterland als verdammt gefährlich – am Ende fuhren nur zwei Trucks mit 25 Soldaten. Die anderen mussten warten.

Kontakt in die ärmste Region? Schwierig

Solche Probleme haben sie auf der Insel Cebu derzeit nicht. Der feste Kern der Amurt-Helfer hat sich bei John Fields versammelt. Fields, ein Amerikaner aus Portland, der schon in den 70ern zu der Organisation stieß, führt auf Cebu ein sogenanntes Wellnesscenter – bei ihm können Touristen bei recht spezieller vegetarischer Kost, einem wöchentlichen Fastentag gepaart mit Yoga und Meditation ihren Körper entgiften. Der Mittsechziger mit grauem Bart und grauem Zopf lässt seine Mitarbeiter nachts Hilfspakete zusammenstellen, die sie tagsüber verteilen.

Am Freitag haben sie zusammen mit ihren Kollegen von der Duisburger Kindernothilfe ihre Rationen verteilt. Der Besitzer eines kleinen Beach Resorts in Puntamara Villa hat dafür die Wiese hinter seinem Hotel zur Verfügung gestellt. Andrino Guillermo ist pensionierter Lehrer, Yolanda hat seine Strandhütten verwüstet und 200 seiner 400 Kokospalmen gefällt. Im Garten des geschäftstüchtigen Mannes kreischen die Motorsägen. Er lässt die kaputten Palmen bereits zu Brettern verarbeiten. John Fields ist froh über die Hilfsaktion, denn diese Leute leiden wirklich, sagt er. Das wollte er seinen deutschen Begleitern heute auch zeigen. Doch trotz all der fürchterlichen Zerstörungen will Amurt-Südostasien-Koordinator Kurt Behringer hier nicht einsteigen. „Dafür ist mir mein Geld zu schade“, verkündet er kurz und knapp. „Die Leute hier werden schwierige finanzielle Zeiten haben, aber ihre Lebensgrundlagen sind nicht bedroht. Meine Geber wollen aber nicht Lebensverhältnisse verbessern, sondern Leben retten.“ Der Auslandschef der Kindernothilfe, Christoph Dehn, der selbst neun Jahre auf den Philippinen gelebt hat, drückt es diplomatischer aus, aber auch er will in der Gegend nicht langfristig einsteigen. Dann schon eher in Samar, im Osten der Inselgruppe gelegen. Es ist eine der ärmsten Gegenden der Philippinen, dort schlug Yolanda als erstes aufs Land, die Schäden sollen riesig sein, der Kontakt dorthin ist aber bis heute schwierig. Am Abend kommen zwei junge Leute, die Laborantin Rehana und ein Politikwissenschaftler, ins Meditationszentrum. Rehana erzählt Dehn, was ihre Cousine aus Samar berichtet hat. Ihre Familie lebt dort in einem kleineren Ort, wo der Bürgermeister vorgesorgt hatte. In den nächsten Tagen aber werden die Vorräte aufgebraucht sein und bisher sei dort kein Helfer aufgetaucht. Sie und ihre Freunde haben deshalb eine eigene Hilfsgruppe gegründet. Einer ihrer Freunde wird in einem Militärflieger Platz bekommen. „Er soll den Leuten sagen, dass sie nach Guian gehen und die Hilfe die ganze Zeit bewachen müssen, sonst kommt sie gar nicht bei ihnen an.“ Ihre Schilderungen alarmieren Dehn, er will sich dorthin auf den Weg machen. So schnell wie möglich.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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