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Seit knapp 100 Tagen ist die Augsburgerin nun Wirtschaftssenatorin, sie wurde es auch, weil unbedingt noch eine Frau in den Senat sollte.

© dapd

Wirtschaftssenatorin: Unmut über Sybille von Obernitz in Berliner Wirtschaft

„Die reitet überall mit flammendem Schwert ein, ohne zu wissen, wo sie überhaupt hinwill“, sagt ein Berliner Manager. Er meint Von Obernitz, die neue Wirtschaftssenatorin. Liegt der Ärger an ihrem Auftreten, oder welchen Plan verfolgt sie?

Am Samstagabend schien die Welt noch in Ordnung. Beim Ball des Vereins der Berliner Kaufleute und Industriellen, 1879 gegründet, saß sie als neue Wirtschaftssenatorin am Tisch des Gastgebers. Nach Jakobsmuschel auf warmer Karotte und butterweichen Rehmedaillons war sie schnell umlagert von Lobbyisten, Managern, Unternehmern. Sybille von Obernitz lächelte alle an, hörte zu, plauderte charmant. Eng umschlungen tanzte sie mit ihrem Mann. Ein hellblaues Abendkleid trug sie, schulterfrei, und sie strahlte den ganzen Abend.

Noch nicht ganz 100 Tage ist die knapp 50-Jährige – am übernächsten Sonntag feiert sie Geburtstag – im Amt und hat schon mehr Widersacher, als andere sich in einer ganzen Karriere leisten. Sybille von Obernitz und die führenden Männer der Berliner Wirtschaft sind auf Konfrontationskurs geraten. Für Unruhe sorgt besonders das Gerücht, sie wolle das System der Berliner Wirtschaftsförderung neu organisieren, in dem staatliche und halbstaatliche Unternehmen zusammenarbeiten.

Im Grundsatz muss das gar nicht schlecht sein, vielleicht bedarf es einer Erneuerung. Jedenfalls hat es groteske Züge, wie einige ihrer wichtigsten Ansprechpartner über sie herziehen und mit Textmarkern angestrichene Interviews von ihr kursieren lassen. Seit einer simplen Personalie bricht sich die Empörung Bahn. So etwas hatte es bei ihrem Vorgänger von der Linken, Harald Wolf, nie gegeben. „Vielleicht wacht jetzt endlich mal jemand auf“, sagt ein Unternehmer, der bereitwillig Obernitz-Anekdoten zum Besten gibt, aber wie alle ungenannt bleiben will.

Auf dem VBKI-Ball drehte die Senatorin viele Runden. Die Bilder sehen Sie hier:

Die Personalie, die für so viel Unmut sorgt, ist der Rücktritt von Peter Zühlsdorff. Der 71-Jährige hat am Montag als Aufsichtsratschef der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner hingeworfen – nach einem Gespräch mit der Senatorin in ihrem holzgetäfelten Amtszimmer, an dem auch der Mann teilnahm, der sie überhaupt für den Posten vorgeschlagen hatte: Eric Schweitzer, Präsident der Industrie- und Handelskammer.

Zühlsdorff ist tatsächlich einer der wenigen Berliner Manager, die auch außerhalb der Stadtgrenzen in der obersten Liga der Wirtschaft mitgespielt haben. Er war Vorstandsvorsitzender des Haarpflegekonzerns Wella und Tengelmann-Sanierer, er bekleidet bis heute viele Mandate und Posten, er ist bestens vernetzt und auch richtig reich. Dass so einer sich in den Dienst Berlins gestellt hat, war zweifellos ein Gewinn. Aber ein Weltuntergang ist sein Rückzug nicht.

Keine Frau leiser Töne

Man muss sich das vielleicht so vorstellen: Da hatte man ihn zur Senatorin zitiert, dort musste er sich anhören, dass sie das Land gerne stärker in der Wirtschaftsförderung vertreten sähe. Also ausgerechnet sie, die parteilose, von der CDU nominierte Senatorin, tritt für den starken Staat ein, während ihr Vorgänger, ein Ex-Kommunist, für den privatwirtschaftlichen Ansatz stand. Das hat Zühlsdorff nicht gepasst, noch im Gespräch legte er sein Mandat nieder. „Der hat das nicht nötig, so mit sich reden zu lassen“, sagt einer, der mit ihm danach gesprochen hat.

Dabei ist Sybille von Obernitz keine Frau lauter Töne. Leise redet sie, aber bestimmt. Gelegentlich stockt sie, wenn sie versucht, einen Gedanken besonders präzise auszudrücken. In dem Stuhl am Kopfende des schweren Konferenztischs in ihrem Amtszimmer kauert sie dann vorne auf der Sitzfläche, den Oberkörper angespannt vorgebeugt, den Kopf zur Seite geneigt, und fixiert einen geradezu. So wird sie auch mit Zühlsdorff gesprochen haben, und vielleicht war ihm zu intensiv, wie ihm die jüngere Frau entgegentrat und vor allem, dass sie von ihm Neues verlangte.

In sehen Sie die Fotos, die Senatorin von Obernitz nicht veröffentlich sehen wollte

Schon werden in der Wirtschaft Personaltableaus erörtert. Der CDU-Vize Thomas Heilmann könnte doch noch Wirtschaftssenator werden und sein Amt des Justizsenators an eine Frau abgeben, um die Quote zu wahren. Aber nach dem schwierigen Start der großen Koalition wäre das ein Debakel, schon deswegen ist die nächste Kabinettsumbildung wohl noch lange nicht in Sicht.

Auch ist die Frage unbeantwortet, ob Obernitz nicht doch ein Konzept, einen Plan verfolgt – oder vielleicht sogar eine Art Auftrag. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit soll sich im kleineren Kreis jedenfalls ganz zufrieden über sie äußern. Dass es Eric Schweitzer ist, der sie vorschickt, scheint wenig wahrscheinlich. Auf eine Gesprächanfrage per SMS antwortet er nicht, er springt ihr nicht bei, und aus der IHK wird Missfallen kolportiert. „Das Erstaunen ist doch sehr groß, wie eigenständig Frau von Obernitz agiert und gegen die Überzeugungen der IHK handelt“, sagt ein Insider. „Es gibt ziemlich viel Verstimmung überall.“

Von Obernitz muss enorme Handicaps überwinden

So oder so muss Sybille von Obernitz enorme Handicaps überwinden. Sie verfügt in der örtlichen Politik und Wirtschaft über wenige Vertraute, ihr Netzwerk reicht kaum über den Kabinettstisch und die IHK hinaus, für die sie einige Jahre arbeitete. Sie ist noch dazu ohne Detailkenntnisse gestartet, hat keine Parteibasis hinter sich und noch nie eine Behörde geführt. Und den Koalitionsvertrag, der die Wirtschaft, also ihr Ressort, in den Vordergrund stellt, konnte sie nur noch zur Kenntnis nehmen. Er war längst ausgehandelt, als sie ins Amt kam, weil die CDU vorher keine Kandidatin gefunden hatte.

Auch das alles heißt ja eigentlich wenig, jede Notlösung kann sich zur glanzvollen Erfolgsgeschichte entwickeln. Sybille von Obernitz aber ruft in der Berliner Wirtschaft den Eindruck hervor, als wisse sie nicht um ihre Handicaps und agiere ohne Ziel. „Die reitet überall mit flammendem Schwert ein, ohne zu wissen, wo sie überhaupt hinwill“, sagt ein gestandener Berliner Manager. Ein anderer beschreibt sie als „durchsetzungsstarke, engagierte, intelligente Frau“, die aber fachlich wenig draufhabe. „Jetzt müssen wir Frau von Obernitz helfen. Sie kam zwar vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag, aber da hatte sie ja den Schwerpunkt Bildung.“

Ihre bisherige Laufbahn hat sie für den neuen Job nicht prädestiniert, so viel ist klar. Nach dem Volkswirtschaftsstudium ging sie zunächst zur IHK ihrer Heimatstadt Augsburg, dann vor anderthalb Jahrzehnten zur Berliner IHK und 2004 zum bundesweiten Dachverband. Mit ihrem Mann, Partner einer US-Anwaltskanzlei, lebt sie in Zehlendorf. Seinen Namen hat sie nicht angenommen – das vogtländische Adelsgeschlecht, aus dem sie stammt, wurde das erste Mal 1258 urkundlich erwähnt, das gibt man nicht auf. Die beiden erwachsenen Kinder sind aus dem Haus, die älteste Tochter ist vor Jahren bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt.

Jetzt also beginnt sie eine neue Karriere und erwartet dafür ein Wohlwollen, das sich nicht einstellen will. In Gesprächen lässt sie Verwunderung darüber erkennen, wie heftig die Reaktionen sind, die sie auslöst. Sie hat nicht das Gefühl, dass sie Dinge sagt oder tut, die für so viel Konflikt taugen, sie empfindet sich als aufrichtig und direkt. „Ich strebe nach einem offenen Dialog, ich kann zuhören, aber ich behalte mir als Wirtschaftssenatorin durchaus das Recht vor, einen Standpunkt zu vertreten.“

Ihre Form von Aufrichtigkeit scheint unerwünscht

Aber offensichtlich ist ihre Form von Aufrichtigkeit unerwünscht. In mehreren Interviews hat sie beklagt, dass es in Berlin an einer Leistungsmentalität fehle und bis heute eine Subventionskultur herrsche. Nur: Selbst wenn der Befund wahr wäre, würde ihn in Berlin niemand hören wollen und schon gar nicht von einer Wirtschaftssenatorin. Deren Job, so sehen es die Unternehmer, ist es, für die Chancen der Stadt zu werben, sie gut zu vermarkten. Da passen Missstände nicht. Hinzu kommt, dass die Berliner Wirtschaft sich zum ersten Mal seit Jahren selbst als dynamisch wahrnimmt. Es sind nicht mehr nur Billigtouristen, die Geld in die Stadt bringen, sondern es wird tatsächlich investiert.

Internet-Start-ups werden nach wenigen Monaten für Millionen verkauft, großspurige Visionen machen die Runde. „Das nächste Facebook kommt aus Berlin“ oder „Berlin ist das neue Silicon Valley“, heißt es zwischen IHK und Soho House. Auch die klassische Industrie kann nicht klagen, das Handwerk boomt – und da kommt ausgerechnet die Wirtschaftssenatorin, die Senatorin der Wirtschaft, und redet über die schlechte Arbeitsmarktbilanz.

In der Welt der großen Männer fällt sie schon äußerlich auf, weil sie so zierlich ist. Ihre Figur, ihre Gesichtszüge sind die einer Läuferin. In viereinhalb Stunden hat sie im vergangenen Jahr ihren ersten Marathon absolviert – das setzt Training und Disziplin über Monate voraus. Vielleicht ist es das: Sie ist so hart, vor allem zu sich selbst. Dabei müsste sie, jetzt am Anfang der langen Strecke von fünf Jahren, eigentlich wissen, dass man nicht ins Ziel kommt, wenn man am Anfang ein zu scharfes Tempo anschlägt.

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