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Sachbuch "Copycats": In zehn Schritten zum großen Plagiator

So kopiert man richtig: Oded Shenkars Sachbuch „Copycats“ zeigt, wie gut man eine Idee beobachten muss, bis man sie erfolgreich kopieren kann. Am Ende ist klar: Ein guter Plagiator muss mindestens so erfinderisch sein wie ein guter Erfinder.

Im Blitzlicht der Causa Guttenberg erscheint jeder Plagiator – vom Produktpiraten bis zum Promotionsfälscher – in erster Linie als Ideendieb. Doch verdient das Originäre tatsächlich so viel mehr Verehrung als die gekonnte Nachahmung, die kluge Verknüpfung der Ideen anderer? Geht es nach dem US-amerikanischen Soziologen und Ford-Manager Oded Shenkar, muss die Antwort klar „Nein“ lauten. Für sein Buch „Copycats“ formuliert Shenkar einen Anspruch, der der Verehrung der ureigensten Innovation zunächst einmal aus ökonomischer Sicht radikal zuwider läuft: „Die Grundannahme lautet, dass Imitation nicht nur ebenso entscheidend für das Überleben und Florieren des Geschäftes ist wie Innovation, sondern auch maßgeblich für die erfolgreiche Durchführung der Innovation selbst."

Dies wird auf 160 Seiten ausgebreitet, die mit einiger Redundanz vor allem eines belegen: Gut geklaut ist besser als gut erfunden und schlecht vermarktet. Der Plagiator, so kann Shenkar überzeugend begründen, kann den Markt besser beherrschen als die Pioniere, weil seine Kraft noch unverbraucht ist vom Prozess der Innovation, sein Blick dort Optimierungsbedarf sieht, wo die Innovatoren am Ende ihres Schaffens müde geworden sind. Mit vielen Beispielen begründet Shenkar, warum das 1962 gegründete „Walmart“ am Ende erfolgreicher war als die Discountpioniere der 50er, warum „McDonald’s“ die Fastfood-Erfinder von „Whitecastle“ abhängte und es auf der anderen Seite keiner großen Airline gelang, das Konzept des Billig-Carriers „Southwest Airlines“ zu klauen.

Der Plagiator, das wird bei Shenkar deutlich, muss ein fantasiebegabter Beobachter sein, der die Umfeldfaktoren einer Innovation so zu abstrahieren weiß, dass er sie erfolgreich in den eigenen Kontext transferieren kann. Nur so sei das „Korrespondenzproblem“ zu lösen, das die Schwierigkeiten des Verpflanzens eines wünschenswerten Ergebnisses in neue Rahmenbedingungen benennt. „Um das Korrespondenzproblem zu überblicken, braucht es eine hervorragende Kontextualisierung und Tiefgang-Fähigkeiten, um hinter die prosaischen und kodifizierten Elemente zu blicken, die auf oberflächlicher Lektüre basieren.“ Zu deutsch: Wer nur die offen ersichtlichen Abläufe nachahmt, hat zwar eine Karosserie, aber kein fahrendes Auto. Plagiieren ist dabei für Shenkar eine ebenso komplexe Arbeit, wie es anthropologische Konstante ist: „Der Mensch hat gelernt, das Rad nicht neu zu erfinden – sogar schon, bevor es das Rad überhaupt gab.“

Was zunächst vor allem aus wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspraktischer Sicht – das Buch gipfelt tatsächlich in zehn Ratschlägen für erfolgreiches Plagiieren – interessant zu sein scheint, erweist sich dort, wo auf den kulturellen Kontext Bezug genommen wird, auch als produktiv für eine generellere Betrachtung der Ablehnung des Nachahmens: „Es ist uns peinlich zuzugeben, dass wir einen Weg gegangen sind, den andere bereits geebnet haben, statt es auf eigene Weise, ‚my way’, zu machen wie in dem berühmten Song“, erklärt der Amerikaner Shenkar die Ablehnung jeglicher Form des Plagiats aus der amerikanischen Psyche einerseits. Andererseits zitiert er auch das Zeitalter der europäischen Romantik herbei, „mit ihrem ‚Ethos der Kreativität, Originalität und Genialität’“.

Es ist die detailreiche Dekonstruktion des Originalgenies als alleiniger kultureller Schlüsselfigur, die das Buch nicht nur als Kampfschrift gegen die Verteufelung des Plagiarismus von Geschäftsideen lesenswert macht. Mit jedem Satz, so scheint es, stellt Shenkar unwissentlich die Frage danach, worüber wir uns gerade in der Causa Guttenberg empören: War es das Plagiat an sich, die Tatsache, dass da einer keine originelle und originäre Idee hatte? Oder war es das Vorgaukeln einer Idee, das nur der eigenen Biografie diente? Denn auch das wird bei Shenkar deutlich: Plagiate sind nur vertretbar, wenn sie im Rahmen eines aus Imitation und Innovation zusammengesetzten „Imovationsprozesses“ helfen, eine Idee zu optimieren und – genau – zu promovieren. Überall da, wo die Nachahmung nicht diese produktive Komponente in sich trägt, können wir weiter unserer romantischen Vorstellung eines schöpfenden Originalgenies nachhängen; und des Schurken, der plagiierend vorgibt, ein solches zu sein.

Oded Shenkar: Copycats. Erscheint am 17. März 2011 im Redline-Verlag, München, 24,99 €

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