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Szene der 1000. "Tatort"-Folge mit den Kommissaren Lindholm (Maria Furtwängler) und Borowski (Axel Milberg)

© dpa/Meyerbroker/NDR

1000. "Tatort"-Folge: Der Mord zum Sonntag

Fernsehen ist Gewohnheit, der ARD-"Tartort" aber ist nicht gewöhnlich. Ein Kommentar zu 1000. "Tatort"-Ausgaben.

Ein Kommentar von Joachim Huber

Der "Tatort" ist kein Unikat. Schon bis Ende Oktober hatten ARD und ZDF 200 Krimis um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Mord, Totschlag, keine Version von Verbrechen wurde ausgelassen. Und doch sticht aus dem Einerlei und Allerlei der Krimis ein Unikat heraus: der "Tatort" am Sonntag um 20 Uhr 15.

Heute läuft die 1000. Folge, "Taxi nach Leipzig", eine unübersehbare Reminiszenz an den ersten "Tatort" 1970 mit dem nämlichen Titel. Der ARD-Krimi setzt eben auch im 46. Jahr auf Tradition. Eine Tradition, die sich Woche für Woche in einer Rekordquote beweist, die nur der Live-Fußball schlagen kann.

Heißt: Zehn Millionen Fernsehzuschauer rund um das letzte Lagerfeuer des Fernsehens können nicht irren? Klar können sie das, wer aber Sonntag für Sonntag dasselbe Fernsehformat einschaltet, der will nicht von seinem Irrtum, sondern von der Richtigkeit seines Einschaltverhaltens überzeugt werde, er möchte sich in diesem seinem Ritual bestätigt wissen. Die gerne bis zur Risikolosigkeit abgesicherte und bis zur Ereignisarmut gedimmte Existenz wird unter Spannung gesetzt über die 88 Minuten und 30 Sekunden zwischen Mord am Anfang und verlässlicher Aufklärung am Schluss.

In dieser Konvention steckt der übergreifende Komment, dass sich Verbrechen nicht lohnen und nicht lohnen dürfen. Steile These an dieser Stelle: Der "Tatort"-Fan ist oft ein fernsehzivilisatotrisch gezähmter Wutbürger. Danke, ARD.

Die Schauspieler Florian Bartholomäi (l.), Maria Furtwängler und Axel Milberg spielen im 1000. "Tatort" mit.
Die Schauspieler Florian Bartholomäi (l.), Maria Furtwängler und Axel Milberg spielen im 1000. "Tatort" mit.

© 20161004

Dieses Stück Fernsehen setzt zuvorderst auf Realismus. Die 1000 Folgen erzählen von (bundes-)deutscher Geschichte und Gesellschaft. Umso mehr und umso dringlicher, seitdem nicht nur ein Fall, sondern ein Thema die anderthalb Stunden bestimmen darf – siehe vergangenen Sonntag, als der Umgang mit einer islamischen Konvertitin verhandelt wurde.

Der "Tatort" ist ein TV-Ökosystem, das in seinen besten Erscheinungsformen die Erwartung des Publikums mit Überraschung kontert. Da ist die Regionalität seiner Schauplätze, da sind die charismatischen Fahnderfiguren à la Schimanski, doch zu diesen Setzungen kommen Offenheit und Bandbreite der jeweiligen Umsetzungen. Kein zweites fiktionales Format, das sich durch Wandlungsfähigkeit seinen Spitzenplatz in der Zuschauergunst sichert. Erzählerische Eskapaden, dramaturgische Risiken, ästhetische Wagnisse, der "Tatort" ist so sehr Schema wie Schemaerweiterung. Krimi und Thriller und Komödie, Gewaltbilder und Sprachwitz, der "Tatort" öffnet viele Türen in viele Welten.

Erinnert sei nur an die Folgen "Im Schmerz geboren", diese fantastische Mischung aus Tarantino-Western, Shakespeare-Drama und einer Rekordzahl an 51 Toten, oder an "Frau Bu lacht", den Dominik-Graf-Film um das unwürdige Thaifrauen-Leasing, der nicht den Konsens, sondern eine starke Geschichte sucht. Und, und, und – die besten Episoden erzählen von prekärer Gegenwart, von Selbsttäuschung, von Menschen, die in sich verbissen nach dem Glück im Leben suchen. Zu Tätern, zu Mördern werden, oftmals nur eine Schussweite von den Ermittlern entfernt, deren Privatleben gleichfalls ein Desaster ist. Und all das nicht mit Minusgraden erzählt.

Im "Tatort" nehmen sich die Fernsehmacher eine kreative Freiheit heraus, die sonst gegen die Sicherheit des bewährten bis immergleichen Programms aufgegeben wird. Fernsehen ist Gewohnheit, der "Tatort" aber, der ist nicht gewöhnlich.

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