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Dauerbrenner. Steffen Bothe steht hier ausnahmsweise direkt am Diskussionstisch des „Klipp & Klar“-Studios. Sein Stammplatz ist jedoch im Zuschauerraum.

© Nik Afanasjew

1500 Show-Besuche: Der Dauergast im TV-Studio

Steffen Bothe ist Berlins eifrigster TV-Stammgast, er hat in den letzten 15 Jahren mehr als 1500 Fernsehshows im Studio verfolgt. Was treibt ihn zu diesem ausdauernden Verhalten?

Er ist kein Prominenter, kein TV-Moderator und auch nicht RBB-Mitarbeiter – und doch wird Steffen Bothe an diesem Abend beim Rundfunk Berlin-Brandenburg von der Empfangsdame mit einem sehr ironisch gemeinten „ach, welch seltener Anblick“ begrüßt. Wer weiß, vielleicht war Bothe in den letzten 15 Jahren häufiger im Sendehaus an der Masurenallee als manche Teilzeitkraft. Dass er erkannt wird, freut ihn trotzdem. Bothe lächelt die Dame an, nimmt, ohne den Blick von ihr abzuwenden, die Karte für den RBB-Talk „Klipp & Klar“ entgegen. Er wird als Zuschauer anwesend sein, wie er das bei verschiedenen Fernsehshows in und um Berlin in seinem Leben schon ungefähr 1500 Mal getan hat.

Es ist noch eine Dreiviertelstunde bis zum Beginn der Aufzeichnung. Bothe setzt sich auf einen Sessel in der weitläufigen Lobby, streift Hemd und Hose zurecht. Beige, Braun und Orange dominieren farblich seine Kleidung. „Man darf nicht zu viel Weiß oder Schwarz tragen, das ist schlecht wegen der Kameras, dann wird man nach hinten gesetzt“, erklärt Bothe. Ein Zuschauer-Profi wie er kennt natürlich die Tricks, um in den vorderen Reihen zu landen. Es klingt fast väterlich-weise, wenn Bothe erklärt, dass „Klipp & Klar“ in den letzten acht Jahren drei Moderatoren hatte und ohnehin bald abgesetzt werde. Er hat sie alle überlebt, schwingt da mit. Er hat den Durchblick.

Angefangen hat die Leidenschaft des 41-Jährigen, da war er „so Mitte 20“ und hatte in einer Radiosendung Karten für „Vera am Mittag“ gewonnen. „Das werde ich nie vergessen, wie sich die Vera Int- Veen auch für uns Zuschauer interessiert hat“, sagt Bothe. Lachfalten durchziehen sein Gesicht. Er strahlt, wie andere Männer, wenn ihr Verein den Bundesligatitel holt. Von da an war Bothe „im System“, wie er sagt, also im Verteiler der Firma „TV Ticket Service“ – und ist es bis heute geblieben. Deren Chef Michael Köhler sagt, dass „der Herr Bothe in seiner Leidenschaft schon extrem ist“. Insgesamt gebe es in Berlin ein knappes Dutzend „Profizuschauer“. Mehr Männer als Frauen sind dabei, mehr Alte als Junge. „Ihre Hauptmotivation ist nicht, ins Bild zu kommen, sondern diese besondere Nähe zu den Gästen, man erlebt die Prominenten persönlich definitiv noch mal anders als im Fernsehen“, sagt Köhler.

Gibt es noch Moderatoren, die Bothe nicht gesehen hat?

„Klipp & Klar“ fängt bald an. Bothe knetet und biegt eine Mappe in seinen Händen, dort hat er vor allem in der Anfangszeit seines neuen Hobbys Memorabilien abgeheftet. Denkwürdige Dinge seien in den letzten 15 Jahren passiert, erzählt Bothe. Peter Kraus sei die Hose geplatzt, 20 Minuten Verzögerung waren die Folge. Und einmal habe der RBB, nachdem die Zuschauer schon auf ihren Plätzen saßen, festgestellt, dass die Kameraleute streiken und deshalb nicht gefilmt werden kann. Eine Sat-1-Aufzeichnung von „The Voice of Germany“ hätte mal fünf Stunden gedauert, „da habe ich Sitzefleisch bewiesen“, sagt Bothe, das „e“ hinter dem „Sitz“ betonend. Er spricht mit der Gelassenheit eines Mannes, der „sie alle schon hatte“, also alle Moderatoren gesehen hat, die er je sehen wollte, auch wenn Bothe nur in Berlin unterwegs war und Köln ihn „reizen würde, vor allem Stefan Raab“.

Doch Bothe ist Berliner, durch und durch. Mit sechs Jahren zog er mit seinen Eltern nach Ostberlin, genauer nach Lichtenberg, wohnt jetzt in Pankow. Früher hat er in einer Druckerei gearbeitet, jetzt verkauft er Brötchen in einer Bäckerei. „Da muss man sich immer konzentrieren, hier entspanne ich“, sagt Bothe. Geld koste sein Hobby selten, meistens wird er eingeladen, wenn sich nicht genügend Zuschauer gemeldet haben, hin und wieder zahle er auch für eine Karte. Aber niemals für Castingshows, „so Menschen vorführen, wie der Bohlen, das ist nicht nett“.

Als es ins Studio geht, erträgt Bothe den ihm zugewiesenen Platz in der letzten Reihe mit stoischer Ruhe. Stammzuschauer müssen oft nach hinten, damit im Fernsehen nicht immer die gleichen Menschen zu sehen sind. Eine Expertenrunde um Moderator Marco Seiffert streitet über das Thema: „Auto gegen Fahrrad – Krieg auf der Straße“. Bothe verfolgt die Diskussion mit dem seligen Grinsen eines Buddhas, der auch eine Woche am Stück Phoenix gucken könnte, ohne anschließend aus dem Fenster zu springen.

Warum macht er, was er macht?

Nur wenn Fahrrad-Lobbyistin Kerstin Emma Finkelstein gegen rücksichtslose Autofahrer wettert, schüttelt Bothe mal den Kopf. Er steht auf der Seite der Streiter mit den vier Rädern. Als Finkelstein dann verkündet, durchaus mit dem Autofreak Gunnar Schupelius durch Berlin zu cruisen, wenn der nur einen Porsche hätte, lacht Bothe kurz auf. So viel Inkonsequenz, aber das Thema ist ja auch nur halb ernst, na ja, das gehe schon. An Politiker legt er härtere Maßstäbe an, weil „viele von denen die Realität gar nicht mehr kennen.“ Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier fand er dagegen bei einer RTL-Debatte kompetent, „da wurde ich durchsucht, vom BND, glaube ich“, erzählt Bothe.

Während die Zuschauer aus dem Studio strömen, schwärmt Bothe von Kai Pflaume und Dieter-Thomas Heck, die immer „ein offenes Ohr“ für die Zuschauer hätten, er schimpft auf Sabine Christiansen, der sei das Publikum egal, und lobt überschwänglich Hape Kerkeling, seinen „Helden“, den er so gut finde, weil der „selbst dann noch Leuten ihre Würde lässt, wenn er sie ein bisschen veralbert“, das habe er selbst mal miterlebt.

Bothe wird von einem älteren Mann unterbrochen, der fragt, ob sie gemeinsam zur S-Bahn wollten. „Deshalb mache ich das hier, wir sind wie eine große Familie“, sagt Bothe und winkt jemandem zur Begrüßung zu. Nein, viel Zeit würde man zwar nicht zusammen verbringen mit den anderen Stammzuschauern, aber „hier und da einen Kaffee trinken und über die Sendung sprechen, das geht.“ Noch während der Dauer-Besucher spricht, gehen im Studio die Lichter aus, und alle müssen schnell gehen.

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