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Saubere Sache. Reinigungskraft Renate Friedrich kümmert sich darum, dass es im Plenarsaal des Bundestages immer blitzt und blinkt. Szene aus dem „Berlin“-Beitrag von Sandra Maischberger und Jan Kerkhart im Dokuprojekt „16xDeutschland“. Foto: ARD

© rbb/Martina Steinführer

„16xDeutschland“: Heimaten

Das ARD-Dokuprojekt „16xDeutschland“ geht Wege jenseits der Seligkeit. Die Scholle wird hier nicht rücksichtslos besungen, sondern vorurteilsfrei begutachtet.

Heimat im Fernsehen, das ist oft eine sämige Soße. Schon im Nachmittagsprogramm der Dritten legt sie sich über Deutschlands angeblich schönste Täler, Flüsse, Auen, um sodann bei ARDZDF lokalkolorierte Vorabendharmlosigkeiten unter sich zu begraben, während sie zur Primetime in Spielfilmlänge über variierende Schollen gekippt wird, bis zur Nacht ein Völlegefühl im Magen kritischer Zuschauer grummelt. Heimatfernsehen ist unverdaulich.

Zumindest meistens.

Doch dann fährt eine Kamera zappelnd durch die Täler, Flüsse, Auen Bayerns, aber so richtig schön will der Inbegriff des Germanischen in aller Welt trotz des sanften Moderatoren-Idioms darüber nicht geraten. Dann zoomt sie andernorts auf einen pflichtbewussten Schwaben, doch die Tugendhaftigkeit des Ländles ringsum wird eher nüchtern als schwärmend seziert. Dann gerät Fontanes Brandenburg statt sattgrün und fruchtbar eher dunkel und trist, im Schatten gewaltiger Kohleförderbänder. Dann nämlich spielt die zuweilen bürgerlich bis piefige ARD ausgerechnet am besonders bürgerlich-piefigen Wochenende vor der „Sportschau“ plötzlich Realität, und das Stammpublikum reibt sich verwundert die Augen, was da so als „Heimat“ verkauft wird.

Ein Stück Wirklichkeit nämlich. Genauer: eines für jeden Teilstaat. „16xDeutschland“ heißt ein bemerkenswertes, unter Federführung des RBB produziertes Konglomerat verschiedenster Ortsbefindlichkeiten zwischen, pardon: Ostseestrand und Alpenrand, das der Neubauer/Hinterseer/Degeto-Kanal zur Ratgeber- und Reportage-Zeit um 16 Uhr zeigt. Jedes Bundesland wird hier von mehr oder weniger erfahrenen Dokumentarfilmern auf eigensinnige Weise porträtiert. Anders als sonst im öffentlich-rechtlichen Programm jedoch, etwa als bei der heimatduseligen Rallye „Lust auf Deutschland“ an gleicher Stelle im Juni, wird die Scholle hier nicht rücksichtslos besungen, sondern vorurteilsfrei begutachtet, wie von Interrail-Reisenden einst die Stationen ihrer anarchischen Europatrips.

Und genauso fühlt es sich an, wenn „Tatort“-Kommissar Udo Wachtveitl zum Auftakt der 16 viertelstündigen Kurzfilme sein München unter die Lupe nimmt und in ratternden Einzelfotos als das entlarvt, was es nun mal ist: eine Marke; künstlich wie die Bergsilhouette bei Fön, natürlich wie das Oktoberfestriesenrad davor. In dieser Art geht es in weder chronologischer noch größenbezogener geschweige denn relevanzfixierter Reihenfolge weiter. Der versierte Sachfilmer Andreas Veiel („Black Box BRD“) stellt sein Baden-Württemberg nicht auf der Alb oder bei Mercedes, sondern am Beispiel eines Fahrlehrers, der auch mit 85 noch Schüler durch die Fachwerkprovinz lotst. Und in dem Tonfall geht es weiter.

Von Mecklenburg-Vorpommern, das der Schauspieler Charly Hübner zwischen Naturidylle und Neonazitum bebildert. Über den Blick der koreanischen Filmautorin Sung-Hyung Cho, die schon das Full Metal Village Wacken erkundet hat, auf ihr Migrationsziel Hessen. Richtung deutsch-französisches Grenzdorf im Saarland aus Sicht einer 14-Jährigen. Bis zu den drei Stadtstaaten, in denen die Talkerin Sandra Maischberger das erstaunlich vielschichtige Personal des Reichstags in Berlin erkundet oder ihr Kollege Jan Böhmermann die Seefahrerhistorie seiner eigenen Bremer Familie.

Heraus kommt ein Panoptikum, das diesem diffusen, oft missbrauchten, in vielen Herzen aber verwurzelten Gefühl von Heimat ein Spielfeld weit jenseits der Bierwerbungstrilogie netter Menschen, typischer Landschaften, weltberühmter Bauwerke eröffnet. Zu Hause, das sind hier eben nicht Loreley und Dom, sondern ein Kölner Wirtspaar, das seine alte Eckkneipe nach Jahrzehnten aufgibt. Es ist der Weg eines Heimkinds auf der Jagd nach Geborgenheit, dem die Autorin Rosa Hannah Ziegler mit der Kamera im Rücken durchs niedersächsische Walsrode nachspürt. Oder es ist Özgur Yildirims stille Begleitung einer Nachwuchsband beim Karrierestart in der Musikstadt Hamburg ganz ohne Hafen, Michel, Beatles.

All dies ist mal heiter, mal tragisch, hier konventionell, dort artifiziell. Erst gemeinsam jedoch wirken diese 16 oft seltsam unbehausten Land- wie Stadtpartien so subtil, dass es dem Normkonsumenten dieses Sendeplatzes vermutlich gar nicht auffällt, welche Heimatbegriffe ihm da in homöopathischen Dosen präsenter, bedrohter, gar verlorener Gefühle untergejubelt werden. Gefühle, die Menschen ebenso mit ihrem Lebensmittelpunkt verbinden, eher feine Empfindungen als grandiose Bergpanoramen, Anker statt Monumente. Wenn der schwäbische Fahrlehrer etwa im deutschen Sehnsuchtsort schlechthin – dem Auto – sagt, „wir fahren geradeaus immer weiter, immer weiter“, bringt das Heimat mehr auf den Punkt als alle Heimatduseleien der Dritten Programme zusammen.

„16xDeutschland“, ARD, Samstag und Sonntag, 16 Uhr

Jan Freitag

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