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Liebe in Zeiten des Hasses. Der Volkspolizist Martin Kupfer (Florian Lukas), Sohn einer Stasi-Familie, und Julia Hausmann (Hannah Herzsprung), Tochter einer regimekritischen Familie, wollen nicht voneinander lassen.

© ARD/Julia Terjung

20 Jahre Wiedervereinigung: Die Schöne und der Vopo

Die ARD-Familienserie „Weissensee“ gibt Menschen der ehemaligen DDR ihre Würde zurück.

Ein Höhepunkt des Fernsehjahres war angekündigt – einer, vor dem sich zu fürchten sensiblere Nervensysteme allen Grund hätten. Die erste Familienserie Ost zum 20. Jahr der Einheit? „Diese Drombuschs“ und wie sie alle heißen in Weissensee? Und nun ist das Erstaunliche geschehen und es ist wirklich ein Höhepunkt geworden. Das heißt: auch anschaubar für Menschen, die schon bei dem Wort „Familienserie“ einen leisen Fluchtimpuls empfinden.

Die Drehbuchautorin Annette Hess hat zwar die unsägliche „Frau vom Checkpoint Charlie“ zu verantworten, und sie hat auch dieser sechsteiligen Familienserie gegeben, was ihr gebührt: eine Quasi-Romeo-und-Julia-Geschichte zwischen einem kleinen Volkspolizisten aus systemtragender Stasi-Familie (großartig, als sei die Rolle ganz für ihn geschrieben: Florian Lukas) und der Tochter einer systemkritischen Sängerin (schön in ihrer Unbefangenheit: Hannah Herzsprung). Es war bestimmt keine angenehme Position, in der die westlich der Elbe geborene Drehbuchautorin sich befand, als Menschen wie Uwe Kockisch, Katrin Sass und Ruth Reinecke ihr Werk beäugten – allesamt solche, die „Unsinn“ sagen, wenn es welcher ist. Aber sie sagten wohl etwas anderes.

Anders ist diese kollektive Hochpräzisionsschauspielerei, die alle Erdenschwere und fast jede Zumutung der Handlung vergessen lässt, nicht erklärbar. Vor allem: Die Grundkonflikte dahinter sind echt. Und dann liegt da etwas über diesem Sechsteiler, was in Familienserien eher nicht vorkommt: eine beinahe surreale Schicht aus leisestem Slapstick und Selbstironie, die sowohl den Anflug von Kitsch als auch den großen Ernst erdet.

Da sind also – unter Friedemann Fromms Regie – zwei feindliche Familien, seit „Romeo und Julia“ ist das so. Der ersten steht ein Generalmajor im Ministerium für Staatssicherheit vor, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung XX, laut Presseheft „zuständig für die Überwachung von Staatsapparat, Kultur, Kirche und Untergrund“. Uwe Kockisch gibt diesem Hans Kupfer eine vibrierende Sensibilität. Und als wir ihn das erste Mal in einem Konzert der – zweite Familie! - „regimekritischen“ Dunja Hausmann (Katrin Sass) sehen, ist klar, dass er nicht nur aus beruflichem Interesse da ist.

„Weissensee“ spielt 1980. Das war die große Zeit der Liedermacher, von Bettina Wegener über Barbara Thalheim bis Gerhard Schöne. Hätte jemand mit dem schlagerseligen Liedgut, das Katrin Sass hier anstimmt, eigentlich eine Chance gehabt? Aber es ist egal, es passt trotzdem. So wie ein Kosmetiksalon hier „Schönheit und Kosmetik“ heißt (so ausgesucht dämliche Namen hatten diese Läden nicht mal in der DDR), ist es eine Übertreibung zur Kenntlichkeit. Und dann singt die großartige Katrin Sass – und singen kann sie – eine „Ansprache an die Funktionäre“. Diese mögen sich doch eines Besseren besinnen, ehe das Volk mit „Küchenmessern“ auf sie losgeht. Zum Höhepunkt des ersten Teils wird Sven Lehmann als Stasi-Leutnant, der am folgenden Tag versucht, seinen Kollegen diese „Ansprache“ an ihren Berufsstand im Rahmen einer Dienstbesprechung möglichst plastisch zu schildern: „Aus dem Gedächtnis hab ich das alles mitnotiert“. Das ist urkomisch, sogar der Stasi zu doof, und zugleich auf abgründige Weise wahr. Überhaupt: wie punktgenau im Ungefähren sind die „Weissensee“-Dialoge!

Der Generalmajor der Staatssicherheit schaut aber nicht mit klassenkämpferischem Vernichtungsblick, als er die „Ansprache an die Funktionäre“ hört. Ja, Kockisch schafft es, diesen Kupfer als großen Melancholiker vorzustellen. Darf er das? Ein Generalmajor der Staatssicherheit als Mensch? Man mag sich die Gesichter der Gerechten im Lande gar nicht vorstellen. Die größte Zumutung an alle Schwarzweißdenker ist: Seine Konflikte sind echt. Und selbst das, was den Mann schließlich in seine fatale Position brachte, ist echt. Vielleicht sollte man es so sagen: Nach zwanzig Jahren deutscher Einheit gibt ausgerechnet eine Familienserie den Menschen ihre Würde zurück, denen es einmal, in den Gründungsjahren der DDR, ernst gewesen war mit ihr. 1990 und danach war das nicht vorgesehen. Man hat diesen Lebensläufen ihre Fallhöhen genommen, der Rückzug vieler in oft unerträgliche Selbstgerechtigkeiten war die Folge. Eine Familienserie braucht natürlich Fallhöhen, sie kann sich in keine Abstraktionen flüchten, und „Weissensee“ scheint wie von selbst auf Wahrheitskerne zu stoßen.

Dass es späteren Generationen nicht mehr ansatzweise ernst war mit der DDR, so spießig und militant, wie sie geraten war – daran nicht zuletzt ist sie untergegangen. Wahrscheinlich lebt jeder Mensch aus seinen frühen Erfahrungen, selbst dann noch, wenn die Wirklichkeit sich längst gewandelt hat und er selbst nun schon seltsam fremd, ja als komische, bestenfalls tragische Figur darin steht. Auch dieser Kupfer spürt, dass sich Erfahrungen nicht übertragen lassen, nicht einmal auf seine Söhne. Der Ältere wird zum bloßen Technokraten der Macht – hochbegabt und skrupellos. Man sieht Jörg Hartmanns aasiger Virtuosität zu und denkt, seltsam genug, wie gut er auch in unsere Zeit passen würde. Zielorientiert, erfolgsorientiert, energetisch, machtbewusst, ließe sich sein Persönlichkeitsprofil zusammenfassen; lauter schöne, zumindest hochgeschätzte Eigenschaften, leider zur falschen Zeit, am falschen Gegenstand erprobt.

Bei Kupfers jüngerem Sohn Martin ist das schon anders. Zuviel Ich, um ein vorbildliches Rädchen im Getriebe werden zu können. Einer, der einfacher Volkspolizist bleibt, weil er den Aufstiegsmöglichkeiten misstraut. Florian Lukas, der Nachrichtensprecher aus „Good Bye, Lenin!“, gibt seinem Martin Kupfer eine schöne Spontaneität, Einfachheit und Tiefe. Der junge Polizist stoppt einen zu schnell fahrenden Westwagen. Und darin sitzt sie schon, Dunja Hausmanns Tochter, natürlich ohne Papiere. Der junge Mann neben ihr ist ein Amerikaner. Gleich beginnt das Ausreisen zur Massenbewegung zu werden. Oder sollte es doch Gründe zum Dableiben geben?

„Weissensee“; ARD-Sechsteiler, jeweils dienstags um 20 Uhr 15

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