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Verbrechen lohnen sich, jedenfalls im Fernsehen. Der Krimi ist und bleibt für Zuschauer ein wesentliches Motiv zum Einschalten und Dranbleiben.

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2016: 200 Krimis um 20 Uhr 15: Nichts entspannt so sehr wie Mord und Totschlag

Es darf gemordet werden: Der Krimi ist das Lieblingsformat der Fernsehmacher und des Fernsehpublikums

Die öffentlich-rechtlichen Programme lagen auch im Oktober in der Zuschauergunst vorne. Marktführer ZDF erreichte einen Marktanteil von 11,9 Prozent, die ARD 10,8 Prozent, erst mit RTL (10,4 Prozent) konnte sich ein Privatsender unter die Top 3 platzieren.

Der Erfolg von ARD und ZDF hängt unmittelbar mit der Programmierung von erstem und zweitem Kanal zusammen. Vielleicht mit dem Paradox, dass zur Primetime um 20 Uhr 15 – richtigerweise – die Einfallslosigkeit regiert? Eine aktuelle Erhebung von media control zeigt, dass das Krimiformat, ob TV-Movie oder Serie, immer stärker auf Zuschauerfang geschickt wird. Nach den Zahlen von media control übertrumpfte die ARD im Jahr 1995 noch das ZDF mit 58 Krimis, das ZDF zeigte 46. Schon 2000 hatte sich das Verhältnis umgedreht: Das ZDF brachte 76 Krimis auf den 20-Uhr-15-Sendeplatz, das Erste 60.

Der Mainzer Sender hatte damit ein Instrument in die Hand bekommen und genommen, was das ZDF an die Spitze der Fernsehprogramme bringen sollte. Das war 2012 erreicht, diese Nummer-eins-Position wurde bis heute nicht abgegeben. Zusammen mit den Champions-League-Rechten wurde der Krimi zum Treibstoff des ZDF-Erfolgs. 2010 hatte das ZDF 94, das Erste 73 Krimis am Start. Der bisherige Höhepunkt war im vergangenen Jahr erreicht: 113 Krimis um 20 Uhr 15, die ARD war da bei 78 Gerneprogrammen angelangt.

Und es ist kein Irrtum möglich: Das laufende Jahr wird, so belegt es die Erhebung von media control, zum besten Krimi-Jahr ever. Das Zweite Deutsche Fernsehen hatte schon bis Ende 2015 110 Krimis zur Primetime ausgestrahlt, auch die ARD hat ihre einschlägigen Anstrengungen gesteigert: 90 Krimis von Januar bis Oktober 2016. Zusammengerechnet sind das 200 Krimis an knapp 300 Fernsehabenden bei ARD und ZDF. 2016 wird das Rekordjahr an TV-Krimis im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

TV-Sender handeln wie Dealer

Da verbrüdern sich zwei Süchtige. Der Zuschauer verlangt nach dem Stoff, den ihm die Dealer in den TV-Anstalten nur zu gerne verkaufen. Geht auch umgekehrt: Die Dealer bieten den Kunden bevorzugt diesen Stoff an. Kurz, da funktioniert ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Und es sieht so aus, als hätten die Redakteure und die Produzenten die Sentenz der großen Krimiautorin P. D. James nachgerade zur Leitlinie ihres Tuns und Lassens genommen:: „Ich glaube nicht, dass die Mördersuche der einzige Zweck eines Krimis ist“, hatte die Baroness James of Holland Park dekretiert.

Der deutsche Fernsehkrimi hat sich über die Jahre, über die Talente und Fertigkeiten seiner Macher zum All-inclusive-Genre entwickelt. Sozialdrama, Komödie, Tollheit, Kapitalismuskritik, klassischer Polizeifilm, forensisches Proseminar, politisches Fernsehspiel – es ist atemberaubend, was alles unter das Label „Räuber und Gendarm“ passt. Aber egal, welche Variante gewählt wird, als Grundgesetz steht fest: Ein Verbrechen muss den Spannungsmotor antreiben.

Das Publikum sucht über die Klammer aus Verbrechen und Entertainment ja seiner Alltagserschlaffung zu entkommen. Alltag, das ist zwar die gemeinhin gewollte Lebensform, gerne abgesichert über ein Kordon aus Versicherungen gegen das Nicht-Alltägliche, aber dieser Alltag hat eben seinen sehr niedrigen Thrill-Horizont. Da kommt der Fernsehkrimi gerade recht: Teilhabe und Teilnahme an fremder Gefahr bis hin zum Mord, das Schlimmste, was passieren kann, sind Schweißausbruch und Angst vorm Gang in den Keller. Spannung wird Entspannung, Entspannung wird Spannung, das klingt nach Paradox und ist doch nur die Klammer, die Krimi und Krimifan umfasst. Im Grunde bietet das Format in jeder Folge ein Ende und gleichzeitig eine Fortsetzung an. So und nur so passt sich der Kriminalfilm in den individuellen Lebensfilm ein.

Der Zuschauer als gezähmter Wutbürger

Der österreichische Denker Alfred Pfabigan hat in seinem aktuellen Buch „mord zum sonntag. tatortphilosophie“ festgestellt: „Der ,Tatort’-Fan ist häufig ein zivilisatorisch gezähmter Wutbürger.“ Und da zur deutschen Zivilisation das Fernsehen, der „Tatort“ und der Krimi konstitutiv gehören, fällt allen dreien eine enorme Verantwortung zu. Der Krimi kann die weitschweifenden Fantasien umhegen und disziplinieren. Katharsis? Ja, Katharsis.

Der TV-Krimi hat Konjunktur, trotz der unzähligen Wiederholungen und der sehr wenigen Überraschungen. Aber die Wahrheit darüber, was eindeutig gut und was eindeutig böse ist, sie bleibt provisorisch. Also versichern wir uns zwischenzeitlich und um 20 Uhr 15 beim Krimi.

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