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''24'': Sisyphus im Terror-Zeitalter

Feinde überall, Freunde nur in der Not: Jack Bauer bekommt es in der Pro-7-Echtzeitserie "24" mit Islamisten zu tun.

Als die Terroristen am 11. September 2001 mit den entführten Flugzeugen in die Twin Towers von New York stürzten, war George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten. Bush begann die Kriege in Afghanistan und im Irak, von siegreichen Feldzügen gegen den islamistisch grundierten Terror wollen nur wenige sprechen. Nur ein Amerikaner gewinnt immer, er kämpft seit „9/11“ gegen die Terroristen, die längst im eigenen Land sind, er heißt Jack Bauer (Kiefer Sutherland). Heute startet Pro 7 die sechste Staffel von „24“, jede Woche zwei Doppelfolgen.

Für diese Echtzeitserie – 24 Folgen bilden 24 Stunden im Kampf des Jack Bauer ab – spricht so gut wie gar nichts. Sie ist ein Killerspiel, nur dass der Konsument linear und passiv am Fernsehgerät hängt. Er sieht zu, wie Bauer tötet, er drückt nicht selber ab. Wer gegen das Bush-Gefangenenlager Guantanamo ist, der muss gegen die Antiterroreinheit CTU und insbesondere deren Mitglied Jack Bauer sein. „24“ vermittelt die Botschaft, im mindestens biblischen Kampf gegen das Böse sei jedes Mittel recht. Gegen die Gesetzlosen ist nur der Gesetzlose gewappnet. Im Angesicht des Ultimatums, der unbarmherzig forteilenden Uhr muss selbst der gute Amerikaner foltern. Oder hat Bush etwas gegen „Water Boarding“? Agent Bauer bewegt sich in der Grauzone des Antiterrorkampfs, (selbst-)gerechtfertigt dadurch, dass den amerikanischen Landsleuten die atomare Vernichtung droht, Terroristen und Nutznießer wie Russen, Chinesen die nationale Sicherheit bedrohen, selbstsüchtige Hardliner im Weißen Haus den eigenen Präsidenten (DB Woodside) beseitigen wollen. Bauers eigentlicher Feind heißt diesmal Abu Fayed (Aoni Maropis), der unbeirrbar wie ein Selbstmordattentäter denkt und handelt. Also handelt Bauer wie Abu Fayed. Staffel VI von „24“ ist in der Vernetzung der Ebenen (Buch: Howard Gordon), in der Auswahl des Personals und in der Dramaturgie des Handlungsverlaufs (Regie: John Cassar) den Vorgängern verflixt ähnlich. Sie ist ein Endpunkt und eines Finales würdig.

Jack Bauer kommt nach 20 Monaten chinesischer Haft frei, von der Folter schwer gekennzeichnet. Seine Freilassung ist Teil eines bösen Plans, Bauer soll um Amerikas Willen geopfert werden. Bomben haben bereits zahlreiche Menschenleben gekostet, Präsident Wayne Palmer (richtig, das ist der jüngere Bruder des getöteten David Palmer) steht unter dem Druck einer zunehmend hysterisierten Öffentlichkeit, in seinem Stab wächst die Neigung zu radikalen Maßnahmen, Bürgerrechte werden mehr und mehr ausgehebelt. Bauer gerät schnellstens vom Rand ins Zentrum des Geschehens, Feinde überall, Freunde nur in der Not. Bauer rast und wütet durch den Zeittunnel. Sein Überzeugungskern heißt Patriotismus, seine Sehnsucht heißt Erlösung.

Was auch Staffel VI so unendlich sehenswert macht? Bei allen Merkwürdigkeiten im Detail, an den Kanten und in den Brüchen der Storylines – „24“ ist ein TV-Suchtmittel von größter Wirkung, ein Strudel, dem die Vernunft nicht widerstehen kann. Die wahren Fans haben Staffel VI längst auf DVD gesehen. Sie streiten über die Rangfolge, die Wertigkeit der einzelnen Seasons. Ich sage nur: VI liegt nicht an der Spitze, nicht am Ende, VI liegt zwischen den Polen.

Parallelmontagen, Split Screens, die Überwältigung durch Überraschung, das Faszinosum der Gewaltbilder, die Kaskade der Action, dieses Westernhafte. „Alles, was du berührst, Jack, endet im Tod“, sagt Ex-Verteidigungsminister James Heller (William Devane). Kann Bauer anders, darf er anders? „Dirty Jack“ reflektiert das nicht, er muss Armageddon schlagen.

Kiefer Sutherland spielt Jack Bauer. Erst gebrochen, äußerlich vernarbt, dann innerlich neu verstrebt, mehr und mehr Maschine denn Mensch. Plötzlich klebt eine Familiengeschichte an ihm dran, Vater Phillip (James Cromwell), Bruder Graem (Paul McCrane), Neffe Josh (Evan Ellingson), die geliebte Audrey (Kim Raver), alle ziehen an ihm vorbei. Sisyphus im Terror-Zeitalter. Sutherland hat sich Bauer einverleibt und speit ihn als Schattenmann wieder aus. Tief, sehr tief sitzt im Zuschauer die Sympathie für diesen Mann. Bauer ist ein Held, den wir ablehnen und an den wir uns zugleich anlehnen wollen. Keiner, einer von uns.

Im Januar 2009 wird im US-Fernsehen die siebte Staffel von „24“ laufen. George W. Bush war dann Präsident. Der Abstand zwischen Bauer und dem Ex wird sich vergrößern. Jack Bauer steht, so viel haben die Autoren verraten, nicht mehr im Antiterrorkampf, seine Gegenspieler sind Amerikaner, in der Hauptstadt, in Washington. Es klingt wie ein Subtext für die nächste Präsidentschaft.

„24“, Pro 7, 22 Uhr 10

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