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Medien: Abschied von einem großen Publizisten

Politiker, Verleger, Journalisten und Freunde würdigen für den Tagesspiegel die Lebensleistung von Rudolf Augstein. Der Gründer und Herausgeber des „Spiegels“ starb am Donnerstag, zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag

Unbeugsamer Demokrat

Bundespräsident Johannes Rau: „Rudolf Augstein war vielleicht der größte unter den Publizisten der Bundesrepublik. Als Mitbegründer des ,Spiegel‘ hat er die deutsche Medienlandschaft geprägt wie kaum ein anderer. Er hat die Politik unseres Landes mitgestaltet. Augstein ist nicht nur ein brillanter, unabhängiger und unbestechlicher Analytiker gewesen. Auch als unbeugsamer Demokrat hat er sich kämpferisch in öffentliche Angelegenheiten eingemischt. Die Erfahrungen aus der Katastrophe des Nationalsozialismus haben ihn zu einem der mächtigsten Streiter für die freiheitliche Ordnung Deutschlands gemacht. Unser Land ist ärmer ohne ihn.“

Wegbereiter der Entspannungspolitik

Bundeskanzler Gerhard Schröder: „Rudolf Augstein war einer der bedeutendsten publizistischen Wegbereiter unseres Landes. Deutschland verliert mit ihm einen der ganz Großen seines Geisteslebens. Augstein zählt zu denen, die im letzten Jahrhundert die Geschichte der Publizistik geschrieben haben. Der Verleger hat die öffentliche Meinung wie kein Zweiter mitgeprägt und gestaltet. Sein Urteil besaß Gewicht und ist beachtet worden. Als Gründer des ,Spiegels‘ hat Augstein viele seiner Kollegen maßgeblich geprägt und eine eigene journalistische Tradition in Deutschland begründet. Die selbst gemachten Erfahrungen während der Nazizeit haben ihn zu einem glühenden Verfechter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemacht. Als aufmerksamer und historischer Wegbegleiter hat er die Ostpolitik Willy Brandts unterstützt. Ohne ihn ist die OstEntspannungspolitik nicht duchzusetzen gewesen. Zudem war Augstein immer für die Einheit Deutschlands gewesen.“

Ohne Nachfolger

Manfred Bissinger, Publizist: „Rudolf Augstein war der wirkungsmächtigste Journalist der deutschen Nachkriegsgeschichte. Er war der Letzte einer Generation großer, unabhängiger Publizisten und Verleger, als da waren: Axel Springer und Henri Nannen, Werner Friedmann, Gräfin Dönhoff und Gerd Bucerius. Augstein war ein Täter und kein Merker. Er wird keinen Nachfolger haben. Die Zeiten, die journalistische Titanen wachsen ließen, sind mit der Geburt des digitalen Kapitalismus endgültig untergegangen.“

Journalist des Jahrhunderts

Frank Schirrmacher, Herausgeber der „FAZ“: „Unter den vielen Auszeichnungen, die Rudolf Augstein erhalten hat, hat er eine mit größtem Recht empfangen: die Wahl zum Journalisten des Jahrhunderts. Augstein ist nicht mehr und nicht weniger, sein Epitaph steht in diesem schlichten Satz.“

Mitfühlender Mensch

Bernhard Servatius, ehemaliger Springer-Aufsichtsratsvorsitzender: Mit Rudolf Augstein ist eine der letzten Gründerpersönlichkeiten unter den deutschen Verlegern von uns gegangen. Rudolf Augstein hat mit dem ,Spiegel‘ nicht nur Pressegeschichte geschrieben, er hat Geschichte geschrieben. Sein Tod hat mich getroffen. Als ich ihn in den für ihn nicht einfachen 70er Jahren juristisch beraten und vertreten durfte, erschlossen sich mir Seiten seiner Persönlichkeit, die er nicht gerade herausstellte. Ich lernte ihn in existenziell einschneidenden Situationen als hochsensiblen und mitfühlenden Menschen kennen.“

Enthüller und Entdecker

Peter Boenisch, Publizist: „Rudolf Augstein war einer der größten Journalisten der Nachkriegszeit, vielleicht der bedeutendste. Auf jeden Fall gehörte er zu den wenigen, die sich um die Entwicklung dieser Republik verdient gemacht haben. Immer hellwach und blitzgescheit war es eine Tragödie, dass ausgerechnet er, der Enthüller und Entdecker, am Ende seines Lebens nicht mehr sehen konnte. Wir beide hatten oft völlig verschiedene Ansichten, aber wir haben uns immer gefreut, wenn wir uns trafen. Auch diese Aufgeschlossenheit gehörte zu seinen großen Qualitäten.“

Herr Augstein

Beate Wedekind, Journalistin: „Montags ist bei mir ,Spiegel’-Tag, seit ich mich erinnern kann. Und als erstes suchte ich stets nach den Leitartikeln Rudolf Augsteins. Der spielte schon als Kind als ,Herr Augstein’, wie mein Vater, ein ,Spiegel’-Süchtiger der ersten Stunde, Rudolf Augstein nannte, in meinem Leben eine Rolle. Herrn Augstein hatten wir es zuzuschreiben, dass das Montags-Frühstück in unserer Familie schweigend eingenommen werden musste. Weil das Familienoberhaupt den ,Spiegel’ las. Was hat sich mein Vater über Augstein aufregen können! Als ich Augstein Jahrzehnte später persönlich kennenlernte, erzählte ich ihm von den schweigenden Montags-Frühstücken. Wochen später bekam ich von ihm einen Brief: Er enthielt die Kopie eines Leserbriefes, den mein Vater 1958 an Herrn Augstein geschrieben hatte, und in dem er androhte, das Abonnement zu kündigen. Er hat es offensichtlich nie getan, das Abonnement haben wir noch immer. “

Mit ihm endete die Nachkriegszeit

Michael Jürgs, Publizist: „Nach dem Tod von Rudolf Augstein ging endgültig die Nachkriegszeit zu Ende, in der große Verleger wie Axel Springer, Gerd Bucerius, Henri Nannen und er die Medienlandschaft prägten und uns alle, die wir Journalisten geworden sind und noch immer daran glauben, dass dieser Beruf mehr als ein Warenhändler ist, ein Ziel gaben. Er war ein unheilbarer Denker, Gott sei Dank, und erst der Tod konnte ihn erlösen.“

Vierte Gewalt etabliert

Arnulf Baring, Historiker: „Augstein hat wie Joachim Fest oder Klaus Harpprecht zu jener in den 20er Jahren geborenen Journalisten-Generation gehört, die nach dem Krieg dem deutschen Journalismus, der durch den Nationalsozialismus versaut worden war, wieder zur Geltung verholfen hat. Er hat dazu beigetragen, dass die Medien sich als vierte Gewalt im Staate etablierten. Allerdings dürfe Augstein nicht unkritisch oder schwarz-weiß verehrt oder verworfen werden. Mit seinem oft von Hohn, Spott und Zynismus geprägten Verhalten hat Augstein viel von seinen guten Intentionen wieder zunichte gemacht.“

Überzeugung, Mut und Wille

Fritz Pleitgen, ARD-Vorsitzender: „Der Tod von Rudolf Augstein ist ein großer Verlust für Deutschland. Er war am demokratischen Aufbau unserer Republik und an ihrer Entwicklung zu einem geachteten, meinungsfreudigen Staat wesentlich beteiligt. Er war der Vorkämpfer für Pressefreiheit und investigativen Journalismus. Durch seine Überzeugung, seinen Mut und seinen unerschütterlichen Willen hat die Bundesrepublik gelernt, wie wichtig eine freie Presse für eine moderne Gesellschaft ist. Mit seinem Lebenswerk hat er Maßstäbe gesetzt, an denen wir uns auch in Zukunft orientieren werden."

Kämpfer an vorderster Front

Heinz Bauer, Verleger: „Rudolf Augstein war nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer und Verleger, sondern kämpfte immer an vorderster Front, wenn es um das hohe Gut der Pressefreiheit ging. Als Journalist verteidigte er stets seine Unabhängigkeit und ließ sich davon auch nicht abbringen, wenn er mit seiner Meinung polarisierte und Widerspruch provozierte. Mit Rudolf Augstein verliert die Medienbranche eine herausragende Persönlichkeit, die die Entwicklung der freien und unabhängigen Presse in Deutschland wie nur wenige geprägt hat.“

Ein Freund der Familie

John Jahr, Mitinhaber des Verlages Gruner + Jahr: „Der Tod von Rudolf Augstein ist für die Familie Jahr eine besonders traurige Nachricht, da er uns sehr nahe stand. Er war nicht nur ein Partner von John Jahr sen., sondern er war auch ein Freund der Familie im besten Sinne des Wortes. Und diese Freundschaft begann mit dem Umzug des ,Spiegels‘ von Hannover nach Hamburg im Jahre 1952. Zehn Jahre lang lebten wir mit Rudolf Augstein beinahe als halbes „Familienmitglied“ und Tennispartner Tür an Tür. Rudolf Augstein hat das Nachkriegsdeutschland der 50er und 60er Jahre mit dem ,Spiegel‘ kritisch begleitet. Es ging ihm immer um das Land und um die junge Demokratie im Nachkriegsdeutschland. Hierfür hatte er ein feines Gespür. Dieses wurde auch von Gegnern des ,Spiegels‘ anerkannt. Augstein war nicht nur ein Bewahrer eines liberalen und demokratischen Deutschlands, sondern auch dessen Verfechter.“

Ein wunderbar bescheidener Mann

Hubert Burda, Verleger: „Mit Rudolf Augstein verliert Deutschland einen großen Verleger. Einen streitbaren homo politicus mit unschätzbaren Verdiensten für unser Land, dessen erfolgreiche Entwicklung er als verantwortungsvoller Journalist und Herausgeber mit enormer Willens- und Durchsetzungskraft mit gestaltet hat. Er war nicht nur einer der einflussreichsten und mächtigsten Männer unseres Landes, er blieb dabei immer auch ein wunderbarer und bescheidener Mann.“

Niemals heiter oder glücklich

Wolfgang Menge, Fernsehautor: „Ich konnte mir während der letzten Jahre kaum vorstellen, dass er noch viel Vergnügen am Leben hatte, weil es ihm versagt war, selbst lesen zu können. Denn nie habe ich jemanden kennen gelernt, der so fanatisch viel las wie er, ganze Nächte durch und nicht immer, weil er Vergnügen daran hatte. So war er der wohl erste Journalist (blieb vielleicht der einzige), der damals beispielsweise den Entwurf des Notstandsgesetzes gelesen hat, bevor er seine Einwände veröffentlichte – während andere gleich protestierten, ohne den Text auch nur gesehen zu haben. Allerdings hatte Rudolf Augstein ohnehin Probleme damit, Vergnügen am Leben zu haben. Ich habe nie kapiert, wie jemand, der so viel Erfolg hatte in seinem Leben, dem es weder an Ruhm mangelte, an Geld, an Frauen – jemals wirklich heiter oder glücklich war. Mir erschien er immer eher etwas scheu und verlegen zu sein."

Advokat der politischen Kultur

Klaus Bölling, ehemaliger Regierungssprecher: „Es war ein Privileg, zu denen zu zählen, mit denen er auch in seinen letzten Jahren reden mochte. Er hat sich daran erinnert, dass ich ihn, seinen und meinen Freund Conrad Ahlers während der ,Spiegel’-Krise im Gefängnis besucht habe.

Sein schönster Feind war sicherlich Konrad Adenauer, und der wichtigste. Der hat ihm vor mehr als vierzig Jahren vorgeworfen, er wolle doch nur Geld verdienen. Der ,Alte‘, der sich von Franz Josef Strauß hatte weismachen lassen, die Republik stehe vor einem Abgrund an Landesverrat, hat zum Ende seines Lebens die Grüße des Journalisten aus Hannover anerkannt.

Nicht so sehr seiner scharfsinnigen Leitartikel wegen, mehr noch als der glorreiche Verteidiger der Pressefreiheit und Advokat der politischen Kultur bleibt Augstein ein wahrlich leuchtendes Vorbild für künftige Journalistengenerationen.“

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