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Ein Held kennt keine Pause. Nick Tschiller (Til Schweiger, links) ist schwer verletzt. Eigentlich. Aber das Böse wartet. Also geht es im Krankenhauskittel weiter. Kollegin Kallwey (Britta Hammelstein) ruft Hilfe, Mehmet (Berkant Öztürk) wartet ab. Foto: NDR

© NDR/Marion von der Mehden

Tatort-Kritik: Mit Laptop und Wumme

Der neueste Folge des Til-Schweiger-Tatorts verdient zwei Kritiken – eine ordnungsgemäße und eine empathische. "Kopfgeld" ist ein Krimi zwischen ausreichend und leider geil.

Ein Menschenleben ist nichts wert. Es gibt nur eine Gerechtigkeit: Die man selber übt. Wer später schießt, ist länger tot. „Kopfgeld“ kennt und transportiert nur glasklare Botschaften. Doppelbödig, komplex, elliptisch, Doppel-Helix, mehr als schwarz, weniger als weiß – Botenstoffe für die anderen „Tatort“-Krimis, Kunstkacke für Hauptdarsteller Til Schweiger, Autor Christoph Darnstädt und Regisseur Christian Alvart. Das Trio stand für die Premiere „Willkommen in Hamburg“ ein. Und steht jetzt für Nick Tschillers aktuellen, zweiten Fall.

Wieder Hamburg, wieder LKA, wieder der Astan-Clan. Im Auftakt hatte Tschiller drei Leute vom Ober-Astan (Erdal Yildiz) getötet, dessen Bruder zum Krüppel geschossen. Jetzt sitzen Ober und Unter im Knast, setzen ein Kopfgeld von 50 000 Euro für Tschillers herausgeschnittenes Herz aus, wollen das Drogengeschäft über Crystal Meth wieder in die Hand bekommen. Ein Container voll davon nähert sich der Freien und Hansestadt Hamburg. Dort laufen immer noch genug vom Clan frei herum. Einer misshandelt Tschillers aktuelle Affäre brutal, die Staatsanwältin Hanna Lennerz (Edita Malovcic). Eine Botschaft, glasklar.

Kriminelles und Persönliches

Das Kriminelle mischt sich mit Persönlichem, Tschillers Exfrau (Stefanie Stappenbeck) geht bei einem Anschlag beinahe drauf. Die Fronten sind klar, die Waffen sind gewählt, Gefangene werden nicht gemacht. Ober-Astan ist mit Rache vollgepumpt, Tschiller farbenblind, sieht nur rot. Emblematische Szene: Der Misshandler von Tschillers Affäre verlässt das LKA als freier Mann, er grinst, macht eine sehr fiese Bemerkung über seine Tat und sein Opfer, der Clan ist zum Showdown bereit. Tschiller hyperventiliert, seine Kollegen greifen zu den Waffen. Es ist wie einst in Tombstone, als Doc Holliday und Wyatt Earp die „Cowboys“ am O.K. Coral stellten.

Der Showdown wird verschoben.

Dass jede Menge Versager durch die Szenerie laufen und deswegen sterben müssen, geht klar. Interessant ist Bulle Enno Kromer (Ralph Herforth), der mit seinem Polizistendasein abgeschlossen hat und sich als Verlierer fühlt und zum Verräter wird. Ein im Inneren zerrissener Typ, der in den wenigen ruhigen Situationen des Films über Sinn und Zweck dieses Sisyphos-Kampfes gegen das organisierte Verbrechen räsoniert, über die Angleichung der Guten und der Bösen. Starke Szenen, die noch stärker sein könnten, wenn sie nicht derart mit Frontschweinprosa vollgepumpt wären.

Schweiger als Actionheld

Der eigentliche Star von „Willkommen in Hamburg“ war Tschillers Kollege Yalcin Gümer (der Eddie-Murphy-hafte Fahri Yardim). In dem Kollektiv der Schlichtdenker und Geradeaushandler ist er die hellste Leuchte am Christbaum. Der will auch mal was mit dem Kopf lösen und nicht immer mit selbigem durch die Wand. Yardim kommt in „Kopfgeld“ noch besser, prägnanter raus, weil er zum coolen Widerpart von Tschiller wird. Anders: Gümer denkt (mit dem Laptop), Tschiller schwenkt (die Wumme).

Til Schweiger: Zentralfigur, Action-Heiland, Macho-Recke unter Macho-Recken. Er agiert konfrontativ, nicht argumentativ. Bisschen simpel, bisschen schweißig, wer aber kann auf Dialektik setzen, wenn der Clan-Spast die Knarre auf einen richtet. Hamburg, das ist Hamburg City, da wird sich aufs Motorrad geschmissen und ins Feindesland geritten. Ach so, die Frauen? Sind zum Streicheln und zum Sex da, im Männersport vom Totmachen bleiben sie bitte an der Bordsteinkante zurück.

Plot und Handlung haben viel aus dem seligen Thriller-Genre à la „French Connection“. Dramaturgisch bietet „Kopfgeld“ die Grundrechenart des Actionkrimis, der Zuschauer bleibt jederzeit im Bilde, Spannung kommt nicht aus einer hirnigen Auflösung, vielmehr aus einer Springprozession aufs Finale hin. Das Tempo ist sehr hoch, die Kamera von Jakub Bejnarowicz sehr agil.

Schwierigkeitsgrad? Nebenbei kann das Sudoku im Tagesspiegel am Sonntag gelöst werden – der Film hat unterdessen nur die Leichen drei bis sieben erledigt. Insgesamt schafft er 19, das ist aktueller „Tatort“-Rekord.

Einzelne Momente schrammen schamhaarscharf an der Blamage vorbei. Zu gewollt, zu sehr Dicke-Eier-Fernsehen, zu sehr Effektmaschine. Ganz vorne Sequenzen und Dialoge zwischen Tschiller und Ex, zwischen Tschiller und Tochter Lenny (Luna Schweiger). Karikaturen von Beziehungen. „Du machst genau da weiter, wo du aufgehört hast“, sagt die Frau. Genau das ist Tschillers Problem und das seines zweiten „Tatorts“. Es geht Richtung Verwechslung, die Abzweigung zur Unverwechselbarkeit wurde verpasst. Alles egal? Alles Einwände des Feingrüblers? „Die Hard“ lebt seit sechs Folgen dasselbe Muster aus, und die Fans lechzen nach der nächsten Wiederholung in der nächsten Fortsetzung.

Ich gestehe, ich habe „Kopfgeld“ zwei Mal gesehen. Zunächst, und das bildet das Hochprozentige dieses Textes aus, in der Ja-aber-Haltung des Fernsehkritikers. Der gibt „Kopfgeld“ ein Ausreichend. Dann, ein weiteres Mal, zur vorgerückten Stunde, wenn das Leben Richtung Überbelichtung driftet. „Kopfgeld“? Geil. Leider.

„Tatort: Kopfgeld“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15

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