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All-inclusive-Angebot: Nicht gewollt: Eliten-TV

Was öffentlich-rechtliches Fernsehen leisten muss. Eine Position von ARD-Programmdirektor Volker Herres.

Es ist wieder Renntag in Hoppegarten. Große Starterfelder mit klaren Favoriten erwarten uns. Die Wettkasse ist prall gefüllt. „Nimm' Gratulant, den krassen Außenseiter“, raunen uns die Kollegen von der Medienseite zu, „der zahlt 300 für 10“. Eine Superquote. Aber die Formkurve? „Kein Problem. In der Rennleitung sitzen doch deine besten Freunde, die Politiker, die nehmen das nicht so genau, sondern werten die Zielfotografie zu deinen Gunsten aus.“

Hört sich an wie ein sicherer Tipp, was da gerade von der Medienseite kommt. Gewinnt der Außenseiter, hat man alles richtig gemacht, den Riecher gehabt und sich als absoluter Pferdekenner profiliert. Verliert er, na ja, hat man es immerhin versucht. Auf Favoriten setzen, kann jeder. Ist ja nicht unser Geld…

Die Rundfunkgebühr ist eine Mutprämie, kein Zahlungsmittel. Diese Meinung hat Joachim Huber im Tagesspiegel am vergangenen Sonntag vertreten und das öffentlich-rechtliche Fernsehen aufgefordert, mehr Risiko zu gehen. Schluss mit der Addition des Erfolgreichen! Mehr Abenteuer, her mit der Innovation. Wer will ein anderes Fernsehen? Finger hoch! Warum auch sollten wir auf die Favoriten des Publikums setzen?

Die Antwort ist einfach. Weil das Fernsehgeschäft kein Glücksspiel ist und die Rundfunkgebühren kein Zockergeld. Weil hohe Quoten auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein Beleg für das Zuschauerinteresse sind. Weil ein Vollprogramm wie Das Erste kein Experimentallabor ist, sondern einen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen hat. Auch wenn es langweilig klingt: Erst kommt die Information. Wir bieten Beiträge zur Bildung, Unterhaltung und zur Meinungsbildung. Wir leisten uns eines der größten Korrespondentennetze der Welt, um Fachleute vor Ort zu haben und das Weltgeschehen einzuordnen. Mit einer 24-Stunden-Web-Cam am Tahrir-Platz, mit Handy-Bildern aus Libyen, mit einem Chat oder das Twittern über die Regierungsumbildung geben wir uns nicht zufrieden. Information schlägt Emotion.

Wie schön war die gute alte Fernsehzeit: Ein paar Stunden Programm, die „Tagesschau“ um acht erklärte die Welt und die politischen Magazine bezogen klar Stellung. Alle fühlten sich gut informiert, Edgar Wallace fegte die Straßen und am Samstag kam „Zum Blauen Bock“. Und heute? Gesendet wird rund um die Uhr, die „Tagesschau“ gibt es im Stundentakt, dazwischen Magazine, Reportagen, Dokumentationen und wenn es irgendwo auf der Welt brennt, wird live berichtet. Aber das reicht nicht – ein diffuses Unbehagen herrscht in den Feuilletons. Information soll irgendwie anders sein, tiefgründiger und auf keinen Fall weichgespült. Wobei weichgespült meint, populäre Themen verständlich aufbereitet. Was viele sehen und jeder versteht, kann nicht gut sein.

Mich macht diese Befindlichkeit eher ratlos. Programm ausschließlich für Eliten ist nicht unser Auftrag. Was ist falsch, wenn in unseren Nachrichtensendungen das Grubenunglück in China genauso gemeldet wird wie die Entlassung eines Fußballtrainers, in unseren Magazinen Skandale aufgedeckt werden, unsere Dokumentationen historische Lügen enthüllen und in unseren Talksendungen Politisches und Persönliches diskutiert wird? Und es kann ja wohl auch nicht sein, dass die Qualität der Information daran gemessen wird, ob ein Sender zwei Minuten früher als der andere das aktuelle Geschehen kommentiert. Profitiert das Fernsehpublikum davon? Eher nicht.

Die Zuschauer sind zu Recht anspruchsvoll und möchten gesicherte Fakten und eine sachkundige Einordnung des Geschehens. All das bieten wir ihnen und so wundert es nicht, dass immer, wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert, das Erste eingeschaltet wird. Das muss auch so sein, denn wir sind gebührenfinanziert und haben dadurch das Privileg, hervorragend ausgebildete Journalisten beschäftigen zu können und überall auf der Welt präsent zu sein. Klar, geht auch in der ARD alles immer noch ein bisschen besser – wir arbeiten dran.

Der Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist sicher nicht an einen bestimmten Marktanteil geknüpft, aber auch Medienpolitiker können Zahlen lesen und achten sehr wohl darauf, ob ARD und ZDF ihr Publikum erreichen. Natürlich muss auch Neues erprobt werden. Das geschieht ja auch, aber eben nicht zum Selbstzweck. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht nur für die Außenseiter da und kann nicht zum Gratulanten für die kommerzielle Konkurrenz werden, die ausschließlich auf die klaren Favoriten setzt.

Volker Herres ist

Programmdirektor der ARD. Mit seinem

Beitrag antwortet er auf den Essay „223 Minuten pro Tag“, nachzulesen unter www.tagesspiegel.de/medien.

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