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Medien: Alpha-Männchen beißen nicht

Viel Redlichkeit und noch mehr Zuschauer: das zweite Fernsehduell zwischen Rüttgers und Steinbrück

Toto war da. Die bessere Hälfte des Polizistenpaares aus der Sat-1-Dokusoap „Toto und Harry“ war an der Bochumer Jahrhunderthalle für den Gebäudeschutz eingeteilt worden. Putzfrau, Hausmeister, Fotografen – alle erkannten ihn, obwohl er keine Uniform trug. Nur die wichtigen Spitzenpolitiker liefen mit ihren vielköpfigen Teams achtlos an ihm vorbei zur Aufzeichnung. Populäre Reality-TV-Protagonisten kennen die Kandidaten dann doch nicht. Politik ist eine ernste Sache.

Das zweite Fernsehduell zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD) und seinem CDU-Herausforderer Jürgen Rüttgers markiert den Schlussspurt für die Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Das ZDF und – um drei Sekunden verzögert – der WDR sendeten später das ungeschnittene Band. Gern umkreiste die Kamera das Häuflein der vier Aufrechten. Stehend präsentierten sich diesmal nicht nur die Duellanten, sondern auch die abwechselnd fragenden Moderatoren, ZDF-Talkerin Maybrit Illner und WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn. Beide beherrschen ihren Job und arbeiteten klar formulierend einen wohl sortierten Fragenkatalog durch. Das gab der Sendung Struktur. So wirkte das Rückspiel politischer als Duell Nummer eins beim Privatsender RTL, und sogar das später herbeizitierte „Zeitkonto“ störte nicht weiter.

Dem TV-Duell fünf Tage vor dem Wahlgang komme große Bedeutung zu, glauben einige Wahlforscher, weil ganz viele Wähler noch unentschieden seien. Was sie nicht ahnen: Viele werden es bleiben. Denn obwohl Politiker wie Journalisten beschwören, es gehe um sagenhaft viel, einen Richtungswahlkampf, eine Entscheidungsschlacht, das rot-grüne Projekt, ja um die Regierungsfähigkeit in Berlin, bleibt die Stimmung im Lande selbst seltsam gedämpft. Keine Schlachtgesänge, keine letzten verzweifelten Maßnahmen, keine hitzigen Debatten im Bekanntenkreis oder Scharen konvertierter Bekenner. Keine Spur von erregter Gesellschaft. Eher matt werben die Parteien, konkurrieren artige Männer ohne Leidenschaft redlich um den Platz in der Mitte.

Bei der Wahl am 22. Mai können rund 13,4 Millionen Menschen ihre Stimme abgeben. Nimmt man die Einschaltquoten zum Seismografen, wie wichtig die Wähler Fernsehduelle als Entscheidungshilfe nehmen, dann sind die Ausschläge eher gering. Die RTL-Ausgabe am 5. Mai (Christi Himmelfahrt und Vatertag) wollten nur 930 000 Fernsehzuschauer verfolgen. Beim zweiten Duell war das Interesse größer: Das WDR Fernsehen erreichte in Nordrhein-Westfalen 610 000 Menschen, das ZDF bundesweit 2,65 Millionen. Wenn die NRW-Wahl tatsächlich die behauptete richtungsweisende Entscheidung über das Politprojekt Rot-Grün im Land, aber auch im Bund sein soll, dann hat der Zuschauer, der ein Wähler ist, diese Dramatik nicht gesehen, oder er hat sie nicht sehen wollen. Der Marktanteil im WDR Fernsehen zu Rüttgers/Steinbrück liegt bei 9,0 Prozent, der im ZDF bei 8,5 Prozent.

Fernsehduelle werden zeitnah zum Wahltermin angesetzt. Sie sollen finalen, motivierenden Charakter haben. Und doch scheint es so, als wären die Weichen früher gestellt worden. In Nordrhein-Westfalen forciert Steinbrück nun angeblich eine wilde Aufholjagd, aber das tat der VfL Bochum auch. Er hätte, spätestens beim zweiten Duell am Dienstag, schon riesig punkten müssen, um seine besseren persönlichen Sympathiewerte in eine allerletzte Mobilisierung umzumünzen. Aber Rüttgers machte keine Fehler, trat in keine Fettnäpfchen, wirkte – obwohl er sich hier und da mit Zettel und Zitaten bewaffnet hatte – sogar souveräner als im Hinspiel. Einen Thatcherismus wird es mit ihm nicht geben, Angst muss keiner haben, er will umsteuern, aber sanft, die Wirtschaft entfesseln, aber auch an Werte binden. Fanfaren des Aufbruchs bläst er nicht.

Steinbrück war diesmal höflicher als in der RTL-Runde, deswegen aber auch weniger aggressiv. Er weiß: Wer bis zuletzt kämpft, ist auch derjenige, der am Ende das Licht ausmachen muss. Er gab sein Bestes, setzte aber nicht alles auf eine Karte. Steinbrück strampelt, wo Rau einst schwebte. Er ist ein guter Vertreter seiner Partei, aber kein Hegemon.

Es ist die Wirtschaft, dummerweise. Darüber aber hat die SPD ihre kulturelle Identität verloren: zerrissen zwischen Hartz und Heuschrecke, Arbeiterstolz und Moderne. Keiner glaubt mehr, dass der schwache Traditions-Industrialist Harald Schartau die Basis final hochreißen kann. Darum hält auch Peer Steinbrück ihn lieber hinterm Vorhang und betont im Schlusswort eine Frage als einzig entscheidende: Wer ist der bessere Ministerpräsident? SPD müsse man wählen, damit man Steinbrück kriegt.

Rüttgers ist kein strahlender Held, aber gewiss liegt er auch nicht am Boden. Er blieb gelassen und schlug sich wacker. Bei den Sympathiewerten – das zeigten die sofort erhobenen Gottesurteile von infratest/dimap – liegt Steinbrück vorne, aber größere Kompetenz für Arbeit und Bildung wird beim Herausforderer verortet.

Im WDR Fernsehen lief vor dem Duell der Film: „Hund oder Katze – wer ist klüger?“ , und es zeigte sich, dass die Begabungen zwar verschieden sind, die Sache im Großen und Ganzen aber unentschieden ausgeht. Diese Tendenz setzte sich in der Folgesendung fort.

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