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Arbeitsplatz BVB-Stadion. Trotz der jüngsten Attacken lässt Marcel Reif das Kommentieren nicht – am Samstag beim Spiel der Dortmunder gegen die Kölner.

© imago/DeFodi

Am Schluss fließt Blut: Marcel Reif kommentiert in Dortmund mit Bodyguard

Nach den jüngsten Attacken gab es nun Manndeckung für Sportreporter Marcel Reif: Am Wochenende kommentierte er für Sky das Bundesliga-Spiel von Borussia Dortmund gegen den 1. FC Köln. Ein Besuch.

Am Ende blutet Marcel Reif. An der rechten Hand. Ein paar blutdurchtränkte Tempotücher liegen vor ihm. Auch die Wolldecke, die ihn an diesem nasskalten Abend im Dortmunder Stadion wärmen soll, hat ein paar rote Tropfen abbekommen. Reif flucht ein wenig und packt seine Arbeitsunterlagen ein. Ein ob des mageren Spielresultats – ein torloses Unentschieden – hörbar gefrusteter Fan der Borussia aus Dortmund schreit vom Treppenabgang hoch: „Reif, du Arschloch! Arschloch! Arschloch!“ Er ist aber schon ein paar Biere im Vorsprung.

Von vorne: Marcel Reif, der Fußball-Chefkommentator von Sky, der in der vergangenen Woche zwei Mal von Borussen-Fans, warum auch immer, tätlich angegriffen wurde, war am vergangenen Samstag wieder in Dortmund im Einsatz, beim Spiel gegen den 1. FC Köln. Er reiste dazu nicht unter einer Tarnkappe an, er trug kein Hoodie, keinen tief ins Gesicht gezogenen Kapuzenpullover, keine Sonnenbrille, nicht mal ein Basecap stellte ihn inkognito. Marcel Reif trat als Marcel Reif ins Stadion.

Allerdings begleitet von einem Bodyguard, der ihn in einem Auto mit abgedunkelten Scheiben am Flughafen abgeholt hatte. Das ist ein unauffälliger junger Mann mit einer Statur, mit der man sich auch in die dunkelsten Ecken Dortmunds trauen würde. Aber er tritt nicht martialisch auf, nicht wichtig, hat keinen Knopf mit diesen transparenten Spiralen der Hysterie im Ohr. Auffällig ist bei ihm nur der Regenschirm, den er mit sich trägt, den man nicht braucht im komplett überdachten Dortmunder Stadion – und doch braucht, wenn Dumpfbacken wieder Bier regnen lassen auf den Journalisten Marcel Reif.

Sein Arbeitsplatz ist im Block 48, Reihe 30, Platz 39, unmittelbar neben dem Treppenauf- und abgang. Da gehen nicht die Hardcore-Fans aus der Südtribüne her, aber dass die gemäßigteren ihm wohlgesonnen sind, kann man auch nicht sagen. Einer macht vor dem Spiel ein Foto mit dem Handy von dem Kommentator. So ein Star-Foto macht sich ja immer gut am Abend in der Kneipe. Dann sagt er zu den Umstehenden: „Schade, ich habe leider kein Bier dabei, das könnte ich ihm überschütten.“

Die Beziehung zwischen Dortmund und Reif ist irrational

Man kann es wahrscheinlich etwas irrational nennen, was hier in Dortmund zwischen Dortmund und Reif geschieht. Der ist, fragt man die fachkundigen Branchenkollegen, außer den hasstriefenden von Focus online, aber die sind nicht fachkundig, Reif also ist der kompetenteste deutschsprachige Fußballkommentator: immer auf Höhe des Balls, dabei witzig, originell, sprachgewandt und in der Lage ein Spiel zu lesen. Dass er selbstverliebt ist, wird und kann er nicht abstreiten.

Es kursiert ein altes Video durch YouTube. Das zeigt den noch jungen Franz Beckenbauer, der über den „Zauberer“ Marcel Reif lästert, „lasst den nicht zum Fußball“. Man muss dazu wissen, dass Reif, 65, selbst in jungen Jahren ein nicht unbegabter Spieler, ein paar Tage zuvor in einem Benefizspiel den Kaiser getunnelt hat. Höchststrafe.

Marcel Reif ist leidenschaftlicher Fan dieses Spiels. Als die 80 000 Dortmunder Fans im Stadion vor Beginn des Spiels wie immer und durchaus beeindruckend „You never walk alone“, die Fußballhymne schlechthin, anstimmen, singt Reif, unbemerkt von der Öffentlichkeit, leise mit. „Ich liebe dieses Lied, aber nicht von hier, ich habe es im Original in Liverpool gehört“, sagt er. Sein Buch „Aus spitzem Winkel“ hat er seinen drei Söhnen gewidmet, mit der Liedtextzeile „...hold your head up high...“.

Sich den Brüllaffen und Krakeelern nicht beugen

Den Kopf hoch halten, darum geht es hier. Sich nicht beugen den Brüllaffen, die in anderen Zusammenhängen von der „Lügenpresse“ krakeelen. Immer wieder drehen sich die Menschen um, schauen hoch zu Reif, das Spiel gibt nicht viel her, da kann man schon mal zu dem „Schwein“ schauen, das schuldig sein soll am Zustand der Borussia. Reif macht seinen Job, ununterbrochen beobachtet von seinem Bodyguard. In seinem Kommentar verkneift er sich jegliche Anspielung auf die Vorkommnisse. Er sagt, was Sache ist, nämlich, dass die Dortmunder zu wenig für das Spiel tun und gut bedient sind mit dem 0:0.

Schlusspfiff. Es bleibt beim 0:0. Der Bodyguard begleitet den blutenden Reif das kurze Stück durch die Menge, die höhnischen Rufe prallen ab. Im sicheren Ü-Wagen lässt Reif sich pflastern. Der Flachs blüht, Reif bietet zwei Versionen an: „Ich bin angestochen worden.“ Oder: „Vor lauter Angst habe ich mich geritzt.“ Ein Kollege sagt: „Du hast ja sieben Leben. Ist eben risky business.“ Alle lachen. Tatsächlich hat sich Marcel Reif an einer Plastikfolie seiner Unterlagen verletzt. Wird Zeit, dass auch die Borussia Dortmund zur Gelassenheit zurückkehrt.

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