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Medien: Angst vor der eigenen Courage

Premiere für „Cicero“: Ein lohnendes Unterfangen, aber nicht konsequent genug

MANFRED BISSINGER, 63, ist bei Hoffmann und Campe für Kundenzeitschriften zuständig. Der Freund von Kanzler Schröder arbeitete einst für den „Cicero“-Verlag Ringier. Als es Bissingers „Woche“ noch gab und Michael Ringier die „Weltwoche“ kaufen wollte, spielten beide einmal mit dem Gedanken eines gemeinsamen Projekts.

Es ist gut, dass in der Schweiz deutsch gesprochen wird. Und es ist noch besser, dass ausgerechnet dort auch engagierte Verleger sitzen, die an die Sprache glauben und mit helfen wollen, über Zeitschriften ihre Zukunft zu bewahren. Michael Ringier, der Herr des Schweizer Boulevards, ist so einer. Zehn Millionen Euro hat er einer kleinen Crew von Redakteuren in Potsdam auf den Redaktionstisch gepackt, und die haben dafür das neue Monatsblatt „Cicero“ entwickelt. Ab heute liegt es am Kiosk.

Das Geld reicht für sechs Ausgaben. Sechs Monate also haben sie Zeit, die 50 000 Käufer zu finden, die notwendig sind, um die Monatszeitschrift erfolgreich am Markt zu platzieren. Dabei setzt „Cicero“ auf ungewöhnliche Themen, auf beste Fotografie und Illustration und sucht überwiegend mit Spitzenautoren das Blatt zu füllen.

Ein kühnes, ein lohnendes Unterfangen gerade in journalistischen Zeiten, die mehr von Handkantenschlägen denn Florettfechten geprägt sind. Wer die erste Ausgabe in Händen hält, kann sich durchaus vorstellen, dass die Mühen lohnen. Schon das Startheft bietet mehr Stoff als manche Wochenblätter.

Mit dem Titelthema bewies die Redaktion ungewöhnliche Risikofreude, und sie hatte Erfolg damit. Gerhard Schröder als Cover-Held ausgerechnet in der Woche, in der er tränenreich vom Vorsitz seiner Partei verabschiedet worden ist. Das hätte auch nach hinten losgehen können. Ist es aber nicht, auch wegen der auf 21 Seiten aufbereiteten kompakten Kanzler-Analyse, eingeleitet von einem eher unkonventionell-offen geführten Interview des Schweizer Publizisten Frank A. Meyer. Er ist noch nicht von der grassierenden Sucht seiner deutschen Kollegen befallen, den Schlamm der eigenen Schuhe an den Autoritäten des Staates abwischen zu wollen. Wer Schröders Antworten liest, ahnt, warum der Kanzler sich mit „Bild“ nicht mehr abgeben mag. Und selbst Jim Raketes Foto-Essay kontrastiert auf so angenehme Weise zum alarmistischen Berlin-Journalismus dieser Monate, dass man „Cicero“ schon wegen dieses Schwerpunktes (inklusive der spitzen Beobachtungen des Schriftstellers Peter Schneider) Erfolg wünschen möchte.

Überlegen sollten Verleger und Redaktion vielleicht aber doch, ob nicht fotografische Titel erkennbarer und damit wirkungsvoller sind, als das von Immendorff gezeichnete Kanzler-Porträt. In diesem Fall hätte gar ein selbst produziertes, Riefenstahl-artiges Schröder-Foto aus der Rakete-Kamera zur Verfügung gestanden. So ist es im Bildteil gelandet. Bleibt dem Leser nur die Frage: Warum stellt die Redaktion mitten in eine so intensive Auseinandersetzung mit Schröder (mit Texten von Alexander Gauland und BDI- Präses Michael Rogowski) ausgerechnet noch einen Namensartikel des so traurig gescheiterten Rudolf Scharping. Ausgerechnet er darf über „Sprunghaftigkeit“ philosophieren; mit keinem Wort aber wird erwähnt, wie er seine eigenen „Grundüberzeugungen“ in einem mallorquinischen Pool absaufen ließ. Hatte die Redaktion am Ende gar Angst vor der eigenen Courage, mal konsequent gegen die Berliner Hysterie anzuschreiben? Zu dieser gehört es längst, kein gutes Haar am Kanzler zu lassen. Suchte sie sich womöglich über den gescheiterten Ex-Vorsitzenden doch noch abzusichern?

Da sollte „Cicero“ seinen Lesern mehr eigene Urteilsfähigkeit zutrauen. So ist es beispielsweise ebenso unnötig, neben den vorzüglichen Text des amerikanischen Großschriftstellers Arthur Miller über Castro und Kuba einen Folterbericht zu stellen. Derlei Ausgewogenheit langweilt eher. Und merke: Nicht jedes Thema wird durch Pro & Kontra besser, manches verwässert auch.

Die Autorenschar von „Cicero“ ist vielfältig genug und politisch ausgewogen ist sie sowieso: Von Milton Friedman zu Ex-BMW- Boss Eberhard von Kuenheim, vom Spitzen-Essay des Historikers Hans-Peter Schwarz („Das Roosevelt-Syndrom“) bis zu Maxim Billers Hommage an Berlin. Von Raddatz zu Harpprecht, von kurzen, knackigen Interviews mit Gerd Schulte-Hillen, dem Ex-Bertelsmann-Aufseher bis zu Werner Müller, dem Ex-Minister und heutigen RAG-Vorstands-Chef. Müllers Gedanken zum mentalen deutschen Sozialismus taugten gut und gerne als Grundlage für ein „Cicero“-Titelthema.

Überflüssig aber scheint auch der ein oder andere tagespolitische Reflex: Das x-te Gespräch mit dem potenziellen Bundespräsidenten Horst Köhler. Was soll der arme Mann denn noch Neues sagen? Warum nicht einen Autor bitten, ihm seine erste Rede im Amt aufzuschreiben – über Reform und Globalisierung. Ohne Pfiff auch die Analyse der Hamburg-Wahl. Dieses Geschäft besorgen doch die Tageszeitungen besser und rechtzeitiger. Am Beispiel der Hansestadt wäre viel interessanter gewesen zu fragen: Wie viele Parteilose verträgt eine Landesregierung? Ein Monatsblatt muss nicht auf jeder Baustelle präsent sein. In der Beschränkung liegt die redaktionelle Qualität. „Cicero“ sollte wissen: Platz ist eines der kostbarsten Güter einer guten Zeitschrift.

Und um mit den Kollegen der „taz“ zu enden: Was fehlt? Mir jedenfalls die große Reportage, die szenische Fall-Studie, noch immer die Königsdisziplin des Journalismus.

Manfred Bissinger

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