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ARD-Doku "Sterben für Allah": Verirrt auf dem Weg nach Syrien

Die ARD-Dokumentation "Sterben für Allah? Deutsche Gotteskrieger auf dem Weg nach Syrien" will den Weg junger radikalisierter Männer nachvollziehen. Dabei reproduziert sie Klischees und verirrt sich auf den Recherchewegen heillos.

„Das ist die Geschichte von Ennes, einem Frankfurter Schüler, der nach Syrien zog, um zu kämpfen. Und dort erschossen wurde. Er wurde 16 Jahre alt. Wie konnte es dazu kommen, dass ein ganz normaler Deutscher zu einem sogenannten Gotteskrieger wurde? Was hat ihn dazu bewegt? Eine Spurensuche!“ Der Anfang der Dokumentation  „Sterben für Allah? Deutsche Gotteskrieger auf dem Weg nach Syrien“ ist ziemlich gut. Nur warum hört man im deutschen Fernsehen, immer wenn es tragödienhaft wird, Sphärenmusik? Und dazu wird dann elegisch auf einem Klavier geklimpert.

Dieses musikalische Stilmittel, es wurde schon so oft durch den Medienfleischwolf gedreht und gedrückt , dass jedes Klavier, das so fürs Fernsehen arbeitet, eigentlich Ruhestreik beantragen müsste. Dann geht’s nach Frankfurt Bockenheim. Und schon speit der Klischee-Teufel weitere belanglose Wort-Feuer aus.

Natürlich ist Frankfurt Bockenheim „ein Stadtteil im Schatten der Skyline“. Auch wenn die Frankfurter Hochhäuser kilometerweit entfernt sind und alles tun, nur keinen Schatten auf Bockenheim werfen. Nicht genug, weiteres Wortgeröll türmt sich auf, wie eine unbezwingbare Gebirgskette. Ennes ist ein Scheidungskind. Endlich mal eine griffige und einfache Linear-Begründung: Scheidung, der Vater haut ab, Ennes wird religiös, dann Extremist, dann Gotteskrieger und dann getötet.

Wenn nur alle Probleme dieser Welt so locker leicht erklärt werden könnten. Apropos – es wird Zeit, dass jemand zu Wort kommt. Schon 1 Minute und 45 Sekunden sind vergangen. So viel Text und Bilder, da steigt doch jeder Zuschauer aus und schaltet um. Wie wäre es mit einem O-Ton der Mutter? Eigentlich will sie nicht vor die Kamera. Dann klappt es doch. Der Ton wird aufgenommen und das Bild nachgestellt. Eigentlich ganz verständlich, dass es eine Mutter, die ihren Sohn verloren hat, nicht vor die Kamera drängt. Aber die Bilder erzählen eine andere Geschichte.

Light-Version einer journalistischen Auseinandersetzung

Der Reporter klingelt an der Tür, man sieht die Gegensprechanlage. Und dann geht der Reporter die Treppe zur Wohnung hinauf. Entweder ist diese Sequenz gestellt und der Interview-Termin war vorher ausgemacht - oder der Reporter ist ohne Termin und unangemeldet bei der Mutter aufgeschlagen. Dann wäre es das berüchtigte Witwen-Schütteln, das der Boulevard-Presse so gerne vorgeworfen wird. Die Mutter kann nicht verstehen, warum ihr Sohn so radikal wurde. Und der Kritiker kann nicht verstehen, warum ein 15 Jähriger ohne Erlaubnis der Eltern so einfach nach Syrien reisen kann. Aber dieses Problem wird in dieser Dokumentation auch nicht gelöst.

Dann wird es hektisch. Von der Mutter springt der Film ins von Dschihadisten gegründete Kalifat. Dann kommt die Schulleiterin zu Wort. Wobei nie geklärt wird, ob sie Ennes überhaupt unterrichtet hat. Dann wird eine Salafisten-Veranstaltung besucht, ein Islamwissenschaftler und ein Moschee-Vorstand kommen zu Wort. Ein Propagandavideo wird gezeigt, das nur mittelbar etwas mit Ennes zu tun hat.

Und dann wird es ganz grausam. Ein Bekannter von Ennes wird interviewt. Aber er sagt nichts zu Ennes, er kann ungestört über seine abstruse Auslegung des Islam schwadronieren. Keine Reporterzwischenfrage unterbricht diese Blubber-Blasen-Interpretation. Eins ist da schnell klar, auch diese ARD-Dokumentation hat mehr versprochen, als sie halten kann oder will. Diese Light-Version einer journalistischen Auseinandersetzung hilft sicher nicht, die öffentlich-rechtlichen Qualität zu steigern. Und warum Ennes zum Gotteskrieger wurde, bleibt auch ungeklärt. 

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