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Der IT-Experte Lutz Otte verkaufte Informationen über 20 000 Konten an den deutschen Fiskus.

© WDR

ARD-Doku: Vom Fluss des Geldes

Ein krimineller Dieb? Ein Held? Ein „Whistleblower“? Zwei Filme über den Handel mit Kontodaten und den Kampf gegen Steuerbetrug.

Der Ankauf gestohlener Bankdaten war offenbar eine blendende Investition: Zwischen 2010 und 2014 haben 128 000 Menschen beim Finanzamt Selbstanzeige gestellt, „ausgelöst durch die Sorge, durch CDs auffliegen zu können“. Dies sagt Norbert Walter-Borjans (SPD), Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und fleißigster Kontodaten-Käufer der Republik, in der ARD-Dokumentation „Der große Steuerbetrug“. Insgesamt habe der deutsche Staat rund fünf Milliarden Euro durch Nach- und Strafzahlungen sowie Bußgelder von Banken eingenommen. Allerdings ist der Erfolg relativ. Bis zu 100 Milliarden Euro würden jährlich durch Steuerhinterziehung verloren gehen, heißt es. Filmautor John Kantara bezieht sich damit offenbar auf eine Schätzung der Hans-Böckler-Stiftung, ohne allerdings die Quelle zu nennen.

Einer, der deutschen Steuersündern so richtig Angst einflößte, ist Lutz Otte. Der IT-Experte bei der Julius Bär Bank in Zürich verkaufte über einen ehemaligen Berliner Steuerfahnder, den er beim Golfspielen kennengelernt hatte, Informationen über 20 000 Konten an den deutschen Fiskus. Otte hat dafür gebüßt, er saß unter anderem wegen Verletzung des Bankgeheimnisses eineinhalb Jahre in einem Schweizer Gefängnis – während Steuerhinterziehung dort nur ein Ordnungsdelikt sei, wie der Autor anmerkt. Auch gegen seine Frau Anita Thomas war schon ermittelt worden. Sie sei „psychisch dermaßen unter Druck gesetzt“ worden, sagt sie, noch sichtlich empört, über die Schweizer Behörden. Otte nennt das „Sippenhaft“.

So ein Dagobert-Duck-Feeling

Was ist einer wie Otte? Ein krimineller Dieb? Ein Held? Ein „Whistleblower“, wie ihn Kantara nennt? In die Welt der Überzeugungstäter à la Edward Snowden passt Otte nicht so recht, wie er in einem Interview mit der „Zeit“ gerade selbst einräumte. Er sehe sich „jetzt nicht unbedingt als Whistleblower“, wird er dort zitiert. Otte witterte einfach ein gutes Geschäft. Auch im Film versucht er erfrischenderweise nicht, seine Motive zu idealisieren. Ursprünglich habe er drei Millionen Euro für die Daten haben wollen, doch der deutsche Fiskus sei „nicht so großzügig“. Am Ende erhielt Otte 1,1 Millionen Euro. Die Geschichte ist ein bisschen abenteuerlich. Das Geld wurde erst auf das Konto des ehemaligen Steuerfahnders überwiesen, der hob es ab und übergab es in bar. Otte überkam dabei „so ein Dagobert-Duck-Feeling“, sagt er. Nun sind sich beide uneins, wie viel Geld der Vermittler für seine Dienste behalten durfte. Hinterzieht da etwa jemand Steuern, der gerade dabei geholfen hat, Steuerhinterzieher zu entlarven?

Diese Frage bleibt naturgemäß offen, andere stellt der Autor leider gar nicht. Zum Beispiel, was Otte mit dem ganzen Geld anfing? In der „Zeit“ windet sich Otte bei diesem Thema mit seltsamen Andeutungen heraus. Da hätte man gerne in sein Gesicht gesehen. Doch im Film belästigt Kantara seinen Protagonisten nicht mit allzu drängenden Nachfragen. Otte sei ohne Arbeit und habe auch keine Aussicht, jemals wieder bei einer Bank zu arbeiten, heißt es nur. Der Vollständigkeit halber hätte man erwähnen können, dass der ehemalige IT-Experte seine eigene Geschichte gerade zu einem Roman („Schwarzgeld“) verarbeitet hat.

Das Geld fließt überall dorthin, wo es Ritzen hat

Zur besseren Einordnung empfiehlt sich der Dokumentarfilm „Falciani und der Bankenskandal“, den die ARD am Dienstag ausstrahlt. Hervé Falciani, ein Informatiker mit französischem und italienischem Pass, kopierte als Angestellter der HSBC-Bank in Genf Daten von mehr als 100 000 privaten Nummernkonten und stellte diese 2008 zuerst den französischen Behörden zur Verfügung. Als „Swissleaks“ machte die Affäre Schlagzeilen. Dabei ging es um gewaltige Summen, um mehr als 75 Milliarden Euro, die den Steuerbehörden in 200 Ländern mutmaßlich verschwiegen wurden. Gründlicher, als es Kantara in einem 45-minütigen Film tun kann, wird hier die internationale Politik nach der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 bis in die Gegenwart nachvollzogen. Beiden Filmen gemein ist der Pessimismus, dass sich mit dem Ende des Schweizer Bankgeheimnisses das Thema Steuerhinterziehung sicher nicht erledigen werde. „Das Geld ist wie Wasser. Es fließt überall dorthin, wo es Ritzen hat“, sagt Hans-Rudolf Merz. Er muss es wissen, er war von 2004 bis 2010 Finanzminister in der Schweiz.

„die story: Der große Steuerbetrug“; ARD, Montag, 22 Uhr 45; „Falciani und der Bankenskandal“; ARD, Dienstag, 22 Uhr 45

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