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Nach dem Tod seines Bruders kümmert sich Städter Erik (David Rott, l.) um dessen Kinder und den Milchhof. Bauer Otto (Axel Werner) ist ihm nicht wohlgesinnt.

© ARD Degeto/Conny Klein

ARD-Heimatfilm: Von Kühen und Menschen

Schon Klischees, aber eben nicht nur: Der ARD-Film „Die Kinder meines Bruders“ ertrinkt nicht in Muh und U. Es geht

Milch ist heutzutage ein besonders problematischer Saft. So unschuldig weiß er durch die Saugnäpfe aus den Eutern in die Maschinen strömt, so mulmig wird dem Zuschauer. Er begreift ja längst, dass es zu viel von dem wunderbaren Zeug gibt, dass es die kleinen Erzeuger verschleudern müssen, dass die Gesundheitsapostel auf der Lauer liegen, dass Technik und Finanzierung den normalen Bauern an den Rand drängen. Weiß blutet eine bedrohte Landwirtschaft.

Gleichzeitig gehören die Postkartenbilder von glücklichen Kühen, fleißigen Bauern, satten Matten immer noch zum symbolischen Kernbestand, aus dem das Unterhaltungsfernsehen Milch und Honig saugt. Pardon: U macht gerne Muh. Aber zu den guten alten Bildern kommen heute gern die bedrohlichen. Gerichtsvollzieher zerren an den Viechern der unschuldig Verschuldeten. Im Kuhdienst ergrauten Altbauern kommen die Tränen: Der Metzger rollt schon mit seinem Hänger heran. Der Spekulant blickt hinter seiner Sonnenbrille fröhlich, der Banker überschlägt verschlagen seine Gewinne, und der Fernsehschnulzenerzähler muss es mächtig knirschen lassen, damit gerade noch ein Happy End herauskommt.

Die Milch wird nicht zu Käse

Aber U und Muh müssen kein Schmu sein. Die schon 2014 entstandene Degeto-Produktion „Die Kinder meines Bruders“ (Buch: Josephin von Thayenthal, Robert von Thayenthal; Regie: Ingo Rasper; Drehorte: Tangermünde und das Dorf Körzin) schafft es, die Umwälzungen auf dem Lande durchzunehmen, ohne dass vor lauter Rührung die Milch zu Käse wird.

Der Tod hilft kräftig mit. Erst wogen Kornfelder. Aber dann kracht ein kleines Auto unter einen Milchtransporter. Der plötzlichen Stille folgt stilles Entsetzen. Der Fahrer, Milchbauer Christoph (Roman Knizka), ist tot. Es sieht nach Selbstmord aus. Der Zuschauer war zuvor mit dem besorgten 16-jährigen Sohn Nico (Max Hegewald) auf dem Mofa unterwegs, hat den Vater heimlich auf seiner letzten Tour zu einem Geldinstitut verfolgt, hat durchs Fenster geblickt, als dem verschuldeten Christoph die Zwangsversteigerung verkündet wird. Nun sind sie nach dem Tod des Vaters – die Mutter war schon zuvor gestorben – Vollwaisen: Nico und seine kleine Schwester Leonie (fantastisch: Cosima Schroeder).

Doch die Milchwirtschaft, die den Vater ruiniert hat, läuft zunächst gespenstisch weiter. Wie in Trance versorgen die Kinder den Betrieb. Die Tränen fließen nach innen, für Zorn und Trauer bleibt keine Zeit. Die trotzige Flucht der Milchbauernkinder in die Arbeit zeigen Regie und Kamera (Johannes Louis) voller Mitleid und Respekt.

Allerdings ist der Zuschauer am Freitag im Ersten nicht zu einer Hochkunst-Tragödie eingeladen. Rettung muss nahen. Sie naht angenehmerweise so, dass nicht alle Rührungsdämme brechen. David Rott spielt Eric, den Bruder des toten Christoph: einen charmanten Leichtfuß, Großstadtbekenner, ein Single ohne Familiengepäck mit Freundin (Anna Thalbach), Bootsnarr, Sekttrinker. Und nun das. Die Tante aus dem Kuhdorf (Carmen-Maja Antoni) meldet ihm auf dem Handy das schreckliche Geschehen.

Heimat ist ein scharfes Schwert

Schicksal ist ein verdammter Spaßverderber. Eric, der einst bewusst aus seiner dörflichen Heimat geflohen ist, folgt zunächst widerwillig dem Rückrufbefehl. Er realisiert zunächst gar nicht das Unerbittliche dieser Handlungswendung, die der Zuschauer aus den Bildern des sonst symbolisch zurückhaltenden Films sofort begreift. Da sieht man, wie Eric mit der Fähre übersetzt, und weiß sofort: bye-bye Junggesellenland, willkommen in der neu zu gewinnenden Heimat des Vaterwerdens.

Es kommt in Gang, was man so ähnlich in ähnlichen Filmen gesehen hat: drohendes Jugendamt, Trostarbeit mit den verzweifelten Waisenkindern, Widerstände im Dorf, saure Freundin, Geldnot, Bootsverkauf, Aufstand wider die Allmacht der Molkerei – die Bauern gießen dem gemeinen Monopolisten die Milch vor die Füße – und, wie es sich gehört, ein muhgutes Ende, das ziemlich vieles offen lässt. Der jungenhafte Charme, den Rott („Spiegel-Affäre“) entwaffnend gut hinbekommt, besteht weitgehend aus Hoffnung und guter Laune. Die Kühe sollen künftig auf grünen Auen Weidemilch erzeugen, die Preise gerechter und alles so optimistisch werden, wie es der vom luftigen Onkel zum glaubhaften Vater mutierende Retter aus der Großstadt so locker vorlebt.

Schön zu sehen, dass die neue Degeto ihre alten Klischees nicht mehr ganz so ernst nimmt. Darauf ein Glas Weidemilch.

„Die Kinder meines Bruders“, ARD, Freitag, 20 Uhr 15

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