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Jeans sind im Gericht zwar erlaubt, aber vor der Kamera ist Karl-Dieter Möller, 64, fast immer nur im Sakko zu sehen. Seit knapp 25 Jahren erklärt er den ARD-Zuschauern die Rechtsprechung. Am 25. November wird er in den Ruhestand verabschiedet.

© ARD

ARD-Rechtsexperte Möller: "Wir bekamen mächtig Schläge ab"

"Ich stelle mir die Oma aus Uelzen vor, die muss das verstehen." Der ARD-Rechtsexperte Karl-Dieter Möller spricht im Interview über Kachelmann, komplizierte Fälle und seinen Ruhestand.

Glück gehabt, Herr Möller.

Wieso?

Sie gehen in Ruhestand mit 65, nicht mit 67.

Das muss kein Glück sein. Europarechtlich ist das Fallbeil mit 65 Altersdiskriminierung, allerdings eine zulässige Altersdiskriminierung, aus wirtschaftspolitischen Gründen, sagt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.

Jetzt sind Sie gleich im juristischen Element, wie man sie vom Bildschirm kennt.

(Lacht) Da haben ja schon welche beim Sender spekuliert, dass ich gegen meine Pensionierung klage. Nein, das ist schon okay. Alte müssen raus, Junge rein. Ich gehe mit gutem Gewissen.

Seit 1986 sind sie ARD-Rechtsexperte, justizpolitischer Korrespondent beim Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof und bei der Bundesanwaltschaft. Mancher Zuschauer kann diese drei Institutionen gar nicht auseinanderhalten.

Das ist eine schwierige Materie, wenn Sie zum Beispiel über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz deutscher Soldaten in Awacs-Überwachungsflugzeugen über der Türkei 2008 berichtet haben und welche Konsequenzen das dann für die Bundeswehr hat. Oder die heikle Geschichte mit der Präimplantationsdiagnostik, die bislang vorm Bundesgerichtshof in Leipzig landete.

Wie erklären Sie all die Paragrafen in der „Tagesschau“ dem Laien?

Ich stelle mir die Oma aus Uelzen vor, die muss das verstehen. Man muss in der Lage sein, eine komplizierte Materie zu erklären. Es muss richtig sein und trotzdem verständlich. Die Gefahr der Betriebsblindheit besteht natürlich. Bevor meine Texte in die „Tagesschau“ gehen, lasse ich die Kollegen durchaus gegenlesen. Und ich frage mich selber: Kapier’ ich das?

Reicht das?

Nein, die Zuschauer verlangen, dass ich am Ende eines solchen Berichtes auch noch eine Einschätzung gebe: Was bedeutet das Urteil für sie. Das ist entstanden aus der Bilderarmut und hat inzwischen aber eine Art, ja, Kultcharakter.

Eine Konstante in unübersichtlichen Zeiten: Und abends kommt der Möller und erklärt mir die Welt.

Wenn Sie das so sehen. Die ARD-Rechtsredaktion in Karlsruhe hat jedenfalls ein sehr gutes Standing im Ersten. Nehmen wir den Kachelmann-Prozess. Da bekamen wir ja mächtig Schläge ab, weil die „Tagesschau“ in die Berichterstattung anfangs nicht eingestiegen ist. Das nehme ich mit auf meine Kappe. Kai Gniffke …

… der Chefredakteur von ARD-aktuell …

… hat mich um Rat gebeten, was wir im Falle Kachelmann machen sollten. Ich stehe voll dahinter, dass wir mit der „Tagesschau“ erst mit der Anklage gegen Kachelmann eingestiegen sind. Er ist ja kein Mitarbeiter der ARD gewesen. Bei dem Fall habe ich mich allerdings das erste Mal bereit erklärt, Fragen zum Prozess in „Brisant“ zu erklären.

Dem ARD-Boulevardmagazin.

Ja. Und ich finde, dass der Prozess in seiner jetzigen Phase ins Boulevardmagazin gehört, nicht in die „Tagesschau“.

Das sehen die Kollegen von ZDF-„heute“ anders.

Das stimmt. Die machen inzwischen um 19 Uhr aber auch Sachen, die wir im Ersten absolut niemals machen würden. Weinende Mütter, die Aufrufe an mögliche Entführer machen. Wie bei RTL.

Kachelmann war sicher nicht Ihr „schwerster“ Fall, Ihr schwerster Bericht.

Nein, das war das Urteil zu dem Spruch „Soldaten sind Mörder“,1994. Als sich die Politik des Themas bemächtigt hatte, konnte man nicht mehr argumentativ dagegen an, und sagen, dass in den Entscheidungsgründen das Verfassungsgericht immer schon so entschieden hat. Das war von der Meinungsfreiheit her nichts Neues. Ein sehr emotionales Thema, da stehen sie als Korrespondent dann auch auf verlorenem Posten.

Was macht Ihr besonderes Gespür für Prozesse, für Urteile, für die Beteiligten aus? In 24 Jahren müssten sich doch Freundschaften zu Richtern entwickelt haben.

Nein. Man kann mit dem einen oder anderen. Ich habe ja schon den fünften BGH-Präsidenten überdauert. Es ist auch nicht so, dass Ihnen die Richter in Karlsruhe hinterherlaufen. Die haben eine gewisse Scheu. Auch vorm Publizistischen. Es wäre übrigens mal ganz schön, in den Medien mehr über die Richter zu erfahren, nicht immer nur über die aktuellen Fälle. Die haben viel Macht.

Das Privatfernsehen hat seine eigene Art erfunden, diese Welt erfahrbarer zu machen: mit Gerichtsshows.

Ich kenne Barbara Salesch ganz gut, bin nun keiner, der die Gerichtsshow in Grund und Boden verdammt. Neulich wurde bei Barbara Salesch allerdings ein Mord in, ich glaube, 14 Minuten abgehandelt, verurteilt, mit allem Drum und Dran. Ratz, fatz. Jugendliche bekommen einen Eindruck von der Justiz, wie es sie in Wirklichkeit nicht gibt. Amtsrichter haben mir erzählt, dass sie die Leute in kleineren Prozessen erst mal zurechtstutzen müssen, dass sie keine Flasche Wasser mit in den Gerichtssaal nehmen.

Für die ARD waren Gerichtsshows kein Thema?

Wir haben in den 80er Jahren ja damit angefangen, im Süddeutschen Rundfunk mit dem „Gerichtstag“, ein Schiedsgerichtverfahren mit echten Richtern und Originalfällen. Man hätte das vielleicht wieder aufbereiten müssen fürs Erste.

Ihr Gesicht kennt jeder. Sie müssten ständig privat um Rat gefragt worden sein, zum Mietrecht, zum Baurecht.

Wir bekommen in der Redaktion täglich bis zu zehn Briefe oder Mails mit Fragen wie: Ich will die Erbschaft ausschlagen, muss ich die Beerdigung meiner Mutter mitbezahlen? Sie kriegen über die Jahre ein gutes Gespür für Recht oder Unrecht, für das, was im Land schief läuft. Wir beantworten jede Frage persönlich, können haftungstechnisch aber keine einzelne Rechtsberatung geben, wollen die Leute auch nicht zu Prozesshanseln machen. Ich habe mal ausgerechnet, dass meine Kolleginnen, Kollegen und ich im Jahr einen Monat lang Briefe von Zuschauern beantworten. Was das den Gebührenzahler kostet.

Das kann Ihnen jetzt im Ruhestand egal sein. Was werden Sie jetzt machen?

Im SWR-Wirtschaftsmagazin „Marktcheck“ als Experte auftreten. Meine Frau und drei Kinder öfters sehen. Und mich handwerklich betätigen. Das muss sein, wenn man den ganzen Tag mit dem Kopf gearbeitet hat. Beim Fliesenlegen habe ich es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Aber gucken Sie sich bitte nicht das erste Bad an, das ich gemacht habe.

Das Gespräch führte Markus Ehrenberg.

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