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Armut: Chancenlos ohne Internet

Kein Computer, kein Zugang zum Netz – die „digitale Spaltung“ ist für arme Kinder Realität.

Die finanzielle Belastung erschien tragbar. Zwanzig Euro sollte jeder Schüler der neu eingerichteten Laptop-Klasse monatlich für den Mobilcomputer zahlen, erzählt die Aachener Erziehungswissenschaftlerin Nadia Kutscher. Dass dies für einige Hartz-IV-Familien immer noch zu viel war, wurde übersehen; doch auch dafür fand man einen Ausweg – der allerdings stark an Schildbürgerstreiche erinnert. Damit der Laptop-Unterricht planmäßig stattfinden konnte, kamen nur die Kinder in die neue Klasse, deren Eltern sich die Computermiete leisten konnten, berichtete die Wissenschaftlerin der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen am Freitag auf der Berliner Tagung „Kinderarmut und Medien“. Die „digitale Spaltung“, oft als Schreckgespenst an die Wand gemalt, ist längst Realität, lautet das Ergebnis der gemeinsamen Veranstaltung des Deutschen Kinderhilfswerkes, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur und der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen.

Wie stark die Ausgrenzung bereits vorangeschritten ist, zeigen die Fakten. Von den Deutschen mit einem Einkommen von unter 1000 Euro waren im vergangenen Jahr nur 38 Prozent online, bei einem Einkommen von über 3000 Euro hingegen 84 Prozent. Auch der Nationale Bildungsbericht sieht klare Unterschiede im sozialen Status und der Computernutzung. Joachim Gottberg, Vizepräsident des Kinderhilfswerks, forderte darum, allen Kindern möglichst früh den Umgang mit dem Internet zu ermöglichen. Auch einkommensschwache Familien hätten ein Recht auf den Zugang zum Netz. Allerdings würden neue medienpädagogische Ansätze benötigt, um Kindern einen verantwortlichen Umgang mit Websites und Computerspielen beizubringen.

Dass dies nötig ist, zeigen die jährlichen Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest. Neben der ökonomischen Situation entscheidet so vor allem der Schultyp über die Mediennutzung. Der Studie „Jugend, Information, Multi-Media“ (JIM) zufolge haben nur 57 Prozent der Hauptschüler Zugang zu einem PC, bei Gymnasiasten sind es 71 Prozent. Ganz anders bei Spielekonsolen. 55 Prozent der Hauptschüler können am Fernseher daddeln, bei den Gymnasiasten sind es 34 Prozent.

Weniger bekannt ist, dass es auch eine Ausgrenzung nach Themen gibt. „Ich würde vorsichtig sein, von einem Unterschichteninternet zu sprechen, aber es gibt durchaus Seiten, bei denen sich die Nutzerschaft sehr stark ausdifferenziert“, sagte Nadia Kutscher. So mögen Hauptschüler keine Foren mit langen Anmeldeprozeduren, das wirke sich selbst bei E-Mail-Adressen aus. 22 Prozent der Hauptschüler hätten unter anderem aus diesem Grund keinen Mailzugang, so die Erziehungswissenschaftlerin. Der häufig vertretene Schluss „Die wollen das nicht anders“ sei dennoch falsch. „Die digitale Spaltung ist kein Resultat von individuellem Unvermögen, sondern von struktureller Benachteiligung.“

Der ständige Zugang zu Computer und Internet wird zunehmend zur Voraussetzung für Erfolg in der Schule, der Ausbildung und im Beruf, sagte Joachim Gottberg. Ein großes Problem sei, dass die Politik den Medienkonsum nach wie vor sehr misstrauisch beobachtet. Das Internet werde immer noch in erster Linie mit Gewalt und Sex gleichgesetzt. „Dass aber das kostenlose Internetlexikon Wikipedia im Gegensatz zum kostspieligen Brockhaus auch Chancengleichheit bedeutet, wird nicht gesehen.“

Nach den Zahlen des Kinderhilfswerks fallen in Deutschland mittlerweile drei Millionen Kinder und Jugendliche (bis 18 Jahren) unter die Armutsgrenze. Um für alle Kinder einen chancengerechten Zugang zu Computer und Internet zu ermöglichen, seien nun in erster Linie Kindergärten, Jugendhilfe und Schulen gefordert, Zugang zu digitalen Medien und deren Nutzungsmöglichkeiten zu ermöglichen, forderte der Kinderschutzbund.

Zum negativen Beispiel der Laptop- Schule gibt es durchaus positive Gegenstücke. Nicht nur in der Schule, sondern auch in der Jugendarbeit könnten soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden, wenn benachteiligte Kinder und Jugendliche in den Jugendheimen Zugang zu Computern und dem Internet erhielten, berichtete Erziehungswissenschaftlerin Kutscher. Allerdings nur, wenn die nötige Finanzierung steht. Denn in Nordrhein-Westfalen habe die Arbeitsagentur die Förderung für die Computer in den Jugendeinrichtungen kurzerhand vor einigen Jahren eingestellt, als festgestellt wurde, dass die Rechner – anders als beabsichtigt – kaum zum Schreiben von Bewerbungen genutzt wurden.

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