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Medien: „Auch im utopischen Sozialismus gibt es Blasenschwäche“

Ein Grund, alle Illusionen, und kein Grund, jegliche Hoffnung fahren zu lassen. Sagt Peter Sodann, „Tatort“-Kommissar in Leipzig und Theaterintendant in Halle

Herr Sodann, was ist der Zweck des Lebens?

So viel Dreck und Schmutz zu vermeiden wie möglich.

Sie meinen vermutlich nicht das Straßenbild.

Ich meine sowohl das Geistige als auch das Materielle. Jeder muss auf die Toilette. Aber zusätzlich Unrat zu produzieren, das muss nicht sein. Es geht darum, Mutter Erde so wenig wie möglich Schaden zufügen.

Sie mögen es zum Beispiel gar nicht, wenn dummes Zeug geredet wird.

Nee, gar nicht. Man kann dummes Zeug reden, um Heiterkeit zu erzeugen. Aber dann ist es ja schon gar kein dummes Zeug mehr. Ich bin nicht für Holzhammermethoden. Aber manchmal … Wenn ich zum Beispiel an den denke, der mir vor einiger Zeit alle Scheiben meines Cafés zerkratzt hat, kriege ich schon eine Wut. Aber die Dummheit wird ja systematisch geschürt, anders als die Wahrheit.

Der Mensch wird leider nicht klug geboren.

Aber er kommt mit allen Möglichkeiten auf die Welt.

Sie sind ein Moralist. Was hilft uns Moral?

Moralist, das klingt so abwertend. Als wäre ein Moralist einfältig. Aber der Mensch muss sich nun einmal Gesetze geben, um seine Zeit einigermaßen anständig zwischen Geburt und Tod verbringen zu können.

Sind Sie der einzige Moralist weit und breit?

In Wirklichkeit sind wir alle welche. Wir basteln uns die Moral nach unserer Sicht. Alle sind Moralisten, wenn sie anderen etwas vorhalten, was die falsch gemacht haben.

Kennen Sie gefallene Moralisten? Was halten Sie zum Beispiel vom Fall Michel Friedman?

Wer immer so viel Krach macht, wie Friedman es getan hat, dem glaube ich nicht so richtig. Moral muss man mit sich selbst ausmachen, da ist der Zeigefinger unpassend. Ich habe mich einmal selbst einen „betenden Kommunisten“ genannt. Ich bete jeden Sonntag in meinem Garten und sehe die Heuchler auf ihrem Weg in die Kirche.

Sie beten – gegen was?

Ich gehe während des Gottesdienstes mit meinem Hund durch den Park und hebe auf, was andere weggeworfen haben. Weil das ein besseres Gebet ist. Wenn sich ein Gebet nicht in Handlung ausdrückt, dann kann man es doch auch gleich lassen.

Sie fordern Taten.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Das ist von Kästner. Auch ein Moralist.

Betender Kommunist, was ist das eigentlich?

Ich war in der DDR mit dem Dichter Alfred Matusche sehr eng befreundet. Einer der bedeutendsten Schriftsteller Deutschlands, heute vergessen. Er hat sehr gute Theaterstücke geschrieben. Und er war auf seine Art Kommunist. Wir haben uns gefragt: Was sind wir eigentlich? Kommunisten, ja, aber eben andere als die, die uns lenkten und leiteten. Aber warum sollten wir nicht trotzdem an die Macht, die uns nun einmal geschaffen hat, ein Gebet richten. Es ist etwas um uns herum, das wir nicht begreifen können, das es aber gut mit uns meint. Wir wollten dem Achtung entgegenbringen. So kam das stille Gebet zustande.

Sind Sie nicht eher ein gläubiger Utopist?

Da muss ich Ihnen etwas Enttäuschendes mitteilen. Ich habe feststellen müssen, dass es das Wort Utopie in seiner ursprünglichen Bedeutung gar nicht mehr gibt. Es taucht jetzt nur noch im Kreuzworträtsel auf, als „Hirngespinst mit sechs Buchstaben". Aber „Polnische Stadt an der Ostsee" ist ja auch nicht mehr Gdansk, sondern Danzig. Sie sehen, die Wende hat sich in vielen Bereichen vollzogen.

Fühlen Sie sich verraten und verkauft?

Wenn ich gefragt werde: Können Sie sich eine bessere Welt vorstellen als die, in der wir leben? Dann sage ich, natürlich kann ich mir etwas anderes vorstellen. Wir leben in einer neuen Diktatur: der Diktatur des Büros. Versuchen Sie mal einen Verantwortlichen zu finden, es wird Ihnen nicht gelingen.

Was kann man tun?

Man könnte den Leuten, die jetzt schon reich genug sind, nicht noch mehr Geld geben, sondern es in die Zukunft investieren. Aber das tun wir nicht.

Vielleicht weil die Zukunft unbekannt ist.

Vergessen Sie mir die Utopie nicht! Wenn man erst einmal eine dumme Jugend hat, dann wird es gefährlich. Die Kernfrage, die leider nie gestellt wird, ist doch: Wieso seid ihr so reich und wir so arm? Eine sehr gefährliche Frage. Ich habe sie einmal in der Talkshow „Sabine Christiansen" gestellt. Daraufhin bin ich nicht mehr zu Wort gekommen.

Mahner werden nur selten geliebt.

Sie werden nicht nur ignoriert, sie werden auch beschimpft. Neulich habe ich einen Brief bekommen, in dem mich einer auffordert, mich mehr für den Osten einzusetzen. Andere Schreiber beschimpfen mich als „Ossi-Schwein". Wieder andere sind mir gram, weil ich gegen den Irak-Krieg war, und fragen mich, ob ich möchte, dass weiter Menschen gefoltert würden.

Alle fordern Sie heraus.

Ich bekam zum Beispiel einen Brief vom sachsen-anhaltischen Hebammenverein mit der Bitte um ein Bild von mir, damit die Anliegen der Hebammen einer größeren Öffentlichkeit besser bekannt gemacht werden könnten. Ich habe abgelehnt. Man kann ja nicht alles mit mir machen. Obwohl es mir Leid tut, aber irgendwo sind auch Grenzen.

Hebammen sind doch politisch äußerst unverdächtig.

Ja, aber dann kommen doch alle. Ein Professor der Urologie hat mich gefragt, ob ich nicht einen Vortrag über Blasenschwäche halten könnte. Ich habe das gemacht, weil ich ihm damit helfen konnte. Dabei habe ich allerdings gelernt, dass zwanzig Prozent der Bevölkerung an Blasenschwäche leiden. Das sind Menschen, die nicht ins Theater gehen können, obwohl sie es vielleicht wollen. Das ging also auch mich als Intendanten an.

Ein weiter Weg vom utopischen Sozialismus zur Blasenschwäche.

Wieso denn, das hängt alles miteinander zusammen. Im utopischen Sozialismus wird es aller Voraussicht nach auch Menschen mit Blasenschwäche geben.

Ist Ihnen Ihre Popularität manchmal unheimlich?

In Indien wollte ein Mann in einem Freilichtkino dem Helden, dem sein Messer entfallen war, sein eigenes Messer reichen, damit sich der Held verteidigen kann. Das klingt für uns wahnsinnig naiv. Ich fand das großartig. Sie glauben gar nicht, wie viele den „Tatort"-Kommisssar Ehrlicher mit dem Darsteller Peter Sodann gleichsetzen und um einen Gefallen bitten. Das verblüfft mich immer wieder zutiefst. Auch deshalb lautet für mich das oberste Gebot in unserer Gesellschaft: Bildung und nochmal Bildung.

Da kommt das Theater doch gerade recht.

Wenn ich als Theatermann sage, ich sei Moralist, dann werde ich heute doch von vielen Theaterleuten als altmodisch verachtet. Aber ich finde, dass die anderen altmodisch sind. Natürlich wollen die Leute unterhalten werden. Aber auch etwas erfahren über Dinge, die sie bewegen. Denken Sie an Shakespeare:

Denn wer ertrüge Hieb und Hohn der Zeit

Der rohen Faust Gewalt, Hochmutshohn, die Qual verschmähter Liebe, des Rechts Verschleppung

Die Anmaßung der Ämter und den Fußtritt

Den echter Sinn vom Unwert schweigend hinnimmt …

Im Hamlet-Monolog ist doch alles drin, was die Menschen schon immer bewegt hat.

Aber der Mensch ist schlecht.

Glaube ich nicht. Der Mensch strebt immer nach Harmonie. Er will Liebe empfangen. Leider ist die Fähigkeit, Liebe zu geben, in der Regel etwas schwächer ausgebildet.

Der Mensch ist gut.

Auf dem Weg zur Macht passieren viele schlimme Dinge. Aber vielleicht schaffen es die Menschen irgendwann, eine Welt in Harmonie zu bauen. Die letzten Versuche, eine ideale Welt zu schaffen, sind einigermaßen verrutscht, das gebe ich zu. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.

Das Leben könnte so schön sein.

Es könnte schöner sein. Es ist schon besser, als es früher war. Nur anders. Die Verteilung der Güter könnte besser sein. Was nützt es uns, wenn wir zu dem zehnten noch ein elftes Jackett kaufen können? Solange die Zigarettenindustrie das Geld für riesige Werbeplakate hat und ich nicht einmal genug für ein einziges Plakat, um für meinen „Hamlet“ zu werben, solange ist die Welt nicht in Ordnung.

Heißt Freiheit denn nicht, sich für sich verantwortlich zu fühlen?

Nein, Freiheit heißt, sich für alles verantwortlich zu fühlen. Im „Wilhelm Tell“ heißt es „Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt“. Das ist edel gedacht. Heute denkt der „brave Mann“ zuerst an sich. Im Thüringischen hat sich einer derer von Thurn und Taxis einen Wald gekauft und gleich einen Zaun drum herum gebaut. Woher nimmt er sich das Recht? Entschuldigen Sie, aber ich kann die kapitalistische Welt nicht für das letzte Stadium der Menschheit halten.

Sie sind das, was man einen politischen Menschen nennt.

Möglich. Aber ich bin in keiner Partei. Als Intendant könnte ich mir das auch gar nicht erlauben. Ich würde doch immer von den jeweils anderen bekämpft. Außerdem habe ich noch nie etwas von Parteidisziplin gehalten, damals und heute nicht. Offenbar kommt die Demokratie ohne Parteidisziplin auch nicht aus. Sie heißt nur anders.

Aber noch sind Sie König in Ihrem Theaterreich.

Ja. Aber nicht mehr lange. 2005 läuft mein Vertrag aus. Und nicht alle Stadtväter sind mir gewogen. Aber das ist kein Grund für Selbstmitleid. Wir alle sind in Gottes Hand, die Stadtväter und -mütter allerdings auch. Wenn ich dran bin, dann bin ich eben dran.

Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich würde gern eine Stiftung gründen, die das Theater, die Bibliothek und alles andere finanziell unabhängig macht. Dafür bräuchte ich achtzig Millionen Euro.

Und wieviel haben Sie schon zusammen?

6000. Na und? Eine Welt ohne Utopie hat keine Zukunft.

Das Gespräch führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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