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Medien: Auf der Linie zwischen Fantasie und Fälschung

Tom Kummer, der Interviews erfand, schreibt wieder in Deutschland: im „Magazin“

Die Redaktion von „Das Magazin“ hat kein großes Aufhebens um den neuen Autor gemacht, der sie seit vergangenem Dezember regelmäßig mit Geschichten aus Hollywood beliefert: ein Passfoto, auf dem außer einer riesigen Ameisensonnenbrille nichts zu erkennen war, und ein kleines Kästchen zur Person. Tom Kummer, so stand unter einer Geschichte über die Kopfschmerzen von Winona Ryder, lebe in Los Angeles und habe von dort lange das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ und verschiedene andere Medien beliefert. Als im Mai 2000 öffentlich wurde, dass seine legendären Interviews „zum Teil“ erfunden waren, sei „heftig über den so genannten Borderline-Journalismus“ gestritten worden. Was nicht in der Notiz stand, vielleicht, weil die Mitarbeiter des Ost-Berliner Nischenproduktes davon ausgehen konnten, dass ihre Leser es gar nicht mitbekommen hatten: Dieser Streit war nicht einfach nur ein Streit über die immer fließender werdenden Grenzen zwischen Realität und Fiktion, sondern ein riesiger Medienskandal, der eine ganze Branche erschütterte.

Wer bis dahin mit Kummer zusammen gearbeitet hatte – und das waren von „Spiegel“ über die Berliner Seiten der „FAZ“ bis zur „Elle“ einige – schüttete tonnenweise Asche auf sein Haupt, wer nicht mit ihm zusammengearbeitet hatte, schwor seinen irritierten Lesern vorsorglich schon einmal, künftig nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu schreiben. Denn Kummer war in dieser teilweise sehr doppelzüngigen Debatte von Anfang an mehr als nur ein unverfrorener Fälscher, der Ivana Trump Zitate von Andy Warhol in den Mund gelegt und Interviews mit Kim Basinger und Sharon Stone herbei halluziniert hatte, die nachweislich nie geführt worden waren. Kummer war das schlechte Gewissen der ganzen Zunft. Sein Fall hatte gezeigt, wie die redaktionellen Kontrollmechanismen über Jahre hinweg vollständig versagen können, wenn die gelieferten Texte nur exakt den Erwartungen der Redaktion entsprechen. Die verantwortlichen Redakteure des „SZ-Magazins“ mussten deshalb vor drei Jahren ihren Hut nehmen, von Kummer hat seitdem hier zu Lande niemand mehr eine Zeile gedruckt.

Wenn Manuela Thieme, die Chefin vom „Magazin“, heute von einem „Berufsverbot“ spricht, ist das so falsch sicher nicht. Dennoch waren es wohl nicht nur altruistische Gründe, die die ostdeutsche Journalistin letztes Jahr dazu bewogen, dem verfemten Autor eine „zweite Chance“ zu geben. Als „Das Magazin“ Ende 2002 an Kummer herantrat, witterte es wohl auch fürs eigene Produkt Morgenluft. Denn trotz einer Tradition, die bis in Jahr 1924 zurückreicht, des neuen Layouts und einer oft gelungenen Mischung aus Reportage, Lifestyle, Literatur und Erotik kämpft die monatlich erscheinende Zeitschrift seit der Wende um jeden Leser. Seitdem für Glamour und nackte Mädchen andere Blätter zuständig sind, leidet „Das Magazin“ unter dem Ruf, ziemlich „ostig“ und sehr deutsch zu sein. Die weite Welt der globalen Unterhaltungsindustrien kam lange gar nicht vor. Dieses „Defizit“ soll Kummer nun beheben. „Er kann etwas, das viele nicht können“, sagt Manuela Thieme.

Er weiß, wie man Fassaden zu Projektionsflächen macht, indem man behauptet, dass dahinter genau die Abgründe lauern, die man immer dort vermutet hatte. Von 1993 bis 2000, legte Kummer seinen Idolen in den Mund, was er gerne von ihnen hören wollte. Das Ergebnis war immer witzig, manchmal tiefsinnig und am Ende oft bis an die Grenze zur Obszönität intim. So hatte Kummers Sharon Stone ihre Freude daran, „Männer aus einer anderen Klasse quälen zu können“, sein Brat Pitt las die Gnostiker, um die geistige Leere von Hollywood mit Sinn zu füllen, Courtney Love schrieb zu diesem Zweck pubertäre Gedichte. Nachdem der Schwindel aufgeflogen war, entschuldigte Kummer seine Methode als „Konzeptkunst“, die die Verlogenheit Hollywoods durch eine andere, tiefere Wahrheit zu entblößen versuchte.

In Wirklichkeit machte er das Gegenteil. Der Reiz seiner Beiträge lag darin, dass sie die alte Klage der Kulturkritik zu widerlegen schienen, nämlich dass die „Kulturindustrie“ ihre Konsumenten um das unmittelbare Leben betrügt, das sie ihnen ständig verspricht. Bei Kummer hatte Hollywood eine Seele. „Hollywood-Menschen provozierten damals ein riesiges, fatales Bedürfnis in mir, immer auf ein Fundament zu stoßen. Es war der fortwährende Verdacht, ja eine Sucht, dass dort, wo etwas spektakulär glänzt und schimmert, immer mehr als bloß Oberfläche vorhanden ist“, erklärt er drei Jahre später im „Magazin“, das eigens für Kummer das neue Format, die „Hollywood-Shortstory“, entwickelt hat.

„Real-fiction“ nennt die Redaktion diese assoziationsgeladene Verquickung von Dichtung und Wahrheit, in denen ein Ich-Erzähler, der mit dem Autor fast bis aufs Haar identisch ist, aufs neue ins Herz von Beverley Hills vordringt. Er beobachtet die Zuhälterin Heidi Fleiß bei einer öffentlichen Vaginalmassage, sitzt bei einem verzweifelten Spielberg im Auto oder liegt neben einer hoch neurotischen Winona Ryder im Bett. Doch obwohl Kummers Hollywood-Fantasien durch die expressiven Illustrationen von Annelen Käferstein als Literatur deklariert werden, haben sie in der Redaktion in der Tieckstraße nicht nur Freunde. „Natürlich wurde bei uns darüber gestritten, ob wir uns mit diesen Storys nicht ein Imageproblem ins Haus holen“, sagt Manuela Thieme. Doch falls die Chefredaktion, wie ein interner Kummer-Gegner ihr unterstellt, auf einen kleinen, auflagensteigernden Skandal spekuliert haben sollte, ist die Rechnung nicht aufgegangen. Die eigenen Leser haben bislang noch überhaupt nicht auf den neuen Autor reagiert, und die Kollegen, die die Kummer-Debatte damals so engagiert moderiert hatten, nahmen das Magazin lange nicht zur Kenntnis. Vor ein paar Wochen vermeldete „Focus“ Kummers Rückkehr in die deutschen Medien, und das war es dann. Als Literat weckt der Mann offenbar keine schlafenden Hunde mehr. Dabei hat sich gar nicht so viel geändert. Der Borderline-Journalist lebt im Erzähler fort, auch er schreibt auf, was er sich denkt, nicht, was er sieht. In dem Text über Winona Ryder recycelt er sogar ein „Interview“, das ihn vor drei Jahren beinahe Kopf und Kragen gekostet hätte. Warum macht er das? Weil er etwas beweisen muss? Weil er Geld braucht? Weil er schreiben will? Um ein System zu enttarnen, das ihn zuerst verführt und dann zu Fall gebracht hat?

„Am Telefon möchte ich mich nicht äußern“, sagt Kummer freundlich, aber bestimmt und schlägt ein schriftliches Interview vor, zu dem es dann aber nie kommt. In der ersten Mail will er wissen, wie seine Antworten verwertet werden. Dann erkundigt er sich vorsichtig nach der „Stoßrichtung“ des Textes. Sein „dummes Gefühl“ wird er jedoch nicht los. Tom Kummer ist durch seine eigene Interviewpraxis offenbar traumatisiert.

Kummer ist ein guter Schreiber, sein Buch „Good Morning Los Angeles“ ist eine mit Verve verfasste Phänomenologie einer Traumfabrik, die vorgibt, mit Wirklichkeit zu handeln. Aber er verfügt über keinerlei Selbstdistanz. Seine Hollywood-Shortstorys haben nur eine für sich genommen ziemlich uninteressante Hauptfigur: das Ich. Dieses Ich ist jetzt in die Rolle des Kulturkritikers geschlüpft. Monat für Monat erklärt es uns, dass Hollywood-Menschen anders als eben nur Menschendarsteller sind, die innen hohl sein müssen, damit sie Fantasien besser in sich aufnehmen können. Doch einer Scheinwelt, die sich aus den eigenen Wunschbildern zusammensetzt, kann man schlecht den Spiegel vorhalten, ohne sich selbst darin zu sehen.

Und die größte Schwäche des Erzählers Kummer besteht darin, dass er sich immer noch so verdammt gerne in diesem Hollywood-Spiegel sieht. Wie der Journalist, so inszeniert sich der Erzähler Kummer als Teil des Mythos, den er eigentlich zerstören will.

Stefanie Flamm

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