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Medien: Auf der Schattenseite

Das Buch „Die Herren Journalisten“ dokumentiert den Einfluss der Nationalsozialisten auf die Nachkriegspublizistik

Als die hoch angesehene Journalistin Margret Boveri (1900 – 1975) ihre Erinnerungen an journalistische Arbeit während der NS- Zeit unter dem Titel „Wir lügen alle“ veröffentlichte, war 1965 nicht nur befreites Aufatmen darüber spürbar, dass endlich eine prominente Zeitzeugin es wagte, unbequeme Wahrheiten über journalistische Anbiederung und Anpassung, Fatalismus und Resignation offen auszusprechen. Vernehmbar wurde auch Befremden über die angebliche Nestbeschmutzung geäußert, zumal die Autorin zeitweise für die Wochenzeitung „Das Reich“ geschrieben hatte, deren Leitartikler bekanntlich Joseph Goebbels war.

Unstrittig ist, dass es der Aufarbeitung der Geschichte bedarf. So wie in dem von Lutz Hachmeister und Friedemann Siering herausgegebenen Sammelband über die Elite der deutschen Presse mit dem durchaus anzüglichen Titel „Die Herren Journalisten“. Die Autoren haben nicht nur Dokumente aus der Zeit vor 1945 gesammelt, sondern vor allem recherchiert, was nach 1945 aus prominenten Leitfiguren der NS-Presse geworden ist.

Da werden erstaunliche Karrieresprünge erkennbar, zum Beispiel in der Geschichte der „FAZ“. Sie wird von Friedemann Siering kenntnisreich dokumentiert, nicht ohne einen Rückblick auf die Umstände des Verbotes der „Frankfurter Zeitung“ im August 1943 und auf das frühe Interesse der „Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947“ an einer Wiederbelebung des Blattes durch – im Sinne der Geldgeber – vertrauenswürdige Journalisten. Dass unter diesen nicht wenige waren, die sich in der NS-Zeit mit besonders penetranten Durchhalteparolen hervorgetan hatten, beschreibt Siering schonungslos. Er zitiert aber auch die nachträglichen Rechtfertigungsversuche für redaktionelle Konzessionen im Interesse des Weitererscheinens einer von den Hitler und Goebbels nur mit großem Missbehagen geduldeten Zeitung.

Auch drei andere Tageszeitungen und ihr Personal werden keineswegs unkritisch gewürdigt. Paul Hoser bescheinigt der „Süddeutschen Zeitung“ zwar, dass sie von Anfang an konsequent mit dem Nationalsozialismus ins Gericht ging, verschweigt andererseits aber nicht, dass anfangs nicht alle ihre Mitarbeiter den sehr rigorosen Vorstellungen entsprachen, mit denen die US-Militärregierung ehemalige Nationalsozialisten von ihren Lizenzblättern hatte fernhalten wollen. Weitgehend gelang dies bei der „Frankfurter Rundschau“, deren Sonderstellung in der deutschen Nachkriegspublizistik von Bernd Gäbler treffend auf den Punkt gebracht wird: „Beim eigenen Personal realisierte sie, was sie auch für die Gesellschaft forderte: konsequente Entnazifizierung statt Elitenkontinuität und männerbündischer Berufskumpanei.“ Etwas zu kurz geraten ist das Kapitel über „Die Welt“, in dem Michael Jürgs sich auf die Episode der Sylter Männerfreundschaft zwischen Axel Springer und Hans Zehrer und deren personelle Konsequenzen für das Blatt konzentriert.

Besonders lesenswert und nachdenklich stimmend ist der Beitrag von Mathias von der Heide und Christian Wagener über das erste Jahrzehnt der „Zeit“. Darin wird ein 1947 erschienener Leitartikel des Chefredakteurs Richard Tüngel als „nicht untypisch für die Tonlage“ der Anfangsjahre beschrieben: „vehement nationalistisch, taktlos und offensichtlich ganz und gar unempfindlich für das nur kurz zuvor von Deutschen angerichtete Unheil“. Nicht zufällig habe „Die Zeit“ schon rein äußerlich gewisse Anklänge an das ambitionierte, durchaus bürgerliche NS-Renommierblatt „Das Reich“ gezeigt. Indessen war Gerd Bucerius als wichtigster Gründervater der „Zeit“ politisch gänzlich unbelastet. Gemeinsam mit Marion Gräfin Dönhoff gelang es ihm Ende der 50er Jahre, das Blatt aus der rechtskonservativen Sackgasse, die sich auch geschäftlich als unergiebig erwiesen hatte, auf einen dem Zeitgeist näher liegenden liberal-konservativen Kurs zu manövrieren.

Was Nils Minkmar über den „Stern“ als „doppelte Wundertüte“ zu berichten weiß, erweist sich als anekdotische, aber sinnvolle Ergänzung von Wolf Schneiders „Gruner + Jahr-Story“ und zugleich als ein geglücktes Stück Presse-Archäologie. Minkmar hat die Jahrgänge 1938 und 1939 einer Illustrierten gleichen Namens und ähnlichen Formats aufgetan und weist auffallende Ähnlichkeiten mit der Zeitschrift nach, für die Henri Nannen 1948 von den englischen Presseoffizieren eine Lizenz erhielt. Was als „Zick- zack“ genehmigt worden war, mutierte kurz darauf zum „Stern“ und wurde zu einer der Erfolgsgeschichten der Nachkriegspublizistik. Die hier erzählte Vorkriegsgeschichte des „Stern“ war bis heute im Dunkeln geblieben.

Dem frühen „Spiegel“ und seinem NS-Personal ist Lutz Hachmeister nachgegangen. Wie schon in seiner 1998 erschienenen Studie über den SD-Wissenschaftler Franz Alfred Six und dessen persönliches Umfeld wird hier deutlich, dass dem Herausgeber Rudolf Augstein beim Engagement ehemaliger NS-Größen als Redakteure weniger daran lag, ehemalige Nationalsozialisten zu rehabilitieren. Vielmehr ging es ihm darum, fach- und personenkundiges Hintergrundwissen für umfangreiche Dokumentationen zum „Dritten Reich“ abzuschöpfen und wohl auch darum, journalistisch ergiebige Kontakte zu Geheimdiensten wie der Organisation Gehlen, dem späteren BND, zu etablieren. Hachmeister verweist darauf, das mentale Gründungsdatum des „Spiegel“, wie wir ihn heute kennen, sei nicht der erste Erscheinungstag 1947 gewesen, sondern der 26. Oktober 1962, als die Redaktion wegen Conrad Ahlers’ auf Geheimdienstangaben fußendem Artikel „Bedingt abwehrbereit“ polizeilich durchsucht und Rudolf Augstein anschließend für 103 Tage inhaftiert wurde.

Zwei Beiträge beschäftigen sich nicht mit länger zurückliegenden Ereignissen, sondern führen in die jüngste Gegenwart. Michael Wildt geht der für den Münchner Piper-Verlag peinlichen Enthüllung nach, dass die jüdische Autorin Hannah Arendt jahrelang von einem Lektor betreut wurde, der als ehemaliger Obersturmbannführer der SS dafür moralisch und politisch keinesfalls qualifiziert war. Uwe Kammann analysiert kenntnisreich den „Fall Höfer“, vor allem dessen Vorgeschichte und die Begleiterscheinungen des unfreiwilligen Abschieds, den Höfer vom WDR nahm, wobei der Grund dafür „weniger die Unfähigkeit zu trauern als die Unfähigkeit, sich öffentlich zu bekennen“ gewesen sei. Ihm und anderen „Herren Journalisten“ war es eben nicht vergönnt, einen klugen und verständigen Autor der folgenden Generation wie etwa Uwe Johnson als Beichtvater zu finden. Johnsons einfühlsam explorierende Gespräche mit Frau Boveri in der zwei Jahre nach ihrem Tode erschienenen Autobiografie „Verwerfungen“ sind bis heute lesenswert.

Der Autor war von 1974 bis 1993 Hörfunkdirektor des WDR. Sein Buch „Die nationale Rechte – Parteien, Politiker, Publizisten“ erschien 1967.

Lutz Hachmeister und Friedemann Siering (Herausgeber): Die Herren Journalisten. C.H. Beck, München 2002. 328 Seiten, 14,90 Euro.

Manfred Jenke

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