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Medien: Auf Entzug

Eine Arte-Dokusaop zeigt, was passiert, wenn man Menschen den Fernseher wegnimmt

Von Barbara Nolte

In Deutschland grassiert zurzeit ein Fernsehverdruss. Kronzeugen dafür sind leicht zu finden. Vor allem unter Fersehleuten, angefangen vom Komiker Olli Dittrich bis hin zum ehemaligen RTL-Chef Marc Conrad. Das Programm werde immer gleichförmiger, ja, es sei kaum noch anzusehen. Das etwas Seltsame des Phänomens ist, dass es sich umgekehrt proportional zur Einschaltdauer verhält. Nie haben die Deutschen mehr ferngesehen als im vergangenen Jahr: durchschnittlich 3 Stunden und 40 Minuten.

Der deutsch-französische Kulturkanal Arte zeigt, was die angemessene Reaktion auf das „Fernsehweh“ („Die Zeit“) ist: weg mit dem Ding. Arte ließ im Pariser Vorort Cachan die Fernseher einfach einsammeln. Nicht bei allen, aber immerhin bei elf Familien, die sich als Versuchspersonen angeboten haben. Einen Monat lang mussten sie ohne auskommen. Dafür kam in der Zeit das Fernsehen persönlich bei ihnen vorbei – im Gestalt des Filmemachers Patrick Volson – und fragte, wie es so geht.

Volsons Experiment ist die ganze Woche über auf Arte zu sehen, es hat fünf Folgen und heißt „Fernsehen verboten“. Volson hat das Format verwendet, das dem Fernsehen seinen letzten großen Hype bescherte und wahrscheinlich auch seinen Niedergang anstieß: die Dokusoap. Diese öffentlich-rechtliche Interpretation des Krachergenres ist ein bisschen langatmig geraten. Die ganze erste Folge handelt vom Abtransport der Fernseher. Elfmal klingeln: „Wir kommen Ihren Fernseher holen.“ Elfmal Menschen, die ihre Befürchtungen über einen Monat ohne Fernsehen äußern. Volson ignoriert das dramaturgische Prinzip der Auslassung. Er zeigt alles.

In der zweiten Folge besucht er wieder alle, sie müssten sich eigentlich auf Entzug befinden, aber sie amüsieren sich wie die Familie David zum Beispiel mit holländischem Billard. Evelyne David sagt: „Ja, das Fernsehen hat mein Leben vereinnahmt.“ Alle Versuchspersonen sind sehr einsichtig. „Fernsehen verboten“ hat die Tendenz zur Gutmenschen-Dokusoap. Aber Volson hat auch überraschende Protagonisten wie den Restaurantbesitzer Cid Seghier, der sagt: „Das Fernsehen ist in unserer Zeit etwas Nützliches, ein Ersatz für meine Großmutter, die mir früher Geschichten erzählt hat. Das Fernsehen ist die Seele unseres Hauses.“ Und da das mehr oder weniger bei allen Teilnehmern so ähnlich ist, der Fernseher ist zumindest der Mittelpunkt ihres Hauses, entwickelt der Film mit der Zeit eine Faszination, weil man so tief ins Leben und Denken der Menschen in Cachan schauen kann. So lernt man am Ende wenig über das Fernsehen, aber viel über das Nachbarland Frankreich.

„Fernsehen verboten“: Arte, 20 Uhr 15; bis einschließlich Freitag.

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