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Zukunft der Zeitung: Aufgeben ist nicht

Die Leser sterben weg, die Auflage sinkt dramatisch: Rumäniens „Deutsche Zeitung“ kämpft gegen das Aus

Nur der Sockel des abgerissenen Lenin-Denkmals steht immer noch vor dem Pressehaus im Norden Bukarests, eingestaubt und abgeheftet liegt im Archiv das gedruckte Vermächtnis der Zeitung. Beschrieben wird darin die ursprüngliche Aufgabe des Blattes „Neuer Weg“. Es sollte „als Sprachrohr des Deutschen Antifaschistischen Komitees dessen Aktion und Aufklärungsarbeit in die breitesten Massen der deutschen werktätigen Bevölkerung“ tragen. Die deutsche Minderheit in Rumänien sollte sich den Arbeitern anschließen, die „… unter Führung ihrer Partei entschlossen den Weg des Aufbaus des Sozialismus beschritten haben.“ So wollte es das Zentralkomitee der Rumänischen Arbeiterpartei, so schrieb es die Zeitung in ihrer ersten Ausgabe im März 1949. 60 Jahre sind seitdem vergangen.

Heute muss die letzte deutschsprachige Tageszeitung Osteuropas um ihre Existenz kämpfen: Die deutsche Minderheit wird kleiner und kleiner, die Auflage sinkt. 1948 hatte es rund 343 000 Deutsche in Rumänien gegeben, die trotz Enteignung und Deportation geblieben waren. Für sie war die Zeitung zu einem Symbol der deutschen Identität geworden. Die Auflage wuchs bis 1964 auf 80 000 Exemplare pro Tag. „Wir waren kein kleines Minderheitenblattel. In weiten Leserkreisen galten wir als die beste Zeitung Rumäniens“, sagt Hans Liebhardt, 75, und Journalist beim „Neuem Weg“ seit seinem 17. Lebensjahr. Früher hatte er rund 100 Kollegen – heute sind es mit Putzfrau und den Lokalredakteuren im Land noch 33.

Am Schreibtisch im Sekretariat sitzt das eigentliche Gedächtnis der Zeitung: Gertrud Monferrato, heute 82, ist schon seit 52 Jahren beim „Neuen Weg“. Direkt neben dem Computer steht ihre alte Schreibmaschine, mit der sie jahrelang Texte des Genossen Nicolae Ceausescu abgetippt hat. Die Parteibeschlüsse und Reden des rumänischen Präsidenten wurden wortwörtlich auf den ersten Seiten gedruckt. Das hat die Zensur kontrolliert. „Wir haben zwischen den Zeilen trotzdem das Menschenmögliche versucht und veröffentlicht“, sagt Liebhardt.

Als Ceausescu 1989 in einer blutigen Revolution vom Volk gestürzt wurde, arbeiteten die Redakteure noch in der Nacht des Umbruchs an der ersten freien Ausgabe. „Wir dachten, nun sind alle Beiträge möglich, die man früher nicht schreiben durfte“, sagt Liebhardt. Doch niemand traute der plötzlichen Freiheit, deutsche Leser und Redakteure verließen fluchtartig das Land. In den drei Monaten nach der Wende sank die Auflage von 60 000 um die Hälfte, Ende 1990 waren noch 15 000 Exemplare und die halbe Redaktion übrig. Ein Neuanfang war notwendig.

Seit 1993 heißt „Neuer Weg“ nun „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“. Ein modernes Layout und eine breitere Berichterstattung sollten helfen, neue Leser zu gewinnen. Die deutsche Minderheit verschwindet immer mehr in der Bedeutungslosigkeit. 50 000 sollen es noch sein. Die Auflage dümpelt bei 3000 Exemplaren. Im Sommer 2008 stand „Neuer Weg“ kurz vor dem Aus. Aus der Tageszeitung sollte wegen Finanzierungsschwierigkeiten ein Wochenmagazin werden. Alle Redakteure waren bereits gekündigt – nur Protestbriefe und massive Beschwerden der Leser haben die Umstellung verhindert. Aber das wird kaum reichen, um den endgültigen Redaktionsschluss abzuwenden.

„Wir wollen die Zeitung aller werden, die Deutsch lesen und verstehen können“, sagt Chefredakteurin Rohtraut Wittstock. Mehr Wirtschaftsberichte, Abo-Karten und eine Internetseite sind ein erster Schritt, neue Leser in Betrieben, Schulen und bei Germanistikstudiengängen zu finden. Daran arbeiten sie jeden Tag. Christopher Hanisch, Bukarest

Christopher Hanisch[Bukarest]

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