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Aufrüttelnde Doku: Nützlicher Hass?

Die Arte-Doku "Defamation" beschäftigt sich mit der Funktion des Antisemitismus-Vorwurfs. Macher Yoav Shamir begleitet dafür Jugendliche aus Israel auf eine besondere Reise.

Israelische Jugendliche in Polen: Ein Mädchen bemüht sich auf Hebräisch um ein Gespräch mit drei alten Männern, doch die Kommunikation ist leicht gestört. Einer der Männer fragt auf Polnisch wenig charmant, warum sie Chinesisch rede. Eine zweite Jugendliche behauptet daraufhin, der Mann habe ihre Schulkameradin Hexe genannt. Schließlich zieht ein Lehrer die beiden weg. Man befürchtet im Ausland ohnehin das Schlimmste. Auf der Schulfahrt zu den Stätten des Holocaust reist auch ein israelischer Sicherheitsbeamter mit. Er gibt im Bus Tipps, wie man sich verhalten soll, wenn etwas passiert. Für eine der Jugendlichen steht fest: „Alle hassen uns Juden.“ Eine andere Schülerin sagt: „Keiner kann uns leiden, und wir sind stolz darauf.“ Antisemitismus, sagt Yoav Shamir, Filmemacher aus Tel Aviv, sei die „ultimative ,heilige Kuh’ der Juden“. Und selbst die heiligste Kuh brauche hier und da ein Aufrütteln. In seinem Dokumentarfilm „Defamation“ (dt.: Verleumdung, Diffamierung) ist Shamir als Ein-MannAufrüttler unterwegs, als Reporter und Kameramann in einer Person. Er gibt sich unvoreingenommen und bisweilen naiv, was man ihm nicht immer abnehmen muss. Es passt zum subjektiven Tonfall des Films, den Shamir eine „persönliche Reise“ nennt. Um gleich jede Ehrfurcht vor Tabus zu zertrümmern, führt er seine Großmutter ins Feld, eine überzeugte Zionistin aus Jerusalem, deren Äußerungen („Juden lieben das Geld“) belegen, dass Klischees über Juden auch bei Juden selbst zu finden sind. Shamir nimmt ihr das nicht übel: Neben ihren Namen, der wie bei allen Gesprächspartnern ins Bild gekritzelt wird, zeichnet er ein Herz. Um objektive Wahrheitsfindung geht es nicht.

„Defamation“ überzeugt durch die bemerkenswerte Leichtigkeit, mit der Shamir den kritischen Fragen nachgeht: Ist die Furcht vor einem überall lauernden Antisemitismus wirklich berechtigt? Wird sie instrumentalisiert, um Kritik an der israelischen Politik zu unterbinden? Welche Rolle spielt dabei das Gedenken an den Holocaust?

Yoav Shamir erzählt behutsam, wie sich die israelischen Schüler ernsthaft bemühen, in Majdanek und Auschwitz die angemessene Ergriffenheit zu entwickeln. Als Kontrast steht dagegen die routinierte Lobby-Arbeit des Abraham Foxman, des Vorsitzenden der Anti-Defamation League (ADL). Die ADL zählt zu den einflussreichsten jüdischen Organisationen in den USA, und Foxman reist um die Welt, immer im Gepäck die düsteren Warnungen vor dem wachsenden Antisemitismus. Thomas Gehringer

„Defamation“, Arte, 22 Uhr 40

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