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Der "Tagesthemen"-Kommentar von Anja Reschke wurde doch nicht aus Facebook entfernt.

© Tsp

"Aufstand der Anständigen" auf Facebook: Flüchtlinge willkommen!

Den „Aufstand der Anständigen“ gibt es in Facebook längst. Zahlreiche Gruppen und Gemeinschaften wollen den Islam-Hassern und Flüchtlingshetzern etwas entgegen setzen. Doch die Kritik am Netzwerk hält an.

Tina Kulow hat als Director Corporate Communications Northern Europe bei Facebook derzeit besonders viel zu tun, die Wogen der Erregung zu glätten. Das Flüchtlingsthema hat das größte soziale Netzwerk in Deutschland überrannt. „In dem Bemühen, die vielen Reports von Menschen auf Facebook schnell und effizient zu bearbeiten, schaut sich unser Community Operations-Team jede Woche Hunderte von Tausenden von Reports zu Inhalten an. Unsere Reporting-Systeme sind dafür entwickelt, Menschen vor Missbrauch, Hassrede und Mobbing zu schützen und es ist bedauernswert, dass gelegentlich Fehler gemacht werden, wenn solche Reports bearbeitet werden“, antwortete die Deutschland-Pressesprecherin auf einen Post eines Facebook-Nutzers. Der hatte dem Netzwerk vorgeworfen, „seit Wochen einfach zu der Frage zu schweigen, warum Rassismus, Menschenhass und Volksverhetzung nicht gegen ihre ,Gemeinschaftsstandards‘ verstoßen.“ Und weiter: „Liebes Facebook: Was soll das für eine Gemeinschaft sein, die ihr da immer wieder beschwört, die sich solche „Standards‘ setzt?“, hatte sich der Nutzer erregt.

Die Gemeinschaft "Flüchtlinge Willkommen" zählt 24000 Teilnehmer

Dabei ist die Lage auf Facebook sogar vergleichsweise ermutigend. Der von der ARD-Journalistin Anja Reschke geforderte „Aufstand der Anständigen“ gegen die Flüchtlingshetze findet dort bereits statt. Gibt man in Facebook das Stichwort „Flüchtling“ ein, öffnet sich eine lange Trefferliste – doch anders als vielleicht vermutet vor allem im positiven Sinne: „Flüchtlinge sind in Düsseldorf willkommen“, heißt eine Gemeinschaft. Eine andere trägt den Namen „Willkommensteam für Flüchtlinge Elmshorn“. Die Gemeinschaft „Flüchtlinge Willkommen“ kommt auf über 24 000 Teilnehmer. Wieder eine andere heißt „Flüchtlinge werden Nachbarn“. Ähnliche Gemeinschaften und Flüchtlingsräte mit Facebook-Konto gibt es in München und Salzburg, in Bonn und Krefeld. Die anonyme Gemeinschaft „Flüchtlinge raus aus Deutschland“, eine der wenigen Gruppen aus diesem Spektrum, hat dagegen gerade einmal 122 Bekenner.
Viele Facebook-Mitglieder wollen den Pegida-Bewegungen nicht das Feld überlassen und setzen mit ihren Gemeinschaftsseiten ein Zeichen gegen Islam-Hasser und Flüchtlingshetzer. Und sie machen Gebrauch von der Melden-Funktion von Facebook. Allerdings nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. „Trotz offensichtlich manuell stattgefundener Prüfung nichts zu unternehmen finde ich nicht akzeptabel von Facebook“, ärgert sich ein User.
Fest steht: Es gibt viele Fragen, doch wenig konkrete Antworten: Wie viele Facebook-Posts, Kommentare, Videos oder ganze Profile wurden gelöscht oder gesperrt, weil Nutzer gegen die Gemeinschaftsregeln oder gegen geltendes Recht – beispielsweise Volksverhetzung – verstoßen haben? Facebook veröffentliche dazu keine Zahlen, sagt eine Sprecherin.

Die für alle Facebook-Nutzer einsehbaren Gemeinschaftsregeln erklären zwar äußerst detailiert, was verboten ist und welche Konsequenzen drohen. Doch genau wie die Übersicht zum Thema „Was passiert nach Anklicken von ,Melden‘ aus dem Jahr 2012 bleiben die Aussagen abstrakt. Die Posts und Kommentare nach Anja Reschkes „Tagesthemen“-Kommentar zeigen jedoch genauso wie Tina Kulows Entschuldigung, dass Facebook mit der individuellen Beantwortung der gemeldeten Verstöße an Grenzen gelangt.
Für die Einhaltung der Facebook-Regeln ist das User Operations Team zuständig. Damit es rund um die Uhr arbeiten kann, sitzen die Team-Mitglieder um den Globus verteilt. Rund 100 Facebook-Mitarbeiter kümmern sich um die Meldungen, die jeweils von muttersprachlichen Teammitgliedern bearbeitet werden. Ein von uns gewünschtes Gespräch mit einem deutschen Teammitglied sei kurzfristig jedoch nicht möglich, wurde uns erläutert. Auch die Versicherung, die Anonymität des Mitarbeiters zu gewährleisten, änderte daran nichts. Vielmehr zeigt sich, wie selbst das größte soziale Netzwerk mit den Auswirkungen des Flüchtlingsproblems und den damit verbundenen Hass-Parolen gefordert ist. Immerhin: Das Team wird weiter verstärkt.

Die Klarnamen-Politik zahlt sich aus

Mäßigend wirkt sich die Klarnamen-Politik aus. Jedes Mitglied darf nur unter seinem echten Namen angemeldet sein. Wozu das führen kann, zeigt die Facebook-Gruppe „Perlen aus Freital“, die die ausländerfeindlichen Ausfälle einiger User dokumentiert hat. Weil diese in ihren Profilen mitunter auch ihren Arbeitgeber angegeben haben, blieb das nicht ohne Konsequenzen: Einige der Verbal-Rüpler haben ihren Job verloren.

Auf Facebook treffen unterschiedliche Auffassungen aufeinander, was Meinungsfreiheit bedeutet. Nackte Tatsachen – Stichwort Nipplegate – haben in dem US-zentrierten Netzwerk eine kurze Lebensspanne. Bei politischen Äußerungen – auch aus dem rechten Lager – sind die Amerikaner hingegen deutlich liberaler als es deutschen Facebook-Nutzern recht ist. Bei konkreten Gewaltaufrufen gegen Einzelne hingegen reagiert Facebook unverzüglich.
Manchmal kann man auch zuviel löschen, zumindest haben das einige Facebooker befürchtet und sich darüber ereifert, dass Anja Reschkes Video angeblich aus Facebook entfernt wurde. Stimmt nicht, schreibt Tina Kulow mit „Herzlichen Grüßen an die Kollegen der ARD, Tagesthemen und Panorama!“ und nennt die Adresse auf Facebook.

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