zum Hauptinhalt

Medien: Augsteins Erbe

Die Familie des „Spiegel“-Gründers wehrt sich gegen zu viel Einfluss von Gruner + Jahr und will Mitspracherecht

Ein halbes Prozent – das hört sich erst mal nicht nach viel an. Um diesen Anteil wollen der Hamburger Verlag Gruner + Jahr und die Mitarbeiter KG jeweils ihre Beteiligung am „Spiegel“ erhöhen. In den Augen der Erben des im November 2002 gestorbenen Rudolf Augstein besteht die Gefahr, dass sich diese – nur auf den ersten Blick geringfügige – Anteilsverschiebung massiv auf die Machtverhältnisse bei dem Nachrichtenmagazin auswirkt. Dieser Sorge verlieh Jakob Augstein, der Sohn des „Spiegel“-Gründers, vor wenigen Monaten in einem Brief Ausdruck. Er sehe die „redaktionelle Unabhängigkeit“ des „Spiegel“ und „seine wirtschaftliche Prosperität“ auf Dauer gefährdet. Wörtlich schrieb er: „Sollten die Augstein-Erben gezwungen werden, ein Prozent ihrer Anteile abzugeben, liegt es auf der Hand, dass G + J über kurz oder lang versuchen wird, ,Spiegel’ und ,Stern’ zu koordinieren. Und zwar auf dem Leser- und auf dem Anzeigenmarkt. Man muss sehr gutgläubig sein, um das auszuschließen.“ Schließlich versicherte er, „dass die Augstein- Erben als Garanten bereitstehen, die Unabhängigkeit des ,Spiegel’ zu wahren.“

Im Jahr 1974 hatte Rudolf Augstein die Hälfte seines Verlags den Mitarbeitern geschenkt. Diese 50 Prozent an der Rudolf Augstein GmbH hält die Spiegel Mitarbeiter KG. Die andere Hälfte teilten sich zu je 25 Prozent G + J und Augstein selbst. Nach seinem Tod sind diese 25 Prozent ungeteilt an seine Erben gegangen. Zugleich verfügte er, dass die beiden anderen Gesellschafter, G + J und die Mitarbeiter KG, die Option haben, den Erben je ein halbes Prozent abzukaufen. Dieses Recht, erklärten beide kurz nach Augsteins Tod, wollen sie ausüben. Folglich würde sich die Rudolf Augstein GmbH wie folgt gliedern: Die Mitarbeiter hätten 50,5 Prozent, G + J 25,5 Prozent und die Erbengemeinschaft 24 Prozent.

Das allein wäre kein Grund zur Aufregung. Doch es gibt weitere Regelungen, wie die Macht im „Spiegel“ aufgeteilt wäre.

Solange Rudolf Augstein lebte, mussten alle Entscheidungen mit einer Mehrheit von 76 Prozent, also einstimmig gefällt werden. Mit einigen Ausnahmen: Sollten die redaktionellen Richtlinien oder die Redaktionsstruktur geändert beziehungsweise die Chefredaktion ab- oder berufen werden, reichten – sofern Augstein zustimmte – 75 Prozent der Stimmen. Es genügte also, wenn sich Augstein und die Mitarbeiter KG einig waren. Die Meinung von G + J war nicht relevant. Diese 75-Prozent-Regelung ist nach Augsteins Tod entfallen. Alles muss mit 76 Prozent beschlossen werden – und da reicht es, wenn sich G + J mit den 25,5 Prozent und die Mitarbeiter KG mit ihren 50,5 Prozent zusammenfinden. Was die Erben wollen, ist unerheblich.

Man kann sich insgeheim fragen, warum Augstein die Machtverhältnisse beim „Spiegel“ so und nicht anders geregelt hat. Als er das entschied, waren seine Kinder klein – und bei späteren Versuchen (1999 und 2000) gelang ihm nicht, das zu ändern. Die Diskussionen hängen sich jedoch an einem anderen Aspekt auf. Im Bertelsmann-Tochterverlag G + J erscheint ebenfalls ein politisches Wochenmagazin, der „Stern“. Daher unterstellen die Erben dem Verlag, nicht nur das Wohl des „Spiegel“, sondern auch des „Stern“ im Blick zu haben. Beide sind Konkurrenten, wetteifern zum Teil um dieselben Themen und Interviewpartner, werben um dieselben oder zumindest ähnliche Leser und Anzeigenkunden.

Die Mitarbeiter KG, die Erben, und auch G + J versuchen, über Gutachten ihre jeweiligen Interessen geltend zu machen und argumentativ zu untermauern. Der Fall lag zunächst in Brüssel bei der Europäischen Wettbewerbsbehörde. Vor wenigen Tagen erklärte sie sich in der Angelegenheit jedoch für nicht zuständig. In Kürze dürfte sich also das Bonner Kartellamt mit der Frage beschäftigen, ob sich durch den Erwerb von weiteren 0,5 Prozent die Machtverhältnisse beim „Spiegel“ in unzulässiger Weise zugunsten von G + J verschieben.

Was wäre, wenn der Verlag des „Stern“ maßgeblich bei Fragen des Redaktionsetats, der inhaltlichen Ausrichtung, Konzeption und Führung, mitbestimmen könnte? G + J müsste sich nur mit der Mitarbeiter KG einig werden und könnte die Meinung der Erben ignorieren. Wir wünschen uns wechselnde Mehrheiten und wollen nicht, dass die Augstein-Erben von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden, sagt Karl Heinz Gill von der Mitarbeiter KG. Vor allem pochen die Erben auf Mitspracherecht und spekulieren auf die Unterstützung des Kartellamts. Sie hoffen auf ein Urteil, das G + J eine unzulässige Marktbeherrschung unterstellt, sollte das Zeitschriftenhaus im Markt der politischen Wochenmagazine den „Stern“ als das eine Blatt zu hundert Prozent beherrschen, auf den „Spiegel“ als zweitem Blatt maßgeblichen Einfluss haben und beide aufeinander abstimmen oder gegen das dritte Wochenmagazin, den „Focus“ aus dem Burda-Verlag, in Stellung bringen können. Diese Szenarien meint Jakob Augstein, wenn er seiner Sorge um die Unabhängigkeit des „Spiegel“ Ausdruck verleiht.

Jakob Augstein sagt, „im Moment bedarf es bei allen Entscheidungen unserer Zustimmung; wir wollen so schnell wie möglich klären, dass das auch so bleibt“. Zwei Entscheidungen stehen an, wobei sich erweisen würde, dass auch Nicht-Entscheidungen Entscheidungen sind. Bis Ende 2004 muss Chefredakteur Stefan Aust mitgeteilt werden, ob sein Ende 2005 auslaufender Vertrag verlängert wird oder nicht. Verstreicht der Termin, verlängert sich sein Vertrag automatisch, allerdings nur um ein wenig komfortables Jahr. Auch der Vertrag von Geschäftsführer Karl-Dietrich Seikel steht zur Debatte. In seinem Fall würde das Verstreichen der Frist bedeuten, sich automatisch drei weitere Jahre an einen Geschäftsführer zu binden, von dem sich manche wünschten, er würde dem Chefredakteur häufiger widersprechen. Für Aust spricht, dass selbst seine Gegner keinen Kandidaten haben, dem zuzutrauen ist, es besser zu machen als er. Auch Jakob Augstein ist von Austs Qualitäten als Chefredakteur des „Spiegel“ überzeugt.

Sobald das Kartellamt aktiv wird, werden die Erben noch von anderer Seite Unterstützung bekommen. Sicherlich würde „Focus“ zum Verfahren beigeladen. Dass sich „Focus“ gegen jeglichen Machtzuwachs von „Spiegel“ oder „Stern“ wehren wird, versteht sich von selbst. „Focus“-Chef Helmut Markwort sagt, dass sich die Erben wehren, empfinde er als „gerechtfertigt und sympathisch“. Aber vielleicht will ja G + J öffentliche Diskussionen um das Erbe der journalistischen Legende Rudolf Augstein vermeiden. Sollte G + J keinen Machtmissbrauch beim „Spiegel“ planen, dürfte es dem Bertelsmann-Tochterverlag auch nichts ausmachen, das 76-Prozent-Quorum zu senken und den Augsteins Mitspracherecht einzuräumen. Offiziell wollte sich G + J nicht zum Thema äußern. Den Eindruck, freiwillig Verzicht zu üben, machte der Verlag allerdings nicht.

Zur Startseite