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Medien: Ausweitung der Schweigezone

Durch die Nacht mit ..

Von Barbara Nolte

Durch die Nacht mit ... Michel Houellebecq und Calixto Bieito. Arte 0 Uhr 30. Im Jahr 2000 besuchte Emily Eakin den Schriftsteller Michel Houellebecq für ein Wochenende in seinem Haus bei Dublin. Was ihr dort passierte, muss man großes Journalistenglück nennen. Houellebecq empfing sie, eine Flasche Jim Beam in der einen Hand und eine Packung Silk Cuts in der anderen. Er rauchte und trank, er hörte gar nicht mehr auf zu trinken, fragte sie, ob sie nicht in seinem erotischen Film mitspielen wolle, drohte ihr, dass bestimmte Dinge nur Menschen zu hören bekämen, die eine körperliche Beziehung zu ihm hätten. Während des Abendessens kippte er schließlich volltrunken mit dem Kopf nach vorne – mitten auf seinen Teller. Emily Eakin schrieb alles auf. Ihr Artikel wurde auf der ganzen Welt nachgedruckt.

Seitdem weiß man, dass sich Houellebecq selbst für Journalisten nicht groß zusammenreißt. Und dass mit allem zu rechnen war, als Arte ihn für die neue Folge von „Durch die Nacht mit ...“ mit dem katalanischen Opernregisseur Calixto Bieito zusammentreffen ließ. Am vergangenen Freitag hat die Reihe den Grimmepreis gewonnen. Zu Recht, denn sie hebt sich von den vielen Prominentenformaten ab, in denen nur Selbstinszenierungen abgefilmt werden. In „Durch die Nacht mit ...“ trifft Arte für zwei Prominente eine Abendverabredung, schickt eine Kamera mit, aber keinen Journalisten, der Fragen stellen und Brücken schlagen könnte. So müssen die Prominenten ein Stück weit selbst zu Journalisten werden, sie müssen sich gegenseitig ausfragen, ihre Inszenierungsrituale verlassen. Normalerweise ist das jedenfalls so. Bei allen außer Houellebecq. Der stolperte wie ein unglückliches Alien durch die Nacht von Barcelona. Er rauchte immerfort, die Zigarette zwischen Mittel- und Ringfinger geklemmt. Oft guckte er teilnahmslos nach unten. Überall traf er auf Menschen, die ihm ihre Bewunderung aussprachen. Auch Calixto Bieito bot all seine Freundlichkeit, all seine Entertainerqualitäten auf. Seine Standardantwort lautete: „Verstehe!“ Als Houellebecq erklärte, dass Kinder egoistisch seien, sagte er: „Verstehe.“ Houellebecq ergänzte, dass man Kinder züchtigen müsse. Bieito nickte. „Man muss sie treten!“, sagte Houellebecq dann. Bieito ist wirklich ein verträglicher Mann, doch da musste er widersprechen. Es scheint, als suche Houellebecq die Differenz. Warum ist er so? Ist er unfähig zur Kommunikation? Oder gehört es zu seiner Rolle, jede Erwartung zu unterlaufen? Oder ist er nur noch lebensfähig als Star, um den herum sich die Welt arrondiert. Wahrlich zäh ist diese Folge von „Durch die Nacht mit ...“ geraten, aber auch sehr interessant. Man ist nur froh, nicht in Bieitos Haut zu stecken.

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