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Das war’s. Steffen Klusmann (li.) und Stefan Weigel von der kürzlich eingestellten „Financial Times Deutschland“ bekommen einen Henri-Nannen-Preis. Foto: dpa

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Auszeichnung: Zurück zur Sinnlichkeit

Die Verleihung der begehrten Henri-Nannen-Preise in Hamburg hielt auch eine besondere Überraschung bereit. Die Benennung des neuen "Spiegel"-Chefredakteurs war das nicht.

Es geht auch ohne Skandale. Nachdem der Henri-Nannen-Preis in den vergangenen zwei Jahren überschattet war von Aufregungen, weil „Spiegel“-Redakteur René Pfister 2011 die Auszeichnung wieder aberkannt wurde und 2012 drei Redakteure der „Süddeutschen Zeitung“ ihren Preis ablehnten, weil sie sich diesen nicht mit der „Bild“-Zeitung teilen wollten, verlief die Verleihung der renommierten Auszeichnung am Freitagabend im Hamburger Veranstaltungszentrum Kampnagel ohne Zwischenfälle – dafür gab es gleich zwei Premieren, einen Überraschungspreisträger und für die „Zeit“ einen doppelten Triumph zu feiern.

Bevor es um die Preisträger ging, wurde erst einmal die 16-köpfige Jury aufs Korn genommen. RBB-Moderator Jörg Thadeusz und „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis, die durch den Abend vor rund 1200 Gästen aus der Medienbranche führten, stellte die Runde in einer Art Homeshoppingsendung vor. Da wurde das schöne Haar von Juroren wie Autor Richard David Precht und „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gelobt, der „Knuddelfaktor“ von „Focus“-Herausgeber Helmut Markwort und die „Toughness“ von „Panorama“-Moderatorin Anja Reschke.

Erst am Vormittag hatte die Jury über die Gewinner entschieden, zum ersten Mal in einer so geheimen Form, dass auch die Juroren erst am Abend erfuhren, wer die Sieger waren. Die Abstimmungen seien unstrittig verlaufen, hieß es aus dem Jurorenkreis. Nur in den Kategorien „Reportage“ und „Dokumentation“ sei es zu einem Patt gekommen, weshalb zweimal abgestimmt werden musste. Im Vorfeld hatte es Unmut vonseiten der Vorjury gegeben, die sich in ihren Empfehlungen von der Hauptjury teilweise übergangen fühlte. So sei ein Stück, das einstimmig nominiert worden war, nicht berücksichtigt, ein anderer Text erst im Nachhinein auf die Liste gehoben worden. Darauf ging Julia Jäkel, neu ernannte Gruner + Jahr-Vorstandsvorsitzende, nicht in ihrer Begrüßungsrede ein, doch um die Unruhen in ihrem eigenen Verlag redete sie nicht herum: „Bei uns stürmt es auf allen Etagen“, sagte sie, eine Anspielung auf die Einstellung der „Financial Times Deutschland“ (FTD), den Umbau im Vorstand und die Erneuerung des „Stern“, der ab 1. Mai von Dominik Wichmann als Chefredakteur geführt wird.

Jäkel und Wichmann gaben damit am Freitag beide ihren Einstand als Gastgeber der Verleihung, die dieses Mal ganz im Zeichen des 100. Geburtsjahres von Nannen stand. Jäkel verwies auf das Motto, das der „Stern“-Gründer seinem Magazin vorgegeben hatte: Sich selbst treu zu bleiben, sich dabei aber ständig selbst zu erneuern. „Das ist ein Balanceakt, der im digitalen Zeitalter über die Zukunft der Printbranche entscheiden wird“, sagte Jäkel.

Dass es für die „FTD“ keine Zukunft mehr gibt, hat Jäkel selbst mitentschieden. Am 7. Dezember 2012 war die letzte Ausgabe der Wirtschaftszeitung erschienen, mit einem schwarzen Titelblatt als Anspielung auf die schwarzen Zahlen, die das lachsrosafarbene Blatt nie geschrieben hat. Für diese „Final Times“ ging am Freitag überraschenderweise posthum ein Sonderpreis an die Redaktion unter Chefredakteur Steffen Klusmann. Die Ausgabe sei ein „Meisterstück des Journalismus“ gewesen und habe „Größe im Abgang“ gezeigt, sagte Juror Stefan Plöchinger, Chefredakteur von sueddeutsche.de, in seiner Laudatio.

Während es vom Publikum viel Applaus für diese Entscheidung gab, blickte Liz Mohn, Aufsichtsratmitglied des Medienkonzerns Bertelsmann, der Hauptanteilseigner an G + J ist, etwas verbittert drein – ob aus Trauer über das Ende der „FTD“ oder Unverständnis für den Sonderpreis, war nicht zu erfahren. Mohn verließ noch vor Ende der Verleihung den Saal, in dem Moment, als die Herausgeberin der „Münchner Abendzeitung“ und „Stern“-Kolumnistin Anneliese Friedmann, 85, für ihr Lebenswerk mit einem „Henri“ geehrt wurde. Damit verpasste sie eine launige Laudatio von Thomas Gottschalk. Für Friedmann und den Nannen-Preis habe er sogar den Geburtstag seiner Frau Thea sausen lassen, sagte Gottschalk. Gegen seinen Auftritt wirkten Thadeusz und Zervakis eher bemüht. Zervakis kam aus der hölzernen Nachrichtensprecherrolle nicht heraus, Thadeusz musste den Rückblick auf Nannens Leben in die Verleihung einflechten. Einige Ausschnitte aus dieser Hommage waren amüsant, erinnerten sie doch an eine Zeit, in der in Fernsehstudios noch geraucht werden durfte, der Chefredakteur mit Willy Brandt baden ging und statt vom Sinn des Lebens lieber von der „Sinnlichkeit des Lebens“ geschwärmt wurde. Die Bedingungen, unter denen Journalisten heute arbeiten, sind andere. Dass die Qualität ihrer Arbeit keineswegs schlechter ist, bewiesen die ausgezeichneten Arbeiten. 802 Arbeiten waren für den Preis, der mit insgesamt 35 000 Euro dotiert ist, eingereicht worden.

Gleich zweimal ging er an Autoren der „Zeit“: An Heike Faller mit ihrer im „Zeit“-Magazin erschienenen Geschichte „Der Getriebene“, in der sie über einen pädophilen Mann berichtet, der eine Therapie in der Berliner Charité absolviert. Faller gewann in der Kategorie Reportage, die als Königsdisziplin gilt. „Heike Faller ist eine bemerkenswerte Reportage gelungen, eindringlich, herausfordernd, brillant formuliert, intensiv in der Wirkung. Möglicherweise gar mit Langzeitwirkung: weil diese Nahaufnahme ein Schutz sein kann vor vorschnellen Urteilen, gerade dann, wenn der differenzierte Blick so schwerfällt“, lobte die Jury.

Bernd Ulrich, Politikchef und stellvertretender Chefredakteur der „Zeit“, wurde mit dem „Henri“ in der Kategorie Essay ausgezeichnet für sein Stück „Wer sind wir, heute?“, in dem er sich in Form eines Reiseberichts in Berlin, Auschwitz, Tel Aviv und Jerusalem auf Spurensuche der deutschen Geschichte begibt. Ulrich habe einen Essay verfasst, „der seine Leser verblüfft, anrührt und aufklärt. Es ist ein anstößiger Text, anstößig im besten Sinne“, begründete die Jury.

In der Kategorie Dokumentation gewannen Sönke Iwersen und Fabian Gartmann vom „Handelsblatt“ mit ihrer Geschichte „Ladenschluss“ vom Niedergang der Drogeriekette Schlecker den „Henri“. Der Preis für die beste investigative Leistung ging an Wolfgang Kaes vom „Bonner Generalanzeiger“, der einem Fall nachging, bei dem eine vermisste Frau für tot erklärt werden sollte. Dank Kaes Recherchen konnte nachgewiesen werden, dass die Frau von ihrem Exmann umgebracht worden war. Der Preis als beste Fotografin ging an Sandra Hoyn für ihre Reportage „Die Kampfkinder“, die in dem Onlinemagazin emerge-mag.com erschienen war. Vorab war René Wappler von der „Lausitzer Rundschau“ als Preisträger für seine Verdienste um die Pressefreiheit benannt worden. Er berichtet über die Naziszene in seiner Heimatregion und lässt sich davon trotz heftiger Bedrohungen nicht einschüchtern.

Leer ging in diesem Jahr der zweifach nominierte „Spiegel“ aus. Thema war das Nachrichtenmagazin trotzdem an dem Abend, nach der Abberufung von Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron ist offiziell noch kein Nachfolger benannt. „Auf der Aftershowparty wird der neue Chefredakteur des ,Spiegel’ ausgetanzt“, sagte Thadeusz. Das dürfte nicht gelungen sein. Weder dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner, der als neuer Chefredakteur gesetzt gilt, noch Jakob Augstein, der als möglicher Herausgeber genannt wird, waren zur Preisverleihung gekommen. Getanzt wurde trotzdem.

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