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Medien: Bauchfrei, aber nicht kopflos

Das ADC-Buch 2002 sagt, wie Werbung sein muss

Von Annette Schmiede

Auch als Wurst sieht Marlene Dietrich toll aus. Sie besteht aus 160 Gramm Rindfleisch in Gelee, mit Mandarinen. Für die Ausgabe „Aufschnitt Becker! Eine Ode an die deutsche Wurst“ hat das SZ-Magazin in der Fotostrecke „Jetzt geht’s um die Wurst, Leute!“ die Gesichter von großen und kleineren Deutschen in Wurst gelegt: Albert Einstein, Günter Grass, Johann Wolfgang von Goethe, Boris Becker, Uschi Glas, Claudia Schiffer. Nicht nur der Münchner Wurstfabrikant Sepp Gassner bewertete das Ergebnis bei Hefterscheinen 2001 positiv – „Das ist die Ehrlichkeit der Wurst“. Auch die Kenner verliehen dem SZ-Magazin dafür einen Preis: die Silbermedaille des ADC-Wettbewerbs 2002.

Der Art Directors Club für Deutschland (ADC), ein nach amerikanischem Vorbild gegründeter Verein der Kommunikationsbranche, kürt einmal im Jahr die besten Arbeiten aus den Bereichen Werbung in Print, Funk und Fernsehen, Editorial Design und Fotografie. Aus 7000 Exponaten hat die Jury die besten ausgewählt. Und dazu wieder ein Buch herausgegeben, das 38., das von vorn bis hinten unter einem Motto steht: Der Bauch, und wofür er gut ist.

Schön zumindest fasst es sich an, das ADC-Buch 2002. Aus Leder, rosa wie Disneys drei kleine Schweinchen, vorne weich gepolstert, mit einem Bauchnabel in der Mitte. Mehr aufs Bauchgefühl müsse die Werbung sich verlassen, auf unser zweites Gehirn im Darm, so der Tenor. Denn die Macher des 108 Euro teuren Buchs halten es mit dem chinesischen Sprichwort: „Hüte dich vor dem Mann, dessen Bauch sich beim Lachen nicht bewegt.“ Also lassen es sich einige Werber nicht nehmen, ganz hinten ihre wackelnden nackten Bäuche abzulichten - Platz genug ist da, das Buch wiegt mehrere Kilo.

Durch 2000 farbige Abbildungen muss man sich blättern, 800 Seiten lang. Der Luxus dieses Buches ist seine Ausbreitung, die Unmenge an Platz. Und die richtet sich nach der bekanntesten aller Werberegeln: Dass nämlich die Verpackung mindestens so wichtig ist wie der Inhalt.

Zunächst begrüßen uns die Köpfe der Jury, 161 an der Zahl. Danach folgen die Kategorien und die darin ausgezeichneten Anzeigen, natürlich in bunt und hoch glänzend. In der Kategorie Plakate beispielsweise konnte die Telekom eine Silbermedaille für ihre Sonderplakatierung des Brandenburger Tores verbuchen (das darunter immer noch restauriert wird). Eine Bronzemedaille ging an UNICEF, für die Plakate „Kinderarbeit“. Auf denen sind in Großaufnahme die Etiketten auf einem Polohemd oder am Bund einer Jeans zu sehen. Statt der Marke ist abgebildet, wie ein weinendes Kind sich über eine Nähmaschine beugt, um in stundenlanger Schufterei diese Kleider zusammenzunähen.

Neu ist beim diesjährigen ADC-Buch nicht nur die Aufmachung. Zum ersten Mal kann man jetzt Anzeigen aus den Kategorien „TV-Spots“, „Kinowerbefilme“, „TV-Trailer“ und „Sound Design“ auf der beiliegenden DVD auch ansehen und anhören. Bei vielen Exponaten, insbesondere TV-Spots oder Webseiten, stehen neben den Fotos kurze und prägnante Erläuterungstexte. Allerdings fehlen genau die bei den Anzeigen, die man nicht versteht – die gibt’s nämlich auch. Und bei denen hilft der Bauch allein nicht weiter.

Selbst dem Insider nicht. Reinhard Siemes, seit Jahr und Tag Werbetexter und mittlerweile so etwas wie der Werbepapst Deutschlands, schmeckt der Inhalt gar nicht: „Der Anteil an gutem Fleisch ist relativ gering. Um so wenige gute Anzeigen wird ein Bohei gemacht, das hätte man auf ein Drittel runterdampfen können.“ Vor allem zu viele Auszeichnungen gebe es, sagt Siemes. Denn neben den seltenen Goldmedaillen in Form eines Nagels – die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bekam eine für ihre Kampagne: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ – häufen sich die einfachen „Auszeichnungen“.

Zwei gab es auch für den Tagesspiegel, interessanterweise in der Kategorie „Zeitschriftenbeiträge“. Oder für Daimler Chrysler und das Jeep-Plakat „DDR“, das unter dem Claim „Die DDR hatte auch ihre guten Seiten“ eine Allee-Landstraße im Morgenlicht zeigt, davor groß ein Schlagloch voll mit Regenwasser - da lacht das Herz des Jeepfahrers.

So sehr aber viele Anzeigen neue Lust auf Werbung machen, vielleicht sogar für das Design der abendlichen Bierflasche sensibilisieren, das Bauchweh stellt sich doch noch ein. Bei den Zwischentexten nämlich, die den einzelnen Kategorien und Preisträgern vorangestellt sind. Denn die sind ziemlich penetrant. Unter so diffusen Oberbegriffen wie „Befehlsverweigerung“, „Quintessenz“ oder „Politik“, lassen sie keine Gelegenheit aus, das Bauchgefühl rosarot zu loben. 784 Seiten dem Konsum gewidmeter Hochglanz – eigentlich ein Traum für den modernen Hedonisten, den Werbefreund. Aber immer und immer wieder von schleimlösenden Enzymen, peristaltischen Bewegungen und Blut im Stuhl lesen, das will er sicher nicht.

„Viel zu aufgebläht, zu viel Fett“, urteilt auch Siemes. Sein Fazit: „Wenn das Buch halb so dick wäre, dann bräuchte es auch keinen Bauch.“ Allerdings: Irgendwie gibt das ADC-Buch mit seiner Bauchidee der Frage nach Kunst und Geschmack endlich eine handfeste Bedeutung. Und so soll Sepp Gassner, der Wurstfabrikant, für den die Wurstbeilagen des „SZ-Magazins“ Kunst waren, der wahre Kenner sein: „Mit Kunst“, so Gassner, „ist das wie mit Geschmack. Da können Sie keinem Vorschriften machen.“

ADC-Buch 2002, Verlag Hermann Schmidt Mainz, 800 S., 108 Euro.

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