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Gabriel Byrne als Pathologe Dr. Quirke.

© ARD Degeto/BBC/Steffan Hill

BBC-Krimi: „Mörderisches Dublin“ ist ein herrlicher Sturz in die Whisky-Gläser der irren irischen 1950er Jahre

In der BBC-Produktion „Mörderisches Dublin“ brilliert Gabriel Byrne als Pathologe Dr. Quirke, ein Geistesbruder seines verstorbenen amerikanischen TV-Kollegen Dr. Quincy.

Wenn an den nächsten drei Sonntagen der nüchterne Moderator Günter Jauch weiter pausiert, steigen im Ersten die berauschenden Dämpfe des Verruchten auf. Die Zigaretten qualmen, als hätte es nie einen Talk über die Gefahren des Rauchens gegeben. Die Nasen und Münder versinken lüstern in Whiskygläsern und draußen wabern die Nebel – willkommen im Dublin der frühen fünfziger Jahre zu Mord und Meuchel.

Die drei Episoden der BBC-Produktion „Der Pathologe – Mörderisches Dublin“ sind von der Art, wie man sie verlässlich stilsicher nur auf den britischen Inseln findet: Genau besetzte Schauspieler, die wie festgewachsen mit ihren Rollen wirken, Bilder, die über den wechselnden Schauplätzen nie vom musikalischen Grundton abweichen – hier einer tiefen Melancholie –, und eine Handlung, die so tut, als suche sie das Neue, aber immer nur das ewig böse Alte findet. Ohne je zu langweilen.

Der Zuschauer fällt in ein Whisky-Glas und erliegt sogleich dem schwerblütigen Pathos des Helden. Der irische Darsteller Gabriel Byrne, 1950 geboren und mit dem Golden Globe für seine Rolle in der HBO-Serie „In Treatment – Der Therapeut“ ausgezeichnet, spielt den Pathologen Dr. Quirke. Der Leichenaufschneider ist ein Geistesbruder seines verstorbenen amerikanischen TV-Kollegen Dr. Quincy, Wahrheitsfanatiker und nicht nur an seinen Seziertisch gebunden.

Tiefste Wunde Irlands

Die erste Episode „Nicht frei von Sünde“ senkt das Sezierbesteck in eine der tiefsten Wunde Irlands: den Skandal der systematischen Kindesentziehung und des herzlosen Handels mit Waisenkindern, den eine bigotte katholische Kirche, ein bigotter Staat und eine bigotte Gesellschaft lange Zeit im Verborgenen verantworteten.

Dr. Quirke sucht auf einem ähnlichen Weg, wie er in dem Kinodrama „Philomena“ geschildert wurde: Die Spuren eines fast vertuschten Abtreibungsfalls, bei dem die Frau starb, führen nach Amerika, wohin das Neugeborene durch Mithilfe der Kirche und einer dubiosen Organisation verschleppt und an ein kinderloses Paar vermittelt wird, um – nicht zuletzt rassistisch motiviert –, den Bestand an weißer amerikanischer Bevölkerung zu erhöhen. Dass der kriminelle Pflegevater das Neugeborene erstickt, weil es nervt, wird als Kollateral-Schaden von der Kirche vertuscht.

Der Pathologe Quirke entdeckt, dass in den Fall seine eigene Verwandtschaft verstrickt ist, nicht zuletzt sein Vater, der ehrenwerte Richter (Michael Gambon). Stück für Stück enthüllt sich die problematische Lebensgeschichte des Helden. Er selbst war vom Vater für Jahre in ein Waisenhaus gegeben, später aber als verlorener Sohn heimgeholt worden. Trotzdem hat dieses Schicksal eines auf Zeit verstoßenen Kindes das Leben Quirkes traumatisiert. Er hat sich nach dem frühen Verlust einer geliebten Frau zum mürrischen Witwer entwickelt. Die Toten sind ihm angenehme Partner. Nur eine alte Liebe besteht fort – unerreichbar.

Quirkes Bruder Malachy (Nick Dunnig), vom Vater ungeliebt und deshalb besonders auf Korrektheit bedacht, scheint dem Unsteten gegenüber nach außen hin als Muster gelungener Großbürgerlichkeit. Malachy leitet die Klinik, in der Quirke als Pathologe im Keller qualmt, hadert und säuft. Doch Malachy hat eine Frau (Geraldine Somerville), die von Quirke noch immer geliebt wird, und aus dieser alten Affäre ist die gemeinsame Tochter Phoebe (Aisling Franciosi) entstanden, die unwissend bei dem verheirateten Ehepaar aufwächst, um den Schein zu wahren. Die Bibel verschärft: Abels uneheliches Kind wächst also bei Kain auf und der aus der Gnade verstoßene Wüterich darf den Bruder nicht erschlagen – auch das noch.

Der Ire John Banville, Krimi-Pseudonym Benjamin Black, aus dessen Geschichten dieser Drei-Episoden-Film entstanden ist, beschreibt mit Vorliebe die irische Krankheit: Katholische Hypermoral zerstört Liebe und Lust zwischen den Geschlechtern, hinterlässt gescheiterte Beziehungen und Verirrte im Dschungel der Lüste. Auch wenn die Kritik an der Kirche zu spüren ist, immer geht es auch in den weiteren Banville-Episoden wie in der Beichte zu, Schurkereien werden individuell abgerechnet. Teufel gehen um, verführen mit Drogen, zeugen mit der eigenen Schwester Kinder und beseitigen sie. Soziale Entwicklungen, Modernisierung gar, interessieren in diesem großartigen düsteren Panoptikum wenig.

Das intensivste Erlebnis ist das Gesichtsspiel von Schauspieler Byrne. Als könnte man dort die Quintessenz eines Lebens in Irland sehen. Das erste von fünf Kindern eines Soldaten und einer Krankenschwester wurde streng katholisch erzogen, besuchte viereinhalb Jahre ein Priesterseminar und schlug wegen sexueller Belästigung nach Umwegen eine Karriere als Schauspieler ein. Seinem sensiblen Spiel ist anzusehen, dass er weiß, was ein Leben in den irischen Widersprüchen bedeutet. Es war eine dunkle Zeit, aus der er kam, und die Epoche erscheint in den drei Sonntagsfolgen in ihrem düsteren Glanz. Da kann der Zuschauer sehr gut die „Jauch“losigkeit verkraften.

"Der Pathologe – Mörderisches Dublin: Nicht frei von Sünde“, ARD, Sonntag, 21 Uhr 45

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