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Glenn Greenwald bei Beckmann

© Tsp

Beckmann-Sendung über Whistleblower: Und täglich klappert die Talk-Show-Mühle

Wozu stellt man eine Talkrunde zusammen, in der sich alle Kandidaten im Grunde einig sind? Unser Autor weiß es auch nicht, konnte aus der Beckmann-Sendung zum Thema Whistleblowing aber trotzdem seine Erkenntnisse ziehen.

Dass die beiden großen Sender ARD und ZDF wegen des real existierenden Talkshow-Overkills unter der Hand schon längst neue Namen haben - ARD heißt eigentlich ATTÜ: Arbeitsgemeinschaft der totalen Talkshow-Überfütterung und ZDF heißt ZHVMLUMBI: Zentrale Heimstätte von Markus Lanz und Maybrit Illner – dieses Insider-Wissen könnte schon als eine erste, leichte Form von Whistleblowing bezeichnet werden.

Whistleblower sind Menschen, die Missstände und Skandale aus ihrem beruflichen Umfeld kennen und an die Öffentlichkeit bringen. Das ATTÜ und ZHVMLUMBI als öffentlich-rechtliche Labber-Anstalten wirklich schon Whistleblower nötig haben, ist natürlich mehr als nur unfairer Rufmord. Die beiden Sender könnten ja auch statt Sendungen, in denen geredet wird, den lieben langen Tag Sendungen zeigen, in denen gekocht und gequizt wird …. ähhhhhh Themenwechsel.

Also mal ganz ernsthaft, wir Fernsehzuschauer sind doch ganz scharf auf Talks, morgens, mittags und abends. Und nach gefühlten Ewigkeiten, während in den letzten Tage auf allen Kanälen eigentlich nur noch über die Rente und die Rente und die Rente gesprochen wurde, ist man ja schon richtig dankbar, wenn Reinhold Beckmann diese steinerne Talk-Mauer durchbricht und mal über etwas ganz anderes spricht. Warum nicht mal zur Abwechslung über Edward Snowden. Oder einfach um das Thema viel breiter aufzustellen über Edward Snowden und das Whistleblowing. Also alles zum Thema Whistleblowing. Dann noch einen Titel, der viel verspricht und wenig hält: Whistleblower – Skandale aufdecken, Missstände anprangern. Fertig ist ein neues Kapitel in der unendlichen Geschichte der unendlichen deutschen Talkshows.

Gäste bei Beckmann sind Glenn Greenwald, der US-Journalist, der Teile der Enthüllungen von Edward Snowden gedruckt hat, Brigitte Heinisch, eine  Pflegekraft, die Missstände in einem Berliner Altenheim öffentlich gemacht hatte, die forensische Psychiaterin Dr. Hanna Ziegert, die der bayerischen Justiz auf die Füße getreten ist und als Gutachterin für Gericht kaum noch Aufträge bekommt, das gute Gewissen Deutschlands Günter Wallraff und der Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum.

Schon durch die Gästeauswahl zeigt sich das große Problem dieser Sendung. Alle sind entweder für Whistleblower oder sind selbst Whistleblower. Keiner ist dagegen. Natürlich ist Whistleblowing eine gute Sache, aber wenn sich alle einig sind, warum muss man dann 75 Minuten darüber reden? In voller Übereinstimmung und gemeinsamer Einigkeit? Wenn es der sicher nicht kleinen Redaktion von Beckmann nicht gelingt, einen Gegenpart einzuladen, dann muss halt der Moderator ran und diese Aufgabe übernehmen. Aber abgesehen vom üblichen Moderatoren-Bashing, Beckmann ist alles andere als ein hochkritischer oder frischlebendiger Gesprächsleiter. Er ist die personifizierte Simulation eines Alles-Talkers, der liebe Onkel der gepflegten Unterhaltung, der sich mit gleichförmiger Meinung und in gleichförmigen Tonfall so durch die Talk-Themen talkt. Das hat so viele Geschmacksausreißer wie ein Teller Wassersuppe.

Neue Gedanken? Nicht mit Beckmann!

In der aktuellen Sendung wird in den ersten 25 Minuten hauptsächlich über den Fall Snowden geredet. Natürlich wäre es mal ein ziemlich gutes Alleinstellungsmerkmal gewesen, wenn Edward Snowden selbst etwas zu seiner Motivation hätte sagen können. So hat halt Glenn Greenwald versucht, über die Motivation von Herrn Snowden was zu sagen. Die anderen Teilnehmer spekulieren herum und sagen dann auch was zur mögliche Motivation von Snowden. Dann werden nochmal die gesamten und altbekannten medialen Argumente zum Gesamtkomplex Geheimnisverrat aufgezählt und verbal abgearbeitet. Edward Snowden - ein großer Held, ein heldenhaftes Verhalten.

Immerhin bemerkt die Psychiaterin Dr. Hanna Ziegert, dass Snowden durch seinen Geheimnisverrat wohl sozialen Suizid erlitten hat. Immerhin mal ein neuer Gedanke. Beckmann tut aber alles dafür, dass dieser neue Gedanke nur nicht weiter besprochen wird. Stattdessen wird das neue Buch von Glenn Greenwald erwähnt und als optischer Kaufhinweis elegant und kaum auffallend in der Sendung platziert. 

Und dann wird’s mal richtig lustig. Ex-Innenminister Gerhart Baum fordert eine gesamteuropäische Solidarität mit Snowden, und Günter Wallraff erwidert, dass Island schon Solidarität mit Snowden bekundet hätte. Na wenn die europäische Großmacht Island da schon mal den Vorreiter macht, dann muss man sich ja nicht mehr sehr um Snowden bangen. Sonst leider nicht viel Neues an der Whistleblowing-Front.

Im zweiten Teil der Sendung wird der Fall der Brigitte Heinisch aufgerollt. Die Altenpflegerin hatte 2007 den „Internationalen Whistleblower-Preis“ erhalten, weil sie Missstände in einem Berliner Altenheim öffentlich machte. Am Anfang wirkt sie zwar etwas berlinerisch robust, aber doch auch sympathisch. Sie wurde fristlos gekündigt, deutsche Arbeitsgerichte bestätigten das Urteil und erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab Brigitte Heinisch teilweise recht. Leider werden die Erlebnisse der Berlinerin im Lauf der Erzählung immer abstruser. Das Ende - eine riesengroße Verschwörung. Die Beteiligten an dieser Konspiration (in alphabetischer Reihenfolge):

Norbert Blüm, die deutschen Altenheime, die deutsche Industrie, die deutsche Justiz, ehemalige Bürgerrechtler, Helmut Kohl, Angela Merkel, Nazis, Antifaschisten und und und … Selbst Beckmann ist dieses Klagelied dann doch etwas zu viel und er leitet flott zum dritten und eigentlich auch interessantesten Teil der Talkrunde weiter. Hanna Ziegert, die besonders im Fall Mollath eine zu enge und oft auch zu abhängige Zusammenarbeit von Gutachtern und Gerichten anprangerte, wurde daraufhin als Nestbeschmutzerin diffamiert. Leider bleibt für diese Geschichte nicht mehr viel Zeit.

Zum Ende gibt es noch von Baum und Wallraff die üblichen Sprechblasen. Die Gesellschaft muss sich engagieren, die Politik muss was für Whistleblower tun, die Allgemeinzustände sind schlimm, aber es wird besser. Auf die Schluss-Frage an Greenwald, welche Enthüllungen noch zu erwarten wären, bleibt dieser natürlich die Antwort schuldig. Wahrscheinlich ist dafür ein neues Buch geplant, das dann ja wieder bei Beckmann vorgestellt werden kann. Halt, Beckmann macht ja Schluss mit der guten Unterhaltung. Aber es gibt ja noch Günther Jauch und Frank Plasberg und Sandra Maischberger und Anne Will und Markus Lanz und Maybrit Illner. Ganz zu schweigen von unzähligen Talks in den Dritten Programmen. Herrliche Zeiten für alle, die was zu sagen haben. Oder was zu verkaufen. 

Ralf Streber

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