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Nach der offiziellen Buchvorstellung verteidigt Sarrazin seine Thesen im TV-Talk.

© dpa

Bei Beckmann: Sarrazins Bauchgefühl

Wenn jemals jemand überhaupt nicht gut ausgesehen hat bei Beckmann, dann war es Thilo Sarrazin. Doch mit einer rosa Brille kommt man Sarrazins Bauchgefühl nicht bei. Eine Fernsehkritik.

Seltsam. Es ging hoch her am Montag bei Beckmann. Es wurde geschimpft und gezetert, als Thilo Sarrazin sein Buch: „Deutschland schafft sich ab“ gegen eine Runde von Kritikern zu verteidigen versuchte.  Und das ist insofern bemerkenswert, als sich bald diese Mehrheitsmeinung abzeichnete: Das Buch ist ein Schuss in den Ofen. Was daran richtig ist, wissen wir längst, und das Falsche ist ebenfalls ein uralter Hut, etwa die These, dass arme Leute viele Kinder kriegen oder Intelligenz sich vererbt. Renate Künast tat es um die Zeit leid, die sie mit dem überholten Zeug verbringen musste, auch Ranga Yogeshwar empfand die Debatte als uneigentlich.

Am entrücktesten aber wirkte der Noch-SPD-Mann Sarrazin selbst. Ein agent provokateur sollte eigentlich eine Prise Temperament einbringen. Dieser Autor aber hing nur müde im Sessel, statt zu sprechen nuschelte und stammelte er, und in Erregung geriet er nur zu Beginn, als Moderator Beckmann ihn roh unterbrach. Statt zu argumentieren leierte der Bundesbanker Zahlen runter, der „Mikrozensus“ hatte es ihm besonders angetan. Die niedersächsische Ministerin Aygül Özkan, deren Namen sich Sarrazin nicht merken konnte, vermisste den Blick auf die Menschen, Olaf Scholz (SPD) das soziale Engagement. Wenn jemals jemand überhaupt nicht gut ausgesehen hat bei Beckmann, dann war es Thilo Sarrazin mit seinem Buch.

Bleibt die Frage, warum trotzdem die Luft im Studio so dick war. Allein am Thema Integration konnte es nicht liegen. Eine zugeschaltete Politologin mit Migrationshintergrund gab die Antwort: Gegen Sarrazins „Bauchgefühl“ komme man mit Argumenten schwer an. Und dieses Gefühl nehme die Gesellschaft jetzt wohlig zur Kenntnis, der Geist der Fremdenfeindlichkeit sei aus der Flasche und sie selbst werde, da „phänotypisch markiert“ (schwarzes Haar), erneut scheel angesehen. Eine derartige „Grundmelodie“ hatte auch Künast in dem Buch entdeckt; Özkan sprach von „Verächtlichkeit“ und „Häme“.

Das Problem der Runde war, dass sie keinen Weg fand, Sarrazins Bauchgefühl etwas entgegen zu setzen. Auf jeden türkischen Schulabbrecher, der in Sarrazins Buch vorkommt, konterte sie mit einem arabischen Abiturienten, und als Beckmann von Scholz wissen wollte, ob es richtig sei, dass Migrantenfrauen mehr Kinder kriegen, redete der über Bildungsfragen. Man warf Sarrazin mit großer Emphase vor, dass er keine Lösungen anbiete und stattdessen polarisiere. Yogeshwar: „Warum hauen sie nur drauf, ohne konstruktiv damit umzugehen?“

Es war eine Fronde des guten Willens, die da gegen einen Miesmacher antrat. Aber es ist ein Recht des politischen Autors, mies zu machen. Er muss keine Lösungen anbieten, er darf drauf hauen. Genau der Schönfärberei, gegen die Sarrazin sein Buch geschrieben hatte, begegnete er bei Beckmann wieder. Wohl noch nie sind derart viele aufstiegsbewusste Türken und intergrationsbereite Araber durch ein Studio gegeistert wie am Montag.

Nur der zu einem Extra-Interview hinzu gebetene Streetworker Sonnenburg (RTL) erwähnte einmal kurz, dass es zugewanderte Jugendliche gibt, die kein Deutsch lernen wollen. Sonst war die Integration eigentlich längst geschafft, das Wort Parallelgesellschaft fiel kein einziges Mal. Stattdessen drängte sich der Eindruck auf, dass Hartz-IV-Empfänger unter Migranten die Ausnahme seien. Mit einer derart rosa Brille kommt man Sarrazin und seinem Bauchgefühl natürlich nicht bei. Und erst recht nicht all den Stammtischbrüdern, die ihm zustimmen. Yogeshwar erkannte: „Wir hypen das Buch“. Wohl wahr. Wie wäre es mit ernst nehmen? Nur so kann man es widerlegen.

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