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Medien: „Berichten Sie der Welt, was Sie hier sehen“

48 Journalisten wurden bislang im Irak getötet, die Überlebenschancen in Bagdad sind gering. Warum kehrt man als Korrespondent in den Irak zurück?

Seit Oktober bin ich im Irak zurück. Viele sind wir nicht. Tatsächlich sind ich und eine Kollegin, die für die „Neue Zürcher Zeitung“ arbeitet, die einzigen deutschsprachigen Reporter. Natürlich habe ich mir das lange überlegt, ob ich hierher fahren soll. Ich berichte seit einigen Jahren aus den Krisengebieten der Welt und kenne das Risiko. Als freier Journalist war ich dieses Jahr bereits von Februar bis August im Irak. Seither haben nach und nach alle westlichen Journalisten das Land verlassen. Entführungen, Raub und Morde bestimmen den Alltag des Landes. Insgesamt achtundvierzig Kollegen starben bisher im Irakkonflikt. Es sind nur noch wenige westliche Berichterstatter in Hochsicherheitshäusern in Bagdad geblieben. Sie kommentieren fast nur noch von den Dächern ihrer Hotels aus.

Als ich mich zur Rückkehr entschloss, war klar, dass ich nicht nach Bagdad gehe. Das käme einem Selbstmord gleich. Der Nordirak mit den Kurdengebieten ist noch einigermaßen sicher.

Da ich wieder über einen längeren Zeitraum aus dem Irak berichten werde, bin ich mit dem Auto von Deutschland in den Irak gefahren. Die umfangreiche schwere Ausrüstung und die Unabhängigkeit vor Ort wiegen die 6000 Kilometer lange Fahrt auf. Alle wichtigen Teile sind doppelt dabei. Es darf nichts schief gehen, denn was ausfällt, ist meist nicht mehr zu ersetzen.

Als ich mich auf der irakischen Seite dem Chef des kurdischen Grenzpostens vorstellte, erklärte er mir bei einem Glas Tee, dass ich mit dem deutschen Kennzeichen nicht im Nordirak fahren kann. Es ist zu gefährlich. „Jeder sieht von weitem, dass da ein Ausländer kommt.“ Ich bekam sofort kurdische Kennzeichen mit den entsprechenden Papieren für mein Auto. Oft winken mir Iraker gerade in den Dörfern zu und wollen mitfahren, weil sie denken, ich bin mit meinem VW-Bus und dem Dachgepäckträger ein Sammeltaxi.

Die Kurden haben sich durch einen jahrelangen Guerillakrieg gegen Saddam Hussein ein Autonomiegebiet im Nordirak erkämpft. Die Sicherheit ist dort viel besser als im Rest des Irak. Die kurdischen Peschmergasoldaten kontrollieren die Straßen aus dem Süden. Bisher waren sie nach einer einfachen Methode erfolgreich: Wer kein Kurdisch spricht, ist verdächtig. Aber in Kirkuk nützt das nicht immer etwas. Autobomben und Attentate gehören auch hier zum Alltag.

Das Gebiet im Nordirak, in dem ich mich bewege, endet, wenn auf der Straße arabisch sprechende Soldaten und Polizisten kontrollieren. Die irakischen Sicherheitskräfte sind sehr stark von Aufständischen unterwandert und korrupt, so dass man ihnen nicht trauen kann. Im Südosten des Irak kann man auf kurdisch kontrolliertem Gebiet bis einhundertfünfzig Kilometer vor Bagdad fahren.

Das wichtigste für einen Reporter in einem Krisengebiet ist, dass er zu jeder Zeit telefonieren und Daten übertragen kann. Das geht nur, wenn man ein, besser zwei Satellitentelefone hat. Das ist für einen freien Berichterstatter eine teure Angelegenheit bei einem Minutenpreis von zwischen drei und sechs Euro und Anschaffungskosten von zehntausend Euro aufwärts. Aber was nützt die beste Geschichte inklusive der Fotos, wenn sie nicht in die Redaktion kommt.

In den drei kurdischen Städten gibt es Internetcafés, die sind aber immer überfüllt und sehr langsam. Entsprechend schwierig ist es, sich über das selbst Erlebte hinaus zu informieren. Oft helfen nur das Kurzwellenradio oder ein kurzer Anruf zu Hause.

Bei den wenigen Hotels in der Region gelten ein sauberes Bett, warme Dusche, abends fünf Stunden Strom und ein Tisch zum Arbeiten schon als oberste Luxusklasse. Wenn das Hotel keinen Strom hat, muss ich meinen eigenen Notstromgenerator vor dem Fenster laufen lassen, um Strom für den Computer zu haben.

In den Bergen Kurdistans ist es im Winter bitterkalt. Die Rezeption gibt mir oft einen tragbaren Kerosinofen mit. Weil ich nachts nicht durch eine Kohlenmonoxidvergiftung sterben möchte oder durch einen Brand des in China hergestellten kaminlosen Ölheizers, stelle ich ihn ab. Der Daunenschlafsack hält bis minus zwanzig Grad warm.

Ein Journalist, der die Sprache des Landes nicht spricht, braucht einen Dolmetscher, der sich darüber hinaus noch gut bei Behörden, Institutionen und im Land auskennt. Den zu finden, ist eine meiner Hauptaufgaben, im günstigsten Fall nur für die ersten Tage. Manchmal glaube ich, so einen Mitarbeiter zu finden, ist schier unmöglich, oder es ist das Schwierigste bei dem Job überhaupt. Die wirklich Guten sind bei der US-Armee für horrende Summen angestellt. Die dritte Wahl will inzwischen schon 150 Dollar am Tag. Ein Journalist in einem fremden Land hängt am „Tropf“ der Schnittstelle des Übersetzers zu den örtlichen Kontakten. Der Übersetzer ist mein größter Kostenfaktor.

Von meinen früheren Reisen in den Irak habe ich noch sehr gute Kontakte. Dazu zählt auch, dass ich täglich in Bagdad anrufe, um das Neueste zu erfahren. Und ganz ehrlich: Ich muss mir nach jedem Telefonat immer wieder sagen, nein, du fährst nicht hin, es ist zu gefährlich.

Die Aufständischen sind von Falludscha mit ziemlicher Sicherheit nach Mossul gezogen. Dort gehen die Kämpfe weiter. Das liegt nur zwei Stunden von der kurdischen Stadt Erbil entfernt. Ich fahre regelmäßig mit einem Dolmester an den nächstmöglichen Kontrollpunkt, um die Menschen, die von Mossul kommen, zu befragen. Das ergibt, auch wenn ich nicht selbst vor Ort bin, ein Bild über das, was in der Stadt los ist. Es sind gute Informationen aus erster Hand.

Die Arbeitsbedingungen in Bagdad waren bis Mitte dieses Jahres nicht besser, sondern nur anders als jetzt im Nordirak. Unter anderem auch die Wetterbedingungen. Ich hatte im Stadtteil Karrade eine Wohnung im ersten Stock eines Hauses an einer sehr belebten Straße gemietet. Es ist ein Viertel, in dem Christen und Moslems friedlich zusammenwohnten. Alle Nachbarn kannten mich. Der Bäcker gegenüber, der kleine Krämerladen, der Gasflaschenverkäufer, die kleine Autowerkstatt und der Gemüseverkäufer. Mit dem Dolmetscher oder mit meinen wenigen Worten Arabisch hatten wir schon viel zusammen diskutiert und auch gelacht. Alle wussten, dass ich Deutscher bin, was für eine Arbeit ich mache und dass ich keinen Kontakt zu den verhassten „Ameriki“ habe. Meine Nachbarn waren meine beste Lebensversicherung. Jeder Fremde, der sich für mich interessierte, wurde registriert und gemeldet. Mit dem Ladengeschäft für Klimaanlagen im Erdgeschoss teilte ich sechs bewaffnete Wachleute. Wie in ganz Bagdad üblich, standen die Männer mit ihren Kalaschnikows rund um die Uhr vor dem Haus. Ob es wirklich etwas nützte, kann man anzweifeln. Es ist mehr ein ortsübliches Ritual. Da es in Bagdad nur eine Stunde pro Tag Strom gibt, hatte ich auf dem Dach des Hauses meinen Generator stehen. Wenn es in den Sommermonaten weit über fünfzig Grad im Schatten hatte, musste er immer laufen, damit die Klimaanlage das Arbeiten und Schlafen in der Wohnung erträglich machte. Wegen fehlender Wasserversorgung musste ich mich auch darum kümmern, dass ein Tankwagen regelmäßig die Wassertanks auf dem Dach befüllt.

Zwischen acht Uhr und zehn Uhr vormittags waren Fahrten durch die Bagdader Innenstadt so gut wie tabu. In dieser Zeit gehen statistisch gesehen achtzig Prozent der Bomben hoch. Behörden und die neue Regierung haben in diesem Zeitfenster Dienstbeginn – und die Angestellten sollen durch die Anschläge getroffen werden. Wenn man durch Zufall bei so einer Explosion gerade vorbeikommt, hat keiner eine Chance. Außer den Mafiabanden und den Entführungen durch die Islamisten sind die Bomben die überall hochgehen können, das größte Problem im Irak. Inzwischen sind Ausländer in Bagdad Freiwild. Gewöhnliche Kriminelle kidnappen die Fremden und verkaufen sie an die Aufständischen. Mein Freund Salim sagt, er gäbe mir keine drei Stunden in Bagdad.

Seit August brauchen Journalisten für den Irak wieder ein Visum. Beantragen kann man es aber nur in Bagdad. Um dort hinzukommen, bräuchte man aber das Visum. Das alles geht jetzt nur, wenn man sich die Unterlagen aus Bagdad von einem befreundeten Iraker nach Deutschland mailen lässt, ausgefüllt zurückschickt und er damit dann ins Ministerium geht und den Antrag stellt. Wer in Bagdad keine Kontakte hat, bekommt auch kein Visum. Mit Sicherheit aber ist die Visa-Stelle nicht überlastet!

Warum arbeitet man unter solchen Bedingungen und Risiken? Mit Geld kann man keinen Reporter in eine Kriegsregion locken. Es sind die Menschen im Ausnahmezustand dort. Man kann das Schlimmste und das Schönste sehen, das sich Menschen zufügen können. Furchtbare Gräueltaten, aber auch Wärme und gegenseitige selbstlose Hilfe am Rande des menschlichen Daseins. Ein Iraker sagte zu mir: „Berichten Sie der Welt draußen bitte, was sie hier sehen. Nur das kann uns helfen.“ Dieser Satz hat mich tief beeindruckt und in der Entscheidung bestätigt, dass es richtig war, wieder in den Irak zu fahren.

Erwin Decker berichtet auch für den Tagesspiegel aus dem Irak.

Erwin Decker[Suleimanija]

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