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Berlin macht Biathlon: Die Stille nach dem Schuss

Wie der RBB die erfolgreichste Wintersportart ins Fernsehen bringt.

Für die einen ist es ein angenehmer Zeitvertreib am Bildschirm, die Lust auf spannenden Wintersport mit der Freude an deutschen Erfolgen verbindet. Für die anderen eher Sportterror, der das ganze Wochenende in den öffentlich-rechtlichen Sendern plattmacht. Für ZDF und ARD ist Biathlon die erfolgreichste Wintersportart im Fernsehen. Und das bedeutet für die Sender neben einer stabil guten Einschaltquote einen Haufen Arbeit, viel Logistik, die so eine Biathlon-Übertragung wie den viertägigen Weltcup aus Oberhof oder Veranstaltungen aus Übersee erst möglich macht.

Für die ARD übernimmt diese Aufgabe, Überraschung, nicht der Bayerische Rundfunk, sondern der Rundfunk Berlin-Brandenburg. Seit 1997 hat der RBB (damals ORB) im Ersten die technische Federführung für die Biathlon-Berichterstattung. ORB-Sportchef Hagen Boßdorf hatte die frei werdenden TV-Rechte nach Brandenburg geholt. „Ein Glücksgriff, damals wollte die Rechte keiner haben“, sagt Katrin Günther, Abteilungsleiterin Sport im RBB. Das Interesse hat mit dem Erfolg der deutschen Läufer um Kati Wilhelm oder Uschi Disl stark zugenommen, mit Marktanteilen in Spitzenzeiten über 30 Prozent. Biathlon-Begeisterung nicht nur an den Bildschirmen – die Fans reisen den Läufern hinterher, sagt Günther. Sogar den Menschen, die diese Sportart medial nahebringen. „Unser Live-Reporter Wilfried Hark hat auch einen eigenen Fan-Club: die ,Holsteiner Krabben’.“

Wer als Neuling vor Ort so eine Biathlon-Veranstaltung beobachtet, wie die aus dem kleinen Stadion Hochfilzen in Tirol, beim Weltcup im Dezember, sieht nicht nur die „Holsteiner Krabben“ auf der Tribüne. Er wundert sich über die Eitelkeit der Reporter, die bei Frost keine Mütze aufsetzen und darüber, dass bei der Sportart so vieles gleichzeitig passiert. Rund 100 Biathleten am Start, in der Mixed Zone, in der Loipe, am Schießstand, am Ziel, Favoriten parallel im Einsatz. Rainer Rosenbaum hat alle Hände voll zu tun. Der RBB-Regisseur sitzt im 25 Quadratmeter „großen“ Übertragungswagen am Regiepult, vor ihm Regler für neun nationale Kameras, die das Weltbild ergänzen – der Zuschauer hat keine Lust, ins Gesicht des spanischen Außenseiters zu sehen, während Andi Birnbacher schießt. Darüber hinaus müssen die Kameraleute die Schießrhythmen der Athleten kennen, um Kameras im Stadion zu steuern. In den Gesichtern der Schützen Anspannung, Konzentration, Freude, Frust, gebannt mit Super-Slo-Kamera: Biathlon-Übertragungen haben ihre eigene Ästhetik.

Für den RBB beginnt die Arbeit jedoch nicht erst gegen 10 Uhr an einem jener langen Weltcup-Tage, wenn Moderator Michael Antwerpes in seinem flexiblen Außenstudio in die Kameras spricht. Das 50-köpfige RBB-Team reist Tage vorher nach Khanty Mansiyk (Russland), Kontiolahti (Finnland) oder Hochfilzen, nimmt dabei die Hilfe von technischen Dienstleistern in Anspruch. Der 25 Tonnen schwere Übertragungswagen kommt aus Baden-Württemberg, weil der RBB seine Technik vorrangig im regionalen Sendegebiet einsetzt, als sie ins 700 Kilometer entfernte Tirol zu kutschieren.

Ein Riesenaufwand. Zwei Kilometer Glasfaserkabel im Schnee, der Einsatz von Redakteuren, Producern, Kameraleuten, Cuttern, Bühnen- und Lichttechnikern, IT-Experten, Flüge, Transfer, Visa, Satellitenübertragung – all das liegt in der Verantwortung von Mirko Erbach. Der Produktionsleiter des RBB ist seit fast 15 Jahren dabei, hat zu fast jedem seiner 75 Biathlon-Weltcups Geschichten zu erzählen. Alleine für die Reise von und nach Finnland sind 156 Flüge und 16 Fährpassagen zu buchen. Dazu diese Temperaturschwankungen. „Viel extremer als bei einer Fußball-Übertragung müssen wir im Wintersport stets mit klimatischen Unwägbarkeiten rechnen. Da läuft schon mal kurz vor Beginn der Sendung Schmelzwasser in den Ü-Wagen, Kabel schneien nach einem Sturm ein.“

Läuft wettermäßig alles glatt, bleibt dem RBB-Team für die richtige TV-Dramaturgie noch eine Unbekannte: die Starterliste, die am Abend vorm ersten Sprint rausgeht. In welcher Reihenfolge starten die Favoriten, wann die Deutschen? Wo holen wir wen ins Bild? Haben wir die Rundum-Geschichten der Storymacher im Kasten? Bunte Storys, wie man sie aus dem Profifußball kennt. Mit den deutschen Erfolgen ist für die rund drei bis vier Millionen Zuschauer auch interessant geworden, was abseits der Loipe mit einem Michael Rösch passiert.

Keine Frage, Biathlon ist zum Spektakel geworden, dass, wenn es nach dem Willen des RBB geht, noch Jahre vom Berlin-Brandenburger Sender mit inszeniert werden soll. Auch nach dem angekündigten Rücktritt von Magdalena Neuner dürfte die erfolgreiche TV-Sportart nicht in der Versenkung verschwinden. Viermal in dieser Weltcup-Saison geht das RBB-Biathlon-Team auf Tour, ab Oberhof wieder mit Olympiasiegerin Kati Wilhelm als Expertin, erstmals nach der Geburt ihrer Tochter vor einigen Wochen. Das macht rund 35 Stunden Biathlon-Weltcup live, die die ARD 2011/2012 gebracht haben wird, und kostet den RBB nach eigener Aussage eine hohe sechsstellige Summe. Versendet! werden die einen schimpfen, die anderen sich auf stundenlange Übertragungen freuen. Und Mirko Erbach hofft hinter den Kulissen unter anderem, dass kein Wasser in den Ü-Wagen schwappt.

„Sportschau live: Biathlon Weltcup in Oberhof, ARD, ab ca. 18 Uhr 15

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