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Medien: Berlusconis gestrecktes Bein

Fast ein Jahr ist Silvio Berlusconi nun Ministerpräsident. Zeit, Bilanz zu ziehen.

Fast ein Jahr ist Silvio Berlusconi nun Ministerpräsident. Zeit, Bilanz zu ziehen. Und einen Blick zu werfen auf die Machtkonzentration in den Händen des Premiers, der ja nicht nur der reichste Mann Italiens ist, ein Quasi- Monopol auf dem Sektor des Privatfernsehens hat, sowie Zeitungen, über 30 Magazine und 40 Prozent der italienischen Buchbranche sein Eigen nennt, sondern sich inzwischen auch zum Außenminister kürte.

Auf der Podiumsdiskussion „Politik und Massenmedien in Italien“, zu der am Freitagabend das Italienzentrum in die Humboldt Universität in Berlin geladen hatte, wies der Turiner Politologe Gian Enrico Rusconi darauf hin, dass von den gravierenden Problemen, die sich vor der Machtübernahme Berlusconis gestellt hatten, kaum eines gelöst ist. Der Interessenkonflikt des Unternehmers und seine Probleme mit der Justiz sind weiter virulent. Und die meisten Debattanten waren sich einig, dass das vom Parlament verabschiedete Gesetz, das zwischen dem als unproblematisch angesehenen Besitz eines Unternehmens und dem Management unterscheidet, kaum mehr als eine Farce ist.

Allein der Forza-Italia-Abgeordnete und Vorsitzende des Kulturausschusses, Ferdinando Adornato, wollte keinerlei Verzerrung der Demokratie erkennen. Das Misstrauensvotum gegen die erste Regierung Berlusconi 1994 wie auch die 1996 verlorene Wahl hätten gezeigt, dass Berlusconis Medienmacht die Wähler nicht beeinflusst.

In jeder Demokratie üben Medien eine Art kritisches Wächteramt gegenüber der Regierung aus. Nach der Übernahme des staatlichen Fernsehens Rai hat Berlusconi direkten oder indirekten Einfluss auf etwa 90 Prozent des Fernsehsektors. So wollte die moderierende Aspekte-Journalistin Luzia Braun wissen, wie Berlusconi denn beides könne: regieren und sich selber überwachen. Adornato verweigerte sich einer Antwort. Der Fernsehjournalist Gad Lerner sprach dann auch von einem „Dialog der Tauben“. Er warnte jedoch davor, Berlusconis Wahl nur als Zeichen einer unterentwickelten politischen Kultur in Italien zu sehen. Vielmehr sei der Unternehmer der Prototyp einer neuen Art von populistischem Politiker in Europa – das Ergebnis einer überall spürbaren Krise des traditionellen politischen Systems. Der Fernseh-Populismus Berlusconis sei das Ergebnis eines jahrelangen kulturellen Ablagerungsprozesses, nicht ohne Grund würden Soziologen davon sprechen, Berlusconi habe sich mit seinen Privatsendern die eigenen Wähler erst erschaffen.

Carmine Donzelli, Vertreter der Linken im Rai-Vorstand, wies auf Berlusconis paternalistisches Demokratieverständnis hin: Er sehe sich selber als Garant einer ausgewogenen Berichterstattung, fühle sich durch kritische Rai-Journalisten verfolgt. Auf Staatsbesuch in Sofia hatte der Premier die Absetzung dreier Fernsehjournalisten gefordert. „Ich habe das für einen Ausrutscher gehalten“ sagte Lerner. Er habe gedacht, nach solch einer Aussage könne es sich die Regierungskoalition gar nicht leisten, die Journalisten zu feuern. Ein Irrtum. Berlusconi sei in diese Sache „mit gestrecktem Bein hineingegrätscht“.

Rusconi sprach angesichts der Intoleranz gegenüber kritischen Journalisten von einer „Diktatur der Mehrheit“. Die Regierung sei der Meinung, dass der Wahlsieg sie zu allem ermächtige. Er habe bei seiner Arbeit mit Radiojournalisten festgestellt, dass sich der Ton sehr verändert habe. Auch ohne direkte Eingriffe gebe es offenbar eine vorauseilende Selbstzensur. Warum, darauf gab Gad Lerner eine Antwort. Er sei sicher, das etwa der Komiker Daniele Luttazzi, einer der drei angegriffenen Journalisten, weder bei der Rai noch bei Berlusconis Sendern wieder einen Job bekommen werde. Clemens Wergin

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