zum Hauptinhalt
Anregen und aufregen. Benjamin von Stuckrad-Barre sind viele Mittel recht, um seine Gäste und das Publikum aus der Reserve zu locken. Foto: Tele 5

©  Erik Weiss für TELE 5

Besser als Roche, besser als Kuttner. Besser als Jauch?: Benjamin von Stuckrad-Barre macht Erwachsenenfernsehen

FDP-Fraktionsvize Martin Lindner kifft und Linken-Chefin Katja Kipping tanzt in seiner Sendung. Doch Benjamin von Stuckrad-Barres Late-Night-Show ist ein ernst zu nehmender Polittalk.

Von Barbara Nolte

Donnerstag, später Nachmittag in Berlin. Das Bild, das Martin Lindner verfolgen wird bis an sein Lebensende, ist schon in der Welt. Die Produktionsgesellschaft Ulmen TV wirbt auf ihrer Homepage mit dem sich einen Joint unter die Nase haltenden FDP-Politiker für die tags zuvor aufgezeichnete Talkshow „Stuckrad-Barre“, die aber an jenem Abend erst bei Tele 5 ausgestrahlt wird.

Eine Altbauetage in der Nürnberger Straße. An einem Konferenztisch sitzt Benjamin von Stuckrad-Barre, der Moderator der Sendung, und redet sich über das gebührenfinanzierte Fernsehen in Rage, das er für mutlos und mittelmäßig hält. Er schimpft auf die von Phrasen durchwirkte Sprache der Moderatoren des Frühstücksfernsehens. Draußen fängt es an zu regnen. Der Screenshot von Martin Lindner fristet im Internet ein weitgehend unbemerktes Dasein, was angemessen erscheint. Denn überraschender, als dass ein Politiker einen halben Zug von einem Joint nimmt, übrigens nur weil er glaubte, es handele sich um eine normale Zigarette, ist, dass dieser Trick aus der Mottenkiste der Skandalisierung noch immer verfängt. Am nächsten Tag wird die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, FDP-Mitglied wie Lindner, den Parteifreund rügen. Die Sendung „Stuckrad-Barre“, die in der dritten Folge spätabends auf Tele 5 läuft, hat ihren Scoop.

Benjamin von Stuckrad-Barre zündet sich jetzt eine Zigarette an, was überrascht. Im Fernsehen wirkt der 37-Jährige wie ein Nichtraucher, obwohl er dort ständig raucht. Doch er hält die Zigarette seltsam gespreizt, drückt sie aus, kaum ist sie zur Hälfte heruntergebrannt. Man fürchtete immer, dass er gleich einen schrecklichen Hustenanfall erleidet. Die Zigarette als Requisit, das dem Zuschauer signalisiert, dass er hier bei einem unangepassten Programm gelandet ist.

Konzipiert wurde die Sendung vor zwei Jahren für ZDFneo, einen der Digitalkanäle des Zweiten, die der Mainzer Sender als Jungbrunnen nutzen will. Wer also in den ZDF-Digitalprogrammen eine Show hat, hat zumindest einen Fuß in der Tür des ZDF-Hauptprogramms. Mittlerweile sind das auch Sarah Kuttner und Charlotte Roche, die ebenso wie Stuckrad-Barre literarische Ambitionen pflegen.

Kuttner und Roche geben sich in ihren Fernsehauftritten verkrampft jugendlich. Stuckrad-Barre macht trotz des Verkleidungstheaters, das er mitunter inszeniert, und seiner zappelnden Körpersprache Erwachsenenfernsehen: einen Politiktalk, der verkürzt damit beschrieben wäre, dass es dort lediglich gelingt, einen Politiker aus der dritten Reihe dazu zu bringen, an einem Joint zu riechen.

„Politik hat viel Theatralisches“, sagt Stuckrad-Barre. „Die permanente Verstellung und Stilisierung, die Spezialsprache. Das ist eine unheimlich ergiebige Abraumhalde für Komik.“ Man dürfe mit Politikern Witze machen, sagt er, aber nicht über sie. „Nach dem Muster: Ihr da oben seid ganz doof.“ Das sei der „finstere Subtext“ gerade von öffentlich-rechtlicher Satire. Stuckrad-Barre ist auf die Öffentlich-Rechtlichen nicht gut zu sprechen, was auch daran liegen mag, dass die Verantwortlichen von ZDFneo im Frühjahr zögerten, eine weitere Staffel seiner Show zu produzieren. „Wir haben denen klar gesagt, solange ihr überlegt, schauen wir, ob wir jemanden finden, der nicht so lange überlegen muss.“

Stuckrad-Barre passt das Image des neokonservativen Schnösels nicht

Anregen und aufregen. Benjamin von Stuckrad-Barre sind viele Mittel recht, um seine Gäste und das Publikum aus der Reserve zu locken. Foto: Tele 5
Anregen und aufregen. Benjamin von Stuckrad-Barre sind viele Mittel recht, um seine Gäste und das Publikum aus der Reserve zu locken. Foto: Tele 5

©  Erik Weiss für TELE 5

Die Ungeduld erinnert an Harald Schmidt, der wenige Tage nach seinem Rausschmiss von Sat 1 beim Bezahlfernsehen Sky unter Vertrag ging und jetzt praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit auftritt. Als Stuckrad-Barre noch Zeitungsjournalist war, hat Schmidt einen Text von ihm in seiner Show aufgeführt. Es handelt sich um ein Protokoll, das Stuckrad-Barre anfertigte, als er Claus Peymann zu einem Herrenausstatter begleitete. Es wurde einer der einprägsamsten Sketche von Schmidt.

„Schmidts Show wird von Jahr zu Jahr besser“, sagt Stuckrad-Barre. Er verpasse kaum eine Folge. Überhaupt sieht Benjamin von Stuckrad-Barre überraschend viel fern dafür, dass er so wenig von dem gelten lässt, was darin gezeigt wird. Täglich guckt er die Talkshows von ARD und ZDF. „Die Befragungsrunden finde ich sehr lustig. Aber das merken die Shows selbst nicht, dass sie lustig sind. Da werden Scheingefechte aufgeführt. Die Politiker haben aber das Recht, dass man normal mit ihnen spricht und ihnen hilft, die Zwangsjacke der Formelrhetorik abzulegen. Da kommt ja dann auch was. Vielleicht auch nicht.“

Stuckrad-Barre beginnt seine Sendung mit einem Kreuzverhör im Stehen. Von Michelle Müntefering will er wissen, ob ihre Schuhe von Louboutin oder Manolo Blahnik seien, doch sie sind aus einem normalen Schuhgeschäft in Herne. Anschließend fragt er, ob man sich darüber freuen dürfe, wenn ein Massenmörder getötet worden sei. Das war in der Woche, als Osama bin Laden erschossen worden war. Später werden in der Sendung Spiele ausgerichtet. Stuckrad-Barre sagt, dass sich jedes Spiel während der Recherche aus einer „ausführlichen, liebevollen Beschäftigung mit den Gästen“ ergebe. Im Falle von Martin Lindner sind sie bei der Recherche auf ein Interview gestoßen, in dem er einräumt, gekifft zu haben. „Ich finde die Aufregung ein bisschen spießig“, sagt Stuckrad-Barre. Doch sie wird ihm recht sein, sie macht seinen Senderwechsel publik. Die Studiogäste, die bestimmt mehrheitlich keine FPD-Wähler seien, sagt er, hätten Lindners Auftritt als cool empfunden. Was man Stuckrad-Barre nicht glauben will. Lindner präsentierte sich, nachdem er den Cannabis-Test nach einem Zug abgebrochen und den Joint wie eine heiße Kartoffel an Stuckrad-Barre weitergereicht hatte, als versnobter FPD-Politiker, der sich vor allem um steigende Sozialkosten sorgt. Denn Stuckrad-Barres Late-Night-Show hat auch eine inhaltliche Seite. Dazu hat er als Sidekick Markus Feldenkirchen vom „Spiegel“ und Nikolaus Blome von der „Bild“ engagiert. Das ist auch im Sinne der Zweitverwertung praktisch: Deutschlands mächtigsten Medien entgeht so garantiert nichts, was bei Struckrad-Barre passiert.

Katja Kipping von der Linkspartei, die tanzt. CDU-Frau Julia Klöckner, die durchs Studio joggt – „Stuckrad-Barre“ unterhält und ergänzt dabei in vielen Fällen das Bild eines Politikers. Nur das Männerbündlerische nervt, das Stuckrad-Barre und die beiden anderen Karrierejournalisten ausstrahlen. Stuckrad-Barre passt das Image des neokonservativen Schnösels nicht, das ihm oft angeheftet wird. Er wirft sogar seine Herkunft in die Waagschale: den linken Pastorenhaushalt.

„Das Publikum hat ja völlig zu Recht nicht viel Geduld. Mit jedem, der in der Öffentlichkeit steht, assoziiert es maximal zwei bis drei Bilder“, sagt er resigniert. Eines der Bilder sei in seinem Fall ein Gruppenphoto der Autoren von „Tristesse royal“, zu denen er zählte. Bildunterzeile: „Fünf Arschgeigen im Ohrensessel.“ Damals hatten sich fünf junge Männer im „Adlon“ eingemietet, ein paar Tage über die Welt geredet und ein Buch daraus gemacht.

Samstagmorgen, man hat noch mal den Namen Martin Lindner gegoogelt. Gleich kommt das Bild des alerten Manns mit den zurückgegelten Haaren und einem Joint im Mund. Ein lächerlicher Skandal, aber ein mächtiges Bild.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false