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Filmkritik: ARD zeigt neuen "Rommel"-Film

Nach der großen Aufregung um die Teamworx-Produktion zeigt die ARD nun den neuen Film "Rommel". Es geht auch um Hitlers General, aber Ulrich Tukur will nicht den Mythos, er will den Menschen und Militär zeigen.

Viel Verkehr herrscht auf der Straße vom Dritten Reich zum heutigen Bildschirm. „Rommel“ marschiert gerade auf, „Unsere Mütter, unsere Väter“ (ein Dreiteiler über Lebensläufe um die Stunde null) folgt im Frühjahr, das Leben des verführten Theatergenies Heinrich George ist bald abgedreht. An einer achtteiligen Serie über Hitler im Ersten Weltkrieg wird ebenso gearbeitet wie am Biopic über Leni Riefenstahl, Hitlers blonden Propagandaengel. Was für ein Triumph des Produzentenwillens von Nico Hofmanns, dem Chef der führenden Fernsehfabrik für deutsche Geschichte (Teamworx). Also „Rommel“. Ungeniert selbstverständlich prangen die Schauspieleruniformen, glänzen die Ritterkreuze, stimmen die militärischen Rituale. Die alte Doku-Gretchenfrage, O-Ton oder Fiktion oder eine Mischung ist gelöst: Der Mime flicht der Nachwelt die Erinnerungskränze. Zu Deutsch: Reenactment fast auf der gesamten Linie. Vielleicht, wenn wir könnten, bliebe die Glotze kalt. Doch ironisches Einigeln nützt nichts. Vorab-Überdruss an den ewigen Nazifestspielen im Fernsehen ist zwar verständlich, aber barbarisch. „Rommel“ (der Regisseur Niki Stein hat das Buch geschrieben und Regie geführt) muss man trotzdem sehen und spüren, was da geschieht. Macht man ja sonst auch immer.

Zu sehen ist das Ende eines gefeierten Helden. Der wagemutige Frontdurchbrecher in Hitlers Frankreichfeldzug, der listige Wüstenfuchs bei der Afrika-Korps-Unternehmung gegen die Engländer, sitzt nun als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B fest in einem aussichtslosen Kampf gegen die anglo-amerikanische Invasion. Wir sehen von März bis Oktober 1944 einen Wüstenfuchs, für den die Wüste im militärischen Herzen des Hitler-Regimes fürchterlicher ist als jede reale in Nordafrika. Er, gegen den einen Verratsprozess zu führen, sich selbst Hitler nicht traut, wird in den Selbstmord getrieben.

Geklärt werden soll die Frage, wie weit der zum Hitler-Zweifler gewordene Rommel gegangen wäre. Ob er beim 20. Juli aktiv mitgemacht hätte, wenn die Umstände andere gewesen wären und er nicht schwer verletzt im Lazarett gelegen hätte. Eine heikle Frage. Die Warnschilder sind aufgestellt. Schon im Vorfeld von „Rommel“ gab es jede Menge Trouble. Die Enkelin des Generalfeldmarschalls, Catherine Rommel, befürchtete eine zu kritische Sichtweise auf ihren Großvater. Drehbuchfassungen kursierten in der Öffentlichkeit. Der Holocaust-Leugner und britische Historiker David Irving, ein ausgewiesener Rommel-Kenner, machte Autorenrechte vor Gericht geltend. Die alten „Afrikaner“, wie sich die Kämpfer unter dem verehrten Kommandeur nennen, versuchten, in Treue fest, mit Ratschlägen bei den Dreharbeiten mitzumischen. Totaler Fehlalarm. Ein Sieg schwärmerischer Fernsehdichtung über die Wahrheit findet nicht statt. „Rommel“ zeigt, wie schon die Rettungsrekonstruktion „Mogadischu“ zuvor, eine veränderte Darstellungsstrategie der Geschichtenmaschine Teamworx. Es hat sich ausfabuliert.

In historisch gesicherten Szenen entsteht eine ganz neue künstlerische Freiheit

Das war früher anders. Wir erinnern uns an den Teamworx-Zweiteiler „Dresden“, in dem der eindrucksvollen Schilderung von Bombenterror und Ersticken im Luftschutzkeller eine Liebesgeschichte zwischen einer deutschen Krankenschwester und einem abgeschossenen englischen Flieger hinzugedichtet wurde. Es fällt einem von früher „Die Luftbrücke“ ein, in der ein amerikanischer Fliegerhalbgott durch eine erfundene Liebesgeschichte mit einer deutschen Sekretärin zusätzlich erhöht wurde. Solche melodramatischen Effekte, um jüngere Zuschauer zu erreichen, würde er heute niemals mehr machen, sagt Hofmann. Seine Filme wollen jetzt mit historisch verbürgbaren oder verbürgten Texten sprechen, und wenn die Geschichte schweigt, redet die Verfilmung mit selbst erzeugtem Lärm nicht in die Leerstellen. Die Frage, wie dann aber heutige Menschen zu einem Film über Rommel gelockt werden, wenn es nicht schnulzt und fabelt, löst Hofmann mit neuen Mitteln. Seine Filme sind zwar nach wie vor modern schnell geschnitten, die Musik malt nicht Stimmung, sondern treibt voran. Hauptinnovation aber ist das Kammerspiel, der Einsatz eines „sachdienlichen“ Starensembles. Bei der Verfilmung von Uwe Tellkamps „Turm“-Romans ist diese neue Strategie aufgegangen. Aus einem literarischen Panorama wurde ein leises und konzentriertes Personentheater herausgefiltert, und fast sieben Millionen sahen zu, auch gegen Fußball. Warum? Produzent Hofmann spekuliert: Wer in der modernen Arbeitswelt mit ihren abgeschotteten Funktionssphären arbeitet, hat ein Gehör für stimmige Töne und misstraut jedem Pathos. Er stört sich an begriffsüberfrachteten Diskursen, hält wenig von lebensferner Schulfunk-Moralerziehung, glaubt nicht an die teuflische Allmacht Hitlers, sondern findet den bösen Widerschein im Besonderen interessant. Alle Beschwörung des Großen und Ganzen erregt Misstrauen. Ganz besonders, wenn es wie bei „Rommel“ um das Militärische geht. Es hat eine Eigenlogik, die nicht mit dem pauschalen Hinweis zu erledigen ist, in der Welt des Bösen sei alles böse, und alle Generale des Teufels seien automatisch des Teufels. Jenseits des Pauschalen entsteht jetzt in historisch gesicherten Szenen eine ganz neue künstlerische Freiheit – die Chance zu sparsamer und intelligenter Theatralik. Gleich fällt auf: Die Soldaten spielenden Darsteller verlegen mithilfe der Kamera (Arthur W. Ahrweiler) Glanz und Elend ihrer Zunft von den Uniformen und dem zackigen Gebaren weg in den Gesichtsausdruck. Hier, zwischen Augen und Lippen, finden die inneren Schlachten statt, ereignen sich die Demütigungen, versteinert der Stolz, erfriert der Glaube an einen Sieg. Ulrich Tukur, der Heldendarsteller, führt das Ende eines Draufgängers buchstäblich als Gesichtsverlust vor. Hinter immer schmaler werdenden Lippen ereignet sich die wachsende Entgeisterung über den Wahnsinn Hitlers. Die lässig schwäbelnde Jovialität des selbst in England gefeierten Wüstenfuchses verwandelt Tukur in Angst. Die vermeintliche Nähe Rommels zum Geistesbruder Adolf weicht abgrundtiefer Verstörung.

Die neidischen Schreibtischhengste högen sich. Der Frontfuchs sitzt in der Falle. Rommels einst skrupellose taktische Beweglichkeit an vorderster Front nützt ihm im Intrigantenstadl der Befehlszentralen nichts mehr. Der gekränkte Ehrgeiz, die Verblendung Hitlers, die Hoffnungslosigkeit der Lage lähmen ihn, er kann sich gegenüber den moralisch Entschlossenen nicht zu einer klaren Zusage zu einer Beteiligung am aktivem Widerstand aufraffen.

Erst die Dokumentation im Anschluss trägt nach, was Rommel noch gewesen ist

Der Judenmord, auf Fotos dokumentiert und ihm von Widerständlern vorgelegt, weckt ihn nicht aus seinem Nibelungenwahn, aus dem Narzissmus seiner Ruhmsucht. Rommel wählt naiv den direkten Weg zu seinem Führer und will ihn auch aus politischen Gründen zur Kapitulation bewegen. Hitler schmettert ihn ab. Für Politik sei Rommel nicht zuständig. Tukur kann man zusehen, wie die moralische Liquidierung der physischen vorausgeht. Und bei Benjamin Sadler als Rommels erstem Diener Speidel und lange stummem ethischen Gegenspieler: Wie Augen alles sagen können, wie die idealistische Gesinnung eines Umstürzlers im Misslingen erfriert und sich in puren Überlebenswillen verwandelt. Eine Sensation ist der von Johannes Silberschneider gespielte Hitler. Ein wirkliches Wagnis, aber ein gelungenes. Hier tritt kein größenwahnsinniger Gernegroß wie bei Chaplin auf, kein zu Tode gehetztes Bunker-Raubtier wie Bruno Ganz im „Untergang“, sondern eine beleidigte Leberwurst, ein wehleidiger Massenmörder und Usurpator, der sich mit leisen, gar höflichen Tönen auch noch in das Land der Erbarmenswerten hineinzuschleichen versucht. Der Täter als beleidigtes Opfer – perfider geht’s nicht. Wenn es dann an den Heldentod geht, wird Rommel, daheim in Herrlingen auf Genesungsurlaub, von Hitlers Abgesandten aufgesucht. Wider sein Erwarten geht es nicht darum, seine militärischen Misserfolge zu rechtfertigen. Man wirft ihm Mitwisserschaft an Stauffenbergs Attentatsplänen vor. Rommel, nun ganz schnell weise werdender Wüstenfuchs, willigt ein. Er zeigt im Angesicht des Todes Rücksicht auf gefährdete Offiziere und belastet sie nicht. Rücksicht nimmt er auch auf seine Familie, deren Überleben er mit seiner vor der Öffentlichkeit verheimlichten Selbsttötung rettet. Tukur steht ernst und unweinerlich zu seinem Helden, als der zu wahrer Tapferkeit findet. Aufrecht und gefasst verabschiedet sich der Wüstenfuchs von Frau und Sohn und von „seinen Afrikanern“. Regisseur Stein zieht die Schauspieler ab. Die letzten Bilder füllen die Wochenschaubilder vom verlogenen Staatsakt für Rommel in Ulm. Den damals gespielten Trauermarsch aus Wagners Götterdämmerung bildet die Filmmusik nicht nach – das würde nicht zur neuen TV-Geschichtsschreibung passen.

Erst durch die Dokumentation von Thomas Fischer „Rommel – Die Dokumentation“ im Anschluss wird nachgetragen, was Rommel noch gewesen war, bevor er in Frankreich sein letztes Gefecht verlor: ein tollkühner WK-1-Soldat, Verleugner der Niederlage, Verächter adliger Offiziere, unpolitischer Reichswehroffizier, glühender Hitlerverehrer, Protegé des Systems, williges Werkzeug der Goebbels’schen Propaganda, Projektionsfigur für die Sehnsucht nach Heldentum, auch bei den Feinden. Der Trauermarsch wäre zu viel der Verehrung gewesen.

„Rommel“, 20 Uhr 15, „Rommel – Die Dokumentation“, 22 Uhr 15, beides am Donnerstag in der ARD

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